Leitsatz (amtlich)
I. Wird mit der Revision gegen ein gemäß § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil geltend gemacht, dieses gehe zu Unrecht davon aus, dass ein Angeklagter nicht genügend entschuldigt gewesen sei und dass die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO sonst nicht gegeben waren, setzt die Überprüfung der vom Landgericht vorgenommenen Wertung die Erhebung einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge voraus. An die Zulässigkeit der Rüge einer Verletzung des § 329 StPO dürfen allerdings keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. Es kann der Vortrag genügen, dass sich der Angeklagte bereits vor Erlass des Verwerfungsurteils auf die von ihm geltend gemachten Entschuldigungsgründe berufen habe.
II. Dem Senat obliegt im Revisionsverfahren die Prüfung, ob das Landgericht den Rechtsbegriff der "genügenden Entschuldigung" i.S.d. § 329 Abs. 1 StPO zutreffend seiner Entscheidung zugrunde gelegt und gewürdigt hat. Das Ausbleiben eines Angeklagten ist entschuldigt, wenn ihm bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles daraus billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann.
III. Einem Angehörigen der Republik Kosovo, der aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht ausgewiesen oder abgeschoben worden war, ist es zumutbar, zur Wahrnehmung eines Hauptverhandlungstermins bei der zuständigen Deutschen Botschaft ein Visum zu beantragen.
IV. Dagegen ist das Ausbleiben eines Angeklagten, der ausgewiesen oder abgeschoben worden ist, genügend entschuldigt, da dieser sich strafbar machen würde, wenn er erneut in das Bundesgebiet einreist und ihm zuvor keine Ausnahmeerlaubnis zur Wiedereinreise erteilt worden ist. In diesem Fall ist es Sache der Strafverfolgungsbehörden, in Absprache mit der Verwaltungsbehörde zu klären, ob der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs oder dem öffentlichen Interesse an einem Aufenthalt des Ausländers außerhalb des Bundesgebietes der Vorrang einzuräumen ist.
V. Die unter Ziffer IV. dargestellte Rechtslage ist auf die Fallkonstellationen gemäß Ziffer III. nicht übertragbar.
Normenkette
StPO § 329 Abs. 1, § 344 Abs. 2 S. 2; AufenthG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 11 Abs. 1, 6, 8, § 14 Abs. 1 Nr. 2, § 95 Abs. 1 Nr. 3; AuslG § 8 Abs. 2 S. 1, § 9 Abs. 3, § 92 Abs. 2 Nrn. 1a, 1b; EU-Visum-VO Anh. I Nr. 2
Verfahrensgang
LG Regensburg (Entscheidung vom 14.06.2023; Aktenzeichen 4 Ns 135 Js 96048/19) |
Tenor
I. Die Revision des Angeklagten X. gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 14. Juni 2023 wird als offensichtlich unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Straubing hat den Angeklagten, einen kosovarischen Staatsangehörigen, am 04.10.2021 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 45 € verurteilt.
Die hiergegen am 05.10.2021 eingelegte Berufung hat das Landgericht Regensburg im Hauptverhandlungstermin am 14.06.2023 ohne Verhandlung zur Sache verworfen, da der Angeklagte ohne Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht durch einen mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden sei. Es führt aus, dass die dem Angeklagten im Rechtshilfeweg am 26.04.2023 ordnungsgemäß zugestellte Ladung zum Hauptverhandlungstermin am 14.06.2023 mit dem Hinweis versehen war, dass der Angeklagte mit der gerichtlichen Ladung bei der Deutschen Botschaft ein Visum für die Einreise zur Wahrnehmung der Berufungshauptverhandlung beantragen und erhalten könne. Die Bearbeitungs- und Versandzeit für das Visum betrage nach den Bekanntmachungen auf der Homepage der Deutschen Botschaft in Pristina aktuell bis zu drei Wochen ab Antragstellung. Der Angeklagte hätte also genügend Zeit (sieben Wochen) gehabt, ein Visum zu beschaffen.
Gegen dieses seiner Pflichtverteidigerin am 22.06.2023 zugestellte Urteil hat der Angeklagte durch Schreiben seiner Pflichtverteidigerin vom 19.06.2023 am selben Tag Revision eingelegt und diese mit Schreiben seiner Pflichtverteidigerin am 27.06.2023 mit der ausgeführten Verfahrensrüge begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat die kostenpflichtige Verwerfung der Revision als unbegründet beantragt.
Die Verteidigerin hat mit Schreiben vom 02.12.2023 eine Gegenerklärung abgegeben.
II.
Die gemäß §§ 333, 341 Abs. 2, §§ 342, 344, 345 StPO zulässige Revision des Angeklagten ist offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Wird mit der Revision gegen ein gemäß § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil geltend gemacht, dieses gehe zu Unrecht davon aus, dass ein Angeklagter nicht genügend entschuldigt gewesen sei und dass die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO sonst nicht gegeben waren, setzt die Überprüfung der vom Landgericht vorgenommenen Wertung die Erhebung einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge voraus (vgl. nur OLG Nürnberg, Beschlüsse vom 21.05.2008 - 2 St OLG Ss 228/07 -, StraFo 2008, 248, juris Rn. 9 m.w.N.;...