Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegeversicherung. privat. Pflegeversicherungsvertrag. Beitrag. Beitragsschuld. Prämie. Prämienzahlung. Monatsprämie. Entrichtung. Nichtentrichtung. Beitragsentrichtung. Zeitraum. Verzug. Zahlungsverzug. Verzugszeitraum. Unterlassen. Unterlassungsdelikt. echtes. Dauerverhalten. Dauerdelikt. Abschluss. Beendigung. Überschneidung. Kündigung. Tat. Tatbegriff. materiell. materiell-rechtlich. prozessual. Tateinheit. Tatmehrheit. Verurteilung. Urteilsformel. frühere. vorherige. Tatgericht. Rechtskraft. Verfahrenshindernis. Vorverurteilung. Zäsur. Zäsurwirkung. Rechtsbeschwerde. Zulassungsrechtsbeschwerde. Statthaftigkeit. Wertgrenze. Sachrüge. Schuldspruch. Rechtsfolgenausspruch. Alter. Leistungsfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Ordnungswidrigkeit nach § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI, die bei einem Verzug der versicherten Person mit der Entrichtung von 6 Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung erfüllt ist, stellt ein echtes Unterlassungsdelikt in Form eines Dauerverhaltens dar, das seinen Abschluss erst mit der Entrichtung der Beiträge findet.

2. Bei einem dauerhaften Unterlassen der Beitragsentrichtung über einen längeren Zeitraum handelt es sich eine einheitliche Tat im materiell-rechtlichen Sinne.

3. Zwar findet ein Dauerdelikt grundsätzlich seine materielle Beendigung mit einer tatrichterlichen Verurteilung. Im Falle der Nichtentrichtung der geschuldeten Beiträge in der Folgezeit beginnt allerdings eine neue Ordnungswidrigkeit, deren Verfolgung nicht wegen der Rechtskraft der vorhergehenden Verurteilung unzulässig ist.

 

Normenkette

SGB XI § 23 Abs. 2 S. 4 Hs. 2, § 121 Abs. 1 Nr. 6; OWiG §§ 20, 46 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, Abs. 6, § 80 Abs. 1, § 80a Abs. 1; StPO §§ 264, 349 Abs. 2, § 473 Abs. 1 S. 1, Abs. 4

 

Verfahrensgang

AG Regensburg (Entscheidung vom 19.04.2023)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 19.04.2023 aufgehoben.

  • II.

    Der Betroffene wird wegen Verzugs mit der Entrichtung von mehr als 6 Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung zur Geldbuße von 500 Euro verurteilt.

  • III.

    Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

  • IV.

    Der Betroffene trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Jedoch wird die Gebühr für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf die Hälfte ermäßigt. Die Staatskasse trägt die im Rechtsbeschwerdeverfahren angefallenen Auslagen und die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zur Hälfte.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 19.04.2023 wegen Verzugs mit der Entrichtung von 6 Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung in 4 Fällen gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI, § 20 OWiG zu Einzelgeldbußen in Höhe von jeweils 250 Euro, weil er nach den tatrichterlichen Feststellungen im Zeitraum von August 2019 bis Januar 2022 jeweils für einen Zeitraum von 6 Monaten die Beiträge zur privaten Pflegeversicherung nicht entrichtet hat. Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit ihrer Zuleitungsschrift vom 07.07.2023 beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthaft.

a) Für die Frage, ob die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG oder ein Zulassungsantrag gemäß § 80 Abs. 1 OWiG statthaft ist, kommt es nicht auf die Urteilsformel der angefochtenen Entscheidung, sondern - wie sich aus § 79 Abs. 2 OWiG ergibt - darauf an, ob mehrere Taten im prozessualen Sinne (§ 264 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) Gegenstand des Urteils sind und ob für einzelne Taten Bußgelder jeweils über der Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG verhängt wurden. Die Beurteilung, ob eine oder mehrere Taten im prozessualen Sinne vorliegen, hat das Rechtsbeschwerdegericht anhand der tatrichterlichen Feststellungen in eigener Zuständigkeit zu treffen (vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 24.10.2022 - 202 ObOWi 1150/22 bei juris m.w.N.).

b) Nach den getroffenen Feststellungen handelt es sich indes nicht um unterschiedliche Taten im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO, sondern sowohl materiell-rechtlich und deshalb erst recht prozessual um eine einheitliche Tat.

Die vom Amtsgericht vertretene Auffassung, wonach aufgrund der Regelung des § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI, nach der eine Ordnungswidrigkeit bei einem Verzug mit der Entrichtung von 6 Monatsprämien zur Pflegeversicherung erfüllt ist, davon auszugehen sei, dass mit jedem Abschluss eines 6 Monatszeitraums eine neue Tat begangen werde, ist rechtsfehlerhaft. Das Amtsgericht hat verkannt, dass es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. Udsching/Schütze SGB XI Soziale Pflegeversicherung 5. Aufl. § 121 SGB XI Rn. 8) in Form eines Dauerverhaltens handelt, das seinen Abschluss erst mit der Entrichtung der Beiträge findet. Die Vorschrift ist daher so verstehen, dass ab einem Verzugszeitraum von mindestens 6 Monaten der Bußgeld...

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