Entscheidungsstichwort (Thema)

Bußgeldverfahren. Geschwindigkeitsüberschreitung. Pkw. Autobahn. Geldbuße. Fahrverbot. Fahrverbotsprivilegierung. Ausnahme. Übermaßverbot. existenziell. Existenzgefährdung. Vollstreckungserleichterung. Rechtsbeschwerde. Sachrüge. Darstellungsmangel. Darstellungsrüge. Pflichtenverstoß. beharrlich. Regelfall. Hauptverhandlung. Einspruch. Einspruchseinlegung. Einspruchsbeschränkung. Teilrücknahme. Schuldspruch. Rechtsfolgenausspruch. Wahlverteidiger. Unterbevollmächtigter. Prozessvollmacht. Vertretungsvollmacht. Terminsvollmacht. Ermächtigung. ausdrückliche. Rechtsmittelverzicht. Anhörungsanordnung. Urteilgründe. Feststellungen. lückenhaft. Einlassung. Betroffeneneinlassung. Tatgericht. Zumessungserwägungen. Ermessensentscheidung. Aufklärungspflicht. Beweiswürdigung. Substantiierungsobliegenheit. Wechselwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die nachträgliche Einspruchsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch des Bußgeldbescheids stellt eine teilweise Einspruchsrücknahme dar, für deren Wirksamkeit die Verteidigung gemäß § 67 Abs. 1 Satz 2 OWiG i.V.m. § 302 Abs. 2 StPO einer ausdrücklichen Ermächtigung bedarf, die auch dann erforderlich ist, wenn dem Verteidiger eine Vertretungsvollmacht im Sinne von § 73 Abs. 3 OWiG erteilt worden war. Jedoch kann sich die ausdrückliche Ermächtigung aus der in der Vollmachtsurkunde vorgesehenen Befugnis, Rechtsmittel einzulegen, zurückzunehmen oder auf sie zu verzichten ergeben, wenn die Vollmacht gerade für die Durchführung des Einspruchsverfahrens erteilt worden war. Hiervon ist in der Regel auszugehen, wenn die Vollmacht gerade für die Durchführung des Einspruchsverfahrens erteilt wurde (Festhaltung an BayObLG, Beschl. v. 21.12.2023 - 202 ObOWi 1264/23 bei juris = DAR 2024, 168 = ZfSch 2024, 229 = BeckRS 2023, 39011 m.w.N.).

2. Die nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 267 Abs. 1 und Abs. 3 StPO gebotenen sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darstellung der Urteilsgründe werden verfehlt, wenn sich aus den Zumessungserwägungen zwar ergibt, dass die oder der Betroffene zur Frage des angestrebten Wegfalls eines Fahrverbots ,vorgetragen' hat, den Urteilsgründen jedoch weder die Art noch der konkrete Inhalt dieser einen Wegfall des Fahrverbots ggf. rechtfertigenden Umstände zu entnehmen sind. Die fehlende Mitteilung der Betroffeneneinlassung stellt jedenfalls dann einen sachlich-rechtlichen Urteilsmangel dar, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich die oder der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt und nicht auszuschließen ist, dass das Tatgericht die Bedeutung der Erklärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (u.a. Anschl. an OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.11.2023 - 2 ORbs 188/23 bei juris = DAR 2024, 102 = BeckRS 2023, 31446; BayObLG, Beschl. v. 23.04.2019 - 202 ObOWi 460/19 bei juris = BeckRS 2019, 7481).

 

Normenkette

StVG § 25 Abs. 1 S. 1 2. Alt, Abs. 2a; StVO § 3 Abs. 3 Nr. 2; OWiG § 46 Abs. 1, § 67 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 71 Abs. 1, § 73 Abs. 2-3, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, Abs. 6, § 80a Abs. 1; StPO § 302 Abs. 2, § 349 Abs. 2, §§ 353, 261, 267 Abs. 1, 3; BKatV § 4 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Miesbach (Entscheidung vom 09.10.2023)

 

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 9. Oktober 2023 mit den Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Miesbach zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 08.02.2023 setzte die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt gegen den Betroffenen wegen einer als Führer eines Pkws am 29.11.2022 auf einer Autobahn begangenen Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um (toleranzbereinigt) 29 km/h eine Geldbuße von 225 Euro fest und ordnete gegen den Betroffenen wegen des Regelfalls eines (benannten) beharrlichen Pflichtenverstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV ein mit einem vorläufigen Vollstreckungsaufschub nach § 25 Abs. 2a StVG verbundenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats an. In der (ersten) Hauptverhandlung vom 19.06.2023 beschränkte der Wahlverteidiger des Betroffenen in erlaubter Abwesenheit des mit Beschluss vom 22.05.2023 nach § 73 Abs. 2 OWiG von der Erscheinenspflicht entbundenen Betroffenen den Einspruch gemäß § 67 Abs. 2 OWiG "auf den Rechtsfolgenausspruch". Mit dem angefochtenen Urteil vom 09.10.2023 setzte das Amtsgericht gegen den mit Beschluss vom 27.09.2023 wiederum von der Erscheinenspflicht in der Hauptverhandlung entbundenen, in dieser durch einen mit ,Terminsvollmacht' versehenen Unterbevollmächtigten vertretenen Betroffenen wegen der mit dem vorgenannten Bußgeldbescheid rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h eine der Festsetzung des Bußgeldbes...

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