Leitsatz (amtlich)
1. War das Vormundschaftsgericht vor dem Inkrafttreten des KindRG mit einem Verfahren befaßt, das nach neuem Recht als selbständige Familiensache (§ 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) anzusehen ist, und ist es nach der Übergangsregelung (Art. 15 § 1 Abs. 1 KindRG) hierfür zuständig geblieben, so kann es dieses Verfahren aus wichtigem Grund nach § 46 Abs. 2 FGG nicht mehr an ein anderes Vormundschaftsgericht, sondern nur noch an ein Familiengericht abgeben.
2. Das abgebende Gericht muß vollständige Ermittlungen zu den Abgabegründen führen und den Zustimmungsberechtigten (hier: sorgeberechtigte Eltern) Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
Normenkette
KindRG Art. 15 Abs. 1; BGB § 1666; FGG § 46; ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
AG Forchheim (Aktenzeichen 5 AR 15/99) |
AG Kassel (Aktenzeichen 731 X R 820/98) |
Tenor
Eine Entscheidung über die Abgabe ergeht nicht.
Tatbestand
I.
Die früher in Kassel wohnhafte Beteiligte zu 1 ist die Mutter von drei Kindern. Die ersten beiden Kinder wurden 1990 und 1992 nichtehelich geboren; das dritte Kind ist am 21.7.1997 aus der inzwischen geschiedenen Ehe der Mutter mit dem Beteiligten zu 2 hervorgegangen. Das Jugendamt der Stadt Kassel hat am 23.6.1998 vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB für die drei Kinder angeregt.
Mit Beschluß vom 15.7.1998 hat das Vormundschaftsgericht Kassel der Mutter die Personensorge für die ersten beiden Kinder gemäß § 1666 BGB entzogen, „Vormundschaft” angeordnet und das Jugendamt als „Vormund” bestellt. Die Kinder sind mit Einverständnis der Mutter in sonderpädagogischen Pflegestellen untergebracht.
Für das dritte Kind hat das Vormundschaftsgericht Kassel ein neuropädiatrisch-fachärztliches Gutachten eingeholt und sodann festgestellt, daß auch ein Gutachten über die Erziehungsfähigkeit der Mutter, möglicherweise ein kinderpsychologisches Gutachten, erforderlich seien. Die Mutter, die nach der Trennung von dem Beteiligten zu 2 im November 1998 mit dem Kind in den Bezirk des Amtsgerichts Forchheim umgezogen ist, wandte sich gegen gerichtliche Maßnahmen. Mit Beschluß vom 25.2.1999 hat das Vormundschaftsgericht Kassel das Verfahren betreffend dieses Kind abgetrennt und gemäß §§ 36, 46 FGG an das Amtsgericht Forchheim abgegeben.
Das Amtsgericht Forchheim – Familiengericht – hat über das Kreisjugendamt Forchheim (Beteiligte zu 3) festgestellt, daß das Kind in der Familie eines Patenonkels gut betreut werde. Nachdem die Ehe der Mutter mit dem Beteiligten zu 2 am 30.3.1999 durch das Familiengericht Kassel geschieden worden war, wobei über die elterliche Sorge keine Entscheidung getroffen wurde, nachdem die Mutter ihren Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge zurückgenommen hatte, hat das Familiengericht Forchheim mit Beschluß vom 9.4.1999 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, wegen der fortbestehenden gemeinschaftlichen elterlichen Sorge habe das Kind seinen Wohnsitz auch noch beim Vater in Kassel. Das Verfahren hätte von den seine Geschwister betreffenden nicht abgetrennt und nicht abgegeben werden sollen. Die Akten wurden an das Amtsgericht Kassel zurückgeleitet.
Das Vormundschaftsgericht Kassel hat die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung zuständig, weil die am Abgabestreit beteiligten Amtsgerichte in verschiedenen Bundesländern liegen und das Gericht, an das abgegeben werden soll, in Bayern liegt (§ 46 Abs. 2 Satz 1, § 199 Abs. 2 Satz 2 FGG, Art. 11 Abs. 3 Nr. 3 AGGVG; vgl. BayObLGZ 1992, 268/269).
2. Können sich wie hier ein Vormundschaftsgericht und ein Familiengericht über die Abgabe und Übernahme eines Verfahrens nach § 1666 BGB nicht einigen, so ist § 46 FGG anwendbar.
a) Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des abgebenden Vormundschaftsgerichts Kassel ist gegeben. Gegenstand des Verfahrens sind Maßnahmen nach § 1666 Abs. 1 BGB. Hierbei handelt es sich um Einzelverrichtungen im Sinn von § 43 Abs. 1, § 46 Abs. 3 FGG, für die bei Einleitung des Verfahrens noch die sachliche Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts gegeben war (vgl. § 1666 Abs. 1 BGB a.F. i.V.m. § 35 FGG). Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Kassel ergab sich bei Verfahrensbeginn daraus, daß zu dieser Zeit die Eltern im dortigen Bezirk mit dem Kind und dessen Geschwistern ansässig waren (§ 36 Abs. 1, § 43 Abs. 1 FGG). Zwar ist das ursprünglich als Vormundschaftssache eingeleitete Verfahren gemäß § 1666 BGB seit 1.7.1998 (Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts – KindRG vom 16.12.1997 BGBl Teil I S. 2942) Familiensache im Sinn des § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, Aus Art. 15 § 1 Abs. 1 KindRG ergibt sich aber, daß ein wie hier bei Inkrafttreten des Gesetzes in erster Instanz schon anhängiges Altverfahren für die noch laufende Instanz in der Zuständigkeit des bisher befaßten Gerichts verbleibt.
b) Es fehlt auch nicht an der für ein zulässiges Übernahmeersuchen erforderlichen sach...