Leitsatz (amtlich)
1. Wird die Frist nach § 356a S. 2 und 3 StPO unverschuldet versäumt, ist eine Wiedereinsetzung grundsätzlich möglich. Dazu hat der Antragsteller einen Sachverhalt vorzutragen, der ein Verschulden des Verurteilten an der Fristversäumnis ausschließen würde.
2. Eine unverschuldete Fristversäumnis liegt nicht vor, wenn der anwaltlich vertretene Antragsteller in der Antragsschrift nach § 356a StPO nicht innerhalb der Wochenfrist mitgeteilt sowie nicht glaubhaft gemacht hat und auch sonst nicht ersichtlich ist, wann der Verurteilte von dem behaupteten Gehörsverstoß erstmals Kenntnis erlangt hat. Der Angeklagte muss sich das Verschulden seines Verteidigers an der Fristversäumung zurechnen lassen.
Normenkette
StPO § 356a S. 2 und 3, §§ 44-45
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 03.07.2023; Aktenzeichen 4 NBs 805 Js 28926/21) |
Tenor
Der Antrag des Verurteilten vom 15. Februar 2024 auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung einer Anhörungsrüge wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 22. Januar 2024 hat der Senat die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 3. Juli 2023 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Der Beschluss ist nach der gerichtlichen Verfügung sowohl dem Angeklagten als auch dem Verteidiger bekannt gegeben worden. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 8. Februar 2024 hat der Verurteilte eine Anhörungsrüge erhoben; der Verteidiger hat die Kenntnisnahme des Beschlusses "hier" am 25. Januar 2024 anwaltlich versichert. Mit Beschluss vom 12. Februar 2024 hat der Senat die Anhörungsrüge als unzulässig verworfen. Nunmehr behauptet der Verteidiger des Verurteilten mit einem weiteren Schriftsatz vom 15. Februar 2024, von dem Beschluss des Senats vom 22. Januar 2024 entgegen seines früheren Vortrags erst am 1. Februar 2024 Kenntnis erlangt zu haben und beantragt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Frage, wann der Verurteilte von dem Beschluss des Senats vom 22. Januar 2024 erstmals Kenntnis erlangt hat, verhält sich der Verteidiger nicht.
II.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 44, 45 StPO hat keinen Erfolg. Der Vortrag des Verurteilten schließt ein eigenes Verschulden an der Fristversäumnis nicht aus. Für die Entscheidung kann der Senat dahin stehen lassen, welcher der sich widersprechenden anwaltlichen Versicherungen Glauben zu schenken ist.
Nach § 356a S. 2 und 3 StPO ist der Antrag auf Zurückversetzung des Verfahrens in die Lage vor der Senatsentscheidung vom 22. Januar 2024 nur zulässig bei Wahrung der dort genannten Frist und Form. Danach ist der Antrag binnen einer Woche nach Kenntniserlangung von der Verletzung des rechtlichen Gehörs schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle bei dem Revisionsgericht anzubringen und zu begründen. Kenntnis von der Gehörsverletzung bedeutet die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, aus denen sich die Verletzung ergibt (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. März 2005 - 2 StR 444/04-, vom 7. März 2006 - 5 StR 362/05 - und vom 16. Mai 2006 - 4 StR 110/05 -, jeweils juris). Der Zeitpunkt seiner Kenntniserlangung ist vom Antragsteller innerhalb der Wochenfrist glaubhaft zu machen. Ein entsprechender Vortrag im weiteren Verlauf des Verfahrens reicht nicht (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2005 - 2 StR 444/04 -, juris; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 - 1 StR 633/12 -, juris Rn. 8). Wird die Frist unverschuldet versäumt, ist eine Wiedereinsetzung grundsätzlich möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2021 - 6 StR 238/20 -, juris; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 - 1 StR 633/12 -, juris). An die Voraussetzungen fehlenden Verschuldens sind im Interesse der Rechtssicherheit bei § 356a StPO hohe Anforderungen zu stellen (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2021 - 6 StR 238/20 -, juris Rn. 6). Der Angeklagte muss sich das Verschulden seines Verteidigers an der Fristversäumung zurechnen lassen (st. Rspr., vgl. BGH a.a.O.; BGH, Beschluss vom 16. Mai 2013 - 1 StR 633/12 -, juris Rn. 9; BGH, Beschluss vom 13. August 2008 - 1 StR 162/08 -, juris; BGH, Beschluss vom 20. Mai 2011 - 1 StR 381/10 -, juris; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 356a Rn. 11; Temming in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 356a StPO Rn. 4).
Danach hat der Verteidiger weder im Schriftsatz vom 8. Februar 2024 noch im Schriftsatz vom 15. Februar 2024 einen Sachverhalt vorgetragen, der ein Verschulden des Verurteilten an der Fristversäumnis ausschließen würde. Der Verteidiger hat es vielmehr vorwerfbar und somit dem Verurteilten zurechenbar versäumt, in seinem Schriftsatz vom 8. Februar 2024 hinreichend dazu vorzutragen, wann der Verurteilte, der selbst Rechtsanwalt ist und den selbst die Pflicht trifft, sich über eröffnete Rechtsbehelfe zu informieren, Kenntnis von dem Senatsbeschluss vom 22. Januar 2024 erlangt hat. Auf diesen Vortrag durfte der Verteidiger bereits in der Antragsschrift vom 8. Februar 2024 nicht verzichten...