Entscheidungsstichwort (Thema)

Verstoß gegen das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG)

 

Verfahrensgang

AG Aichach (Urteil vom 12.05.1995)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 17.02.1999; Aktenzeichen 1 BvR 2488/95)

 

Tenor

I. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Aichach vom 12. Mai 1995 wird als unbegründet verworfen.

II. Die Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

Die Rechtsbeschwerde ist zwar zulässig (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG), jedoch offensichtlich unbegründet.

Insbesondere bestehen gegen die Verfassungsmäßigkeit des Art. 47 Abs. 1 BayEUG in der seit 1.8.1994 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 7.7.1994 (GVBl S. 689) keine Bedenken. Nach Art. 7 Abs. 3 GG, Art. 136 Abs. 2 BV ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach. Gemäß Art. 7 Abs. 2 GG, Art. 137 Abs. 1 BV bleibt die Teilnahme am Religionsunterricht der freien Willensentscheidung der Erzhiehungsberechtigten und – ab einem bestimmten Alter – der Schüler überlassen. Gemäß Art. 137 Abs. 2 BV, Art. 47 Abs. 1 BayEUG ist der Ethikunterricht für diejenigen Schüler Pflichtfach, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Diese wahlweile Verpflichtung zum Besuch des Ethikunterrichts als ordentliches (und damit auch benotetes) Pflichtfach ist verfassungsrechtlich unbedenklich; denn der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG, Art. 130 Abs. 1 BV) ist nicht nur auf eine Wissensvermittlung beschränkt, sondern erstreckt sich auf die Gesamterziehung, die Erziehung zum Sozialverhalten und die Persönlichkeitsentwicklung und hat zur Eingliederung in die Gesellschaft beizutragen. Die Erziehung zu werteinsichtigem Urteilen und Handeln, das an sittlichen Grundsätzen orientiert ist (vgl. Art. 47 Abs. 2 BayEUG), ist Teil des verfassungsrechtlichen Erziehungsauftrags des Staates. Auch unter dem Blickwinkel des Grundrechts der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG, Art. 107 Abs. 1 BV) bestehen gegen die Verpflichtung zum Besuch des Ethikunterrichts keine Bedenken, da dieser gemäß Art. 47 Abs. 2 Satz 3 BayEUG die Pluralität der Bekenntnisse und Weltanschauungen zu berücksichtigen hat (vgl. BayVGH BayVBl. 1990, 244/245 m. Rspr.Nachw.). Auch das Gleichheitsrecht nach Art. 3 Abs. 3 GG wird durch Art. 47 Abs. 1 BayEUG nicht verletzt, da die Bestimmung nur eine wahlweise Verpflichtung begründet, eine Benachteiligung durch die Pflichtteilnahme am Ethikunterricht daher nicht entsteht, weil ja die Teilnahme am Religionsunterricht durch Abwahl entfallen ist. Ein etwaiger Nachteil durch die Verpflichtung, am Ethikunterricht nachmittags teilzunehmen, beruht hingegen nicht auf Art. 47 Abs. 1 BayEUG, sondern auf einer schulorganisatorischen Maßnahme. Ob eine eindeutig rechtswidrige, nicht durch sachlich vertretbare Gründe gerechtfertigte und damit ermessensfehlerhafte oder sogar willkürliche Verlegung des Ethikunterrichts auf die Nachmittagsstunden die Pflicht zur Unterrichtsteilnahme und damit die Verpflichtung des Erziehungsberechtigten, für diese Teilnahme zu sorgen (Art. 76 Satz 1 BayEUG), entfallen lassen könnte, kann dahinstehen; denn angesichts der vom Amtsgericht festgestellten Abwägung der Schulbehörde, lediglich 19 Schüler (Ethikunterricht) und nicht 340 Schüler (Religionsunterricht) am Nachmittag erscheinen zu lassen, kann auch nicht aus dieser Maßnahme eine konkrete Verletzung des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 3 GG abgeleitet werden, da sie auf sachlichen Erwägungen für eine differenzierte Behandlung beruht, die dem Spannungsverhältnis zwischen den eigenständig nebeneinander stehenden Grundrechten der Eltern und Schüler einerseits und dem in Art. 7 Abs. 1 GG, Art. 130 Abs. 1 BV verankerten staatlichen Erziehungsauftrag andererseits (vgl. auch Art. 131 Abs. 1–3 BV, Art. 1 Abs. 1 BayEUG) Rechnung trägt (vgl. auch BVerwG DÖV 1974, 285).

Die Rechtsbeschwerde wird daher gemäß § 79 Abs. 5 OWiG durch Beschluß verworfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

 

Unterschriften

Lancelle, Dr. Vitzthum, Dr. Pettenkofer

 

Fundstellen

Haufe-Index 1611346

NJW 1996, 2317

NVwZ 1996, 1143

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