Entscheidungsstichwort (Thema)
Freispruch. Revision. Sachrüge. Staatsanwaltschaft. Nebenkläger. Nebenklägerin. Eingriff. gefährlich. Gefahr. Gefährlichkeit. konkret. Leib. Leben. Straßenverkehr. Beleidigung. Körperverletzung. Vollendung. Versuch. Pferd. Stute. Reiten. Reiter. Reiterin. Straße. Gemeindestraße. Schreck. Schreckreaktion. erschrecken. Schnee. Schneeschaufel. Aufregung. Tatentschluss. Vorsatz. Gefährdungsvorsatz. Verletzungsvorsatz. dolus eventualis. kognitiv. voluntativ. Urteilsgründe. Anklagevorwurf. Anklageschrift. Darstellungsmangel. Beruhen. Verfahrensvoraussetzungen. Tat. Tatbegriff. Tathandlung. Kognitionspflicht. Kognitionspflichtverletzung. abstrakt. Prognose. Zufall. Rechtsgutsverletzung. Unfall. Beinahe-Unfall. Beweiswürdigung. Überzeugungsbildung. Tatmotiv. Nachbarschaftsstreit. Verfahrenshindernis. Strafantrag. Verfolgungswille
Leitsatz (amtlich)
1. Der Straftatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (hier: § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB) setzt den Eintritt einer konkreten Gefahr voraus. Eine solche Gefahr ist bei einer Einwirkung auf ein im Straßenverkehr bewegtes Pferd nicht gegeben, wenn das Tier zwar kurzzeitig in Aufregung gerät, aber sogleich von dem Reiter unter Kontrolle gebracht werden kann.
2. Teilt das tatrichterliche Urteil im Falle eines Freispruchs den Anklagevorwurf nicht mit, stellt dies keinen zur Aufhebung führenden durchgreifenden Rechtsfehler dar, weil das Revisionsgericht den Inhalt der Anklageschrift zur Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ohnehin von Amts wegen zur Kenntnis nehmen muss.
3. Die Verfahrensvoraussetzung eines Strafantrags ist nur dann erfüllt, wenn sich der Wille des Verletzten zur Antragstellung auch auf das Tatgeschehen, für welches das Strafantragserfordernis besteht, erstreckt.
Normenkette
StGB §§ 22, 185, 194 Abs. 1, § 223 Abs. 1-2, § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2; StPO § 264 Abs. 1, § 337 Abs. 1, § 344 Abs. 2 S. 2, § 473 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LG Bayreuth (Entscheidung vom 23.05.2022) |
Tenor
I. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 23.05.2022 werden als unbegründet verworfen.
II. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die den Angeklagten dadurch und durch die Revision der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte die Angeklagten am 18.01.2022 wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (beim Angeklagten im Stadium des Versuchs) in Tateinheit mit versuchter "vorsätzlicher" Körperverletzung jeweils zu Geldstrafen. Auf die hiergegen gerichteten Berufungen der Angeklagten hat das Landgericht Bayreuth mit Urteil vom 23.05.2022 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen; die auf die Rechtsfolgenaussprüche beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat es verworfen. Mit ihrer gegen die Freisprüche gerichteten und von der Generalstaatsanwaltschaft München vertretenen Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Nebenklägerin stützt ihre ebenfalls eingelegte Revision auf die Sachrüge.
II.
Die Berufungskammer hat folgende Feststellungen getroffen: Die beiden miteinander verheirateten Angeklagten und die Nebenklägerin sind Nachbarn. Am Nachmittag des 19.01.2021 ritt die Nebenklägerin auf ihrem Pferd auf der öffentlichen Gemeindestraße zwischen den Anwesen der Angeklagten und der Familie der Nebenklägerin. Der Nebenklägerin war aufgrund vorangegangener Vorfälle mit den Angeklagten bekannt, dass diese aufgrund einer langjährigen Nachbarschaftsstreitigkeit mit der Familie der Nebenklägerin immer wieder versuchen, die Pferde der Nebenklägerin beim Passieren ihres Grundstücks zu erschrecken. Aus diesem Grund hatte die Nebenklägerin ca. eine Minute vor Erreichen des Anwesens der Angeklagten die Kamera ihres Mobiltelefons eingeschaltet, um eventuelle Übergriffe auf sie oder ihr Pferd zu dokumentieren und - wie bereits wiederholt in der Vergangenheit - zur Anzeige zu bringen. Als sich die Nebenklägerin dem Haus der Angeklagten näherte, waren diese mit Schneeräumarbeiten beschäftigt. Während die Nebenklägerin an der Angeklagten vorbeiritt, warf diese mit der Schneeschaufel eine geringe Menge Schnee dem Pferd hinterher. Die Berufungskammer konnte nicht feststellen, ob das Pferd von dem Schnee getroffen wurde. Die von der Nebenklägerin gerittene Stute geriet hierdurch in eine gewisse Aufregung, konnte jedoch von ihr nach wenigen Sekunden unter Kontrolle gebracht werden. Zu einem Sturz oder einer Verletzung der Nebenklägerin kam es nicht. Auch die konkrete Gefahr eines Sturzes konnte nicht festgestellt werden. Dass die Angeklagte einen solchen Sturz und eine daraus resultierende mög...