Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeschwerde. Verfahrensrüge. Abstandsverstoß. Geldbuße. Fahrverbot. Verwerfungsurteil. Einspruchsverwerfung. Bußgeldstelle. Verwaltungsbehörde. Bußgeldbescheid. Rechtskraft. Einspruch. Einspruchsfrist. Verjährung. Verfolgungsverjährung. Vollstreckungsverjährung. Verjährungsfrist. Verjährungsbeginn. Verjährungsablauf. Ablaufhemmung. Verjährungsunterbrechung. Verjährungshemmung. Unterbrechungshandlung. Einstellung. Einstellungsurteil. Verfahrenshindernis. Tatbeendigung. Wiedereinsetzung. Wiedereinsetzungsgesuch. Wiedereinsetzungsgewährung. Rechtsposition. Besserstellung. Hauptverhandlung. Teilnahme. Abwesenheit. Säumnis. Entschuldigung. Entschuldigungsgrund. entschuldigt. Entschuldigungsvorbringen. Unzumutbarkeit. schlüssig. Umstände. Nachweis. Nachweispflicht. Covid-19. Fieber. Erbrechen. Durchfall. Erkältungssymptome. Anreise
Leitsatz (amtlich)
1. Mit der Bewilligung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid beginnt die Frist für die Verfolgungsverjährung neu zu laufen, wenn im Zeitpunkt des Ablaufs der Einspruchsfrist noch keine Verfolgungsverjährung eingetreten war.
2. Mit der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen ein nach § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch verwerfendes Urteil gemäß § 74 Abs. 4 Satz 1 OWiG ist der Verjährungsablauf gemäß § 32 Abs. 2 OWiG gehemmt.
3. Ein Entschuldigungsvorbringen ist ausreichend i.S.d. § 74 Abs. 2 OWiG, wenn schlüssig Umstände vorgetragen werden, die einem Betroffenen die Teilnahme an der Hauptverhand- lung unzumutbar machen; eine Nachweispflicht trifft den Betroffenen nicht.
Normenkette
OWiG § 31 Abs. 1, § 32 Abs. 2, § 31 Abs. 3 S. 1, § 33 Abs. 1 S. 1 Nrn. 3, 9-11, §§ 34, 69 Abs. 3 S. 1, § 74 Abs. 2, 4 S. 1, § 79 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, Abs. 6, § 80a Abs. 1; StPO § 344 Abs. 2 S. 2, § 353; StVG §§ 25, 26 Abs. 3 S. 1; StVO § 4 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
AG Erlangen (Entscheidung vom 13.12.2022) |
Tenor
I.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 13. Dezember 2022 aufgehoben.
II.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Erlangen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt verhängte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 15.09.2020 wegen eines am 18.06.2020 begangenen fahrlässigen Abstandsverstoßes um weniger als 3/10 des halben Tachowertes eine Geldbuße von 480 Euro und ordnete zudem ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat nach Maßgabe des § 25 Abs. 2 StVG an. Den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid verwarf das Amtsgericht Erlangen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG mit Urteil vom 13.12.2022, nachdem der Beschuldigte in der Hauptverhandlung nicht erschienen war. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, die er mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts Erlangen vom 13.12.2022 aufzuheben und das Verfahren wegen Verjährung einzustellen.
II.
Das zulässige Rechtsmittel führt aufgrund der gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht.
1. Eine Einstellung des Verfahrens kommt nicht in Betracht, weil das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung nicht eingetreten ist.
a) Die Verjährungsfrist betrug zunächst 3 Monate (§ 26 Abs. 3 Satz 1 StVG) und begann mit Beendigung der Handlung (§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG), hier also am 18.06.2020. Die Verjährung wurde jedenfalls durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 15.09.2020, der dem Betroffenen am 17.09.2020 zugestellt wurde, unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG), sodass ab diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 StVG 6 Monate betrug.
b) Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft wurde die 6-monatige Verjährungsfrist durch den Akteneingang beim Amtsgericht am 15.04.2021 rechtzeitig unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
aa) Zwar lagen zwischen der vorhergehenden Unterbrechungshandlung durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 15.09.2020 und dem Akteneingang beim Amtsgericht am 15.04.2021 mehr als 6 Monate.
bb) Gleichwohl war die Verjährungsfrist zum letztgenannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen. Denn die durch die Zentrale Bußgeldstelle am 24.11.2020 bewilligte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Einspruchsfrist hatte zur Folge, dass die Verjährungsfrist neu zu laufen begann (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16.03.2004 - 2 ObOWi 7/2004 = BayObLGSt 2004, 33 = DAR 2004, 281 = VRS 106, 452 [2004]; Urt. v. 07.10.1953 - 1 St 333/53 = BayObLGSt 1953, 179; OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.01.1978 - 1 Ws [B] 36/78 OWiG ...