Leitsatz (amtlich)
Eine Rüge acht Tage nach Zugang des Schreibens gem. § 13 VgV kann noch unverzüglich sein, wenn der Bieter in der Zwischenzeit Ermittlungen tatsächlicher Art vornehmen und, um eine ausreichend sichere rechtliche Schlussfolgerung ziehen zu können, auch rechtlichen Rat einholen muss.
Verfahrensgang
Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 01.09.2004; Aktenzeichen 120.3-3194.1-56-08/04) |
Tenor
Auf Antrag der Antragstellerin wird die aufschiebende Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der VK Südbayern vom 1.9.2004 vorläufig verlängert.
Gründe
Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 3.9.2004 zugestellten Beschluss der Vergabekammer vom 1.9.2004 zulässig und insb. fristgerecht sofortige Beschwerde gem. § 117 Abs. 1 GWB eingelegt. Das Rechtsmittel ist bei der nach § 118 GWB gebotenen summarischen Prüfung, jedenfalls im derzeitigen Verfahrensstand, nicht ohne Erfolgsaussicht.
1. Der Nachprüfungsantrag erscheint zulässig. Der Antragsgegner ist öffentlicher Auftraggeber nach § 98 Nr. 5 GWB.
a) Der vom Antragsgegner ausgeschriebene "Mietkauf" eines nach seinen Vorgaben zu errichtenden Schulgebäudes, für das der Bieter auch das Gelände zu beschaffen, die Baugenehmigung einzuholen und die Finanzierung sicherzustellen hat, stellt einen Bauauftrag gem. § 99 Abs. 3 GWB, § 1a Nr. 1 Abs. 1 S. 3 VOB/A dar. Der Schwellenwert in § 2 Nr. 4 VgV ist deutlich überschritten. Das Vorhaben des Antragsgegners unterliegt der staatlichen Förderung gem. Art. 34 BaySchFG. Hiernach ist die Baumaßnahme zu 100 % förderfähig; im Einzelnen ergibt sich dies aus dem Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 17.1.2002 an den Antragsgegner, der die Erstattung der notwendigen Aufwendungen aus dem Mietkaufvertrag (Mietkaufraten, Restkaufpreisrate) zusichert. Es steht deshalb außer Zweifel, dass der Antragsgegner zu den juristischen Personen des privaten Rechts gehört, die für das gegenständliche Vorhaben unter § 98 Nr. 5 GWB fallen.
b) Mit ihrer Rüge, das Angebot der Beigeladenen erfülle eine Bedingung der Ausschreibung nicht, nämlich die Erreichbarkeit vom Hauptbahnhof M. aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln (U-Bahn und S-Bahn) in 15 Minuten, ist die Antragstellerin nicht präkludiert gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB. Dass das Angebot der Beigeladenen trotz der Lage des ausgewählten Grundstücks als zuschlagsfähig angesehen wird, konnte die Antragstellerin frühestens wissen, als ihr das Schreiben des Antragsgegners gem. § 13 VgV zuging. Zuvor bestand für sie kein Anlass, Lage und Erreichbarkeit von Grundstücken zu erkunden, die Mitbewerber für das Schulgebäude vorgesehen haben. Nach Lage der Dinge musste sich die Antragstellerin anschließend erst genaue Daten zum vorgesehenen Standort beschaffen und Feststellungen treffen, inwieweit die Erreichbarkeit an dieser Stelle den Vorgaben in der Bekanntmachung entspricht. Erschwert wurde dies durch den Umstand, dass im dortigen Gebiet der Weiterbau einer U-Bahn-Linie geplant ist und zum Standort wie zur Fertigstellung eines neuen U-Bahnhofs ergänzende Erkundungen einzuholen waren. Die Antragstellerin hatte sich sodann noch qualifizierten Rechtsrat eingeholt. Dies spricht dafür, dass sie zu diesem Zeitpunkt zwar den die Rügeobliegenheit begründenden Sachverhalt kannte, eine ausreichend sichere rechtliche Schlussfolgerung daraus aber noch nicht ziehen konnte (vgl. Jaeger, NZBau 2001, 289 [294] m.w.N.). Die bloße Vermutung eines Vergabeverstoßes reicht aber nicht aus. Selbst wenn der Bieter aus grober Fahrlässigkeit den Rechtsverstoß nicht erkennt, bedingt dies nicht den Rügeausschluss nach § 107 Abs. 3 S. 1 GWB (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.8.2000 - Verg 9/00). Demnach erscheint die am 8. Tag nach Zugang des Schreibens gem. § 13 VgV angebrachte Rüge noch unverzüglich i.S.v. § 121 BGB.
2. Das Rechtsmittel kann auch in der Sache durchaus erfolgreich sein.
a) Ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen steht im Raum, weil es nicht der geforderten Leistung entspricht.
Die Bekanntmachung gibt vor, dass der Standort mit öffentlichen Verkehrsmitteln (U-Bahn und S-Bahn) vom Hauptbahnhof M. aus in 15 Minuten erreichbar sein muss und zur zeitlichen Bemessung auch notwendige Fußwege zählen. Diese zur Örtlichkeit gegebene Aussage ist schon ihrer Wortwahl nach eine verbindliche und nicht relativierbare Anforderung an die zu vergebende Leistung. Danach hat der Auftraggeber als Ort der Ausführung innerhalb der Stadt M. nur Standorte in einem bestimmten zum Hauptbahnhof gelegenen Radius zugelassen. Nach den tatsächlichen Lageverhältnissen dürfte es für die Beigeladene schwierig sein, die Erreichbarkeit des von ihr geplanten Schulgebäudes in der vorgegebenen Zeit und mit den vorgegebenen Verkehrsmitteln, nämlich U-Bahn und S-Bahn, nachzuweisen. Ersichtlich wird in der Ausschreibung auch auf den Fertigstellungstermin des Gebäudeskomplexes (31.7.2006) abgestellt. Es ist deshalb zweifelhaft, ob eine geraume Zeit später erwartete bessere U-Bahn-Anbindung den Bedingungen in der ...