Entscheidungsstichwort (Thema)

Revision. Revisionsgrund. Berufung. Berufungshauptverhandlung. Freispruch. Sachrüge. Verfahrensrüge. Darlegungsmangel. Verteidigung. notwendig. Pflichtverteidigung. Pflichtverteidiger. Wahlverteidiger. Rechtslage. schwierig. Verwertungsverbot. Beweisverwertungsverbot. Verlesungsverbot. Vernehmung. Belehrungspflicht. Spontanäußerung. Zeugnisverweigerung. Zeugnisverweigerungsrecht. Mutter. Polizeibeamter. Aussage-gegen-Aussage-Konstellation. Aussagesituation. Ermittlungsverfahren. Beweiskonstellation. Geständnis. Betäubungsmittel. Marihuana. Besitz. Straferwartung. Freiheitsstrafe. kurz. Schuldumfang. Bewährungswiderruf. Akteneinsicht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem einfach gelagerten Schuldvorwurf, der sich auf ein Geständnis des Angeklagten gründet, scheidet ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO wegen Schwierigkeit der Sachlage regelmäßig auch dann aus, wenn das Amtsgericht den Ange- klagten ohne nachvollziehbare Begründung freispricht und die Staatsanwaltschaft sich hier- gegen mit dem Rechtsmittel der Berufung wendet.

2. Die Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, dass in der Berufungshauptverhand- lung kein Verteidiger mitgewirkt hat, obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung wegen Schwierigkeit der Rechtslage nach § 140 Abs. 2 StPO vorgelegen habe, weil ein Verwer- tungsverbot nach § 252 StPO in Betracht komme, setzt jedenfalls in Fällen, in denen der Tatrichter von "spontan" gemachten Angaben des zeugnisverweigerungsberechtigten Ange- hörigen ausgeht, einen Vortrag voraus, aus dem sich die konkrete Aussagesituation ergibt.

3. Eine Aussage -gegen-Aussage-Konstellation, die die Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Schwierigkeit der Sachlage nach § 140 Abs. 2 StPO erforderlich machen könnte, ist nicht gegeben, wenn der Angeklagte ein Geständnis abgelegt hatte.

 

Normenkette

StGB § 47 Abs. 1; BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5; StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3, § 140 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 141a S. 1, § 147 Abs. 1, 4, §§ 252, 338 Nr. 5, § 344 Abs. 2 S. 2, § 349 Abs. 2, § 473 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

  • I.

    Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts vom 29.07.2021 wird als unbegründet verworfen.

  • II.

    Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

A.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 15.04.2021 vom Vorwurf des Besitzes von Betäubungsmitteln (10g Marihuana) aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Auf die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung hat das Landgericht mit Urteil vom 29.07.2021 den Angeklagten unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wegen "vorsätzlichen unerlaubten" Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen und gegen ihn deswegen eine Freiheitsstrafe von 3 Monaten verhängt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

B.

I.

Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte am 29.01.2020 in seiner Wohnung zum Zwecke des Eigenkonsums 10 g Marihuana-Blüten mit einem THC-Gehalt von 4 % aufbewahrte, ohne die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis besessen zu haben.

II.

Die Berufungskammer hat ihre Überzeugung im Wesentlichen auf ein im Ermittlungsverfahren abgelegtes und am Schluss der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht wiederholtes Geständnis des Angeklagten, der in der Berufungshauptverhandlung den Tatvorwurf pauschal abgestritten und sich nicht weiter geäußert hatte, gestützt. Für die Richtigkeit dieser Einlassung hat das Landgericht indiziell unter anderem auch die auf eigene Initiative "spontan" gemachten Angaben der Mutter des Angeklagten, die in der Berufungshauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, gegenüber einem Polizeibeamten herangezogen.

C.

Die Nachprüfung des angefochtenen Berufungsurteils deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Die erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.

1. Die Beanstandung, dass dem Angeklagten für die Berufungshauptverhandlung kein Pflichtverteidiger beigeordnet wurde, dringt nicht durch.

a) Zwar scheitert die Rüge - entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft - nicht bereits am fehlenden Vortrag, dass in der Berufungsverhandlung kein (Wahl-)Verteidiger mitgewirkt hat. Dies ergibt sich hinreichend aus der Rechtfertigungsschrift, in der unter anderem ausgeführt wird, wie ein "etwaiger Verteidiger" agiert hätte. Hieraus lässt sich ohne weiteres entnehmen, dass ein Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung nicht anwesend war und die Rüge, mit der der Sache nach der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO geltend gemacht wird, hierauf abzielt.

b) Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge machte die Mitwirkung eines Verteidigers indes nicht erforderlich im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO. Dies ist grundsätzlich erst bei einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe anzunehmen (vgl. nur OLG Braunschweig, Beschl. v. 29.09.2021 - 1 Ws 210/21; KG, Besc...

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