Leitsatz (amtlich)
›Die durch den Anklagevorwurf eines Verbrechens begründete Notwendigkeit der Verteidigung entfällt, wenn der Angeklagte nur wegen eines Vergehens verurteilt wird, erst mit dem Eintritt der Rechtskraft des Schuldspruchs; bei nicht wirksamer Beschränkung eines Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch liegt daher weiterhin ein Fall der notwendigen Verteidigung vor.‹
Gründe
Der Angeklagte betrank sich am 24. 10. 1991 nach Feierabend. Gegen 23. 00 Uhr beschloß er, seine Mutter zu besuchen. Als er an dem Pkw, den er für seinen Sohn gekauft hatte, vorbeikam, entschloß er sich, mit diesem Fahrzeug zu fahren, obwohl er keine Fahrerlaubnis besaß. Er stieß dann bei seiner Fahrt durch die Stadt A. auf eine Polizeistreife. Auf seiner Flucht streifte er einen Polizeibeamten und verletzte ihn. Er konnte schließlich um 23. 15 Uhr festgenommen werden. Die ihm um 23. 57 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 2, 37 o/oo im Mittelwert. Es konnte infolge des alkoholbedingten Rausches im Zusammenhang mit der seelischen Belastung des Angeklagten durch Auszug der Ehefrau und der Kinder nicht ausgeschlossen werden, daß er zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war, weil er nicht mehr die Fähigkeit besaß, nach seiner Einsicht zu handeln.
Der Vorsitzende des Schöffengerichts bei dem Amtsgericht A. hat vor der unveränderten Zulassung der Anklage, die dem Angeklagten u.a. zur Last legte, zur Verdeckung einer Straftat einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr begangen zu haben, einen Pflichtverteidiger bestellt. Durch Urteil vom 9.9.1992 hat das Schöffengericht den Angeklagten wegen fahrlässigen Vollrauschs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, eine Sperrfrist von einem Jahr sechs Monaten für die Erteilung einer Fahrerlaubnis festgesetzt und den bei der Tat benutzten Pkw eingezogen. Gegen dieses Urteil haben die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Berufung eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat bereits bei der Einlegung des Rechtsmittels erklärt, daß es auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werde. In der Hauptverhandlung des Landgerichts A. vom 19.4. 1993 hat dann auch der Angeklagte erklärt, daß er sein Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränke; die Staatsanwaltschaft hat dieser Beschränkung zugestimmt. Durch Urteil vom 19.4.1993 hat das Landgericht die Berufung des Angeklagten verworfen und auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Schöffengerichts dahin abgeändert, daß die Freiheitsstrafe acht Monate und die Sperrfrist noch zwei Jahre beträgt. Das Landgericht ist von der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkungen ausgegangen. Im Anschluß an die Wiedergabe der Schuldfeststellungen der erstinstanzlichen Entscheidung enthält das Urteil des Landgerichts folgende Ausführungen:
"Ergänzend ist festzustellen, daß der Angeklagte bei Trinkbeginn vom Trinken Abstand nehmen konnte und in der Lage war, bei der erforderlichen Überlegung zu erkennen, daß er im Rauschzustand möglicherweise eine Straftat begehen werde, zumal er einen Fahrzeugschlüssel in der Tasche hatte und dieses Fahrzeug in der Nähe seiner Wohnung fahrbereit auf der Straße geparkt war."
Mit seiner gegen das landgerichtliche Urteil eingelegten Revision rügte der Angeklagte die Verletzung des sachlichen und formellen Rechts. Insbesondere wurde geltend gemacht, daß die Hauptverhandlung vor dem Landgericht ohne Verteidiger stattgefunden hat, obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag.
Das Rechtsmittel hatte Erfolg.
Die zulässige Revision ist begründet. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor; im übrigen hätte das Urteil auch aufgrund der Sachrüge nicht von Bestand bleiben können, weil das Landgericht unzutreffend von einer wirksamen Beschränkung der Rechtsmittel ausging und daher zum objektiven Tatbestand keine eigenen Schuldfeststellungen getroffen hat.
1. Die Revision ist nicht auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ...
2. Die von dem Wahlverteidiger ordnungsgemäß vorgetragene Rüge des Verfahrensverstoßes nach § 338 Nr. 5 StPO ist begründet.
Bei dem dem Angeklagten in der Anklageschrift zur Last gelegten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB handelt es sich um ein Verbrechen, weil die Tat zur Verdeckung einer anderen Straftat begangen worden sein soll (§ 315 b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 StGB). Die Vorschrift des § 315 b Abs. 3 StGB beinhaltet keinen Strafschärfungsgrund im Sinne von § 12 Abs. 3 StGB, sondern enthält einen durch das Vorliegen bestimmter subjektiver Tatbestandsmerkmale qualifizierten Verbrechenstatbestand, weil bei Verwirklichung der in § 315 Abs. 3 genannten subjektiven Merkmale die im Regelfall angedrohte Mindeststrafe nicht unter einem Jahr liegt (§ 12 Abs. 1 StGB - vgl. auch LK/Rüth 10.Aufl. § 315 b StGB Rn. 29 ). Es lag daher ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO vor, so daß der Vorsitzende des Schöffengerichts dem Angeklagten zu Recht nach dieser Vorschrift einen Pflichtverteidiger bestellt hat. Der Ums...