Leitsatz (amtlich)
Bei einem schon vielfach vorbestraften Täter, der die Tat während zweier laufender Bewährungen begangen hat, bestehen besonders hohe Anforderungen an die Begründungstiefe der Prognoseentscheidung.
Trotz der zunächst gegebenen Bewertungsprärogative des Tatrichters, der sich aufgrund mündlicher Verhandlung einen persönlichen Eindruck über die aktuelle Lebenssituation des Angeklagten verschaffen kann, genügen in Fällen mehrfachen Bewährungsversagens die schlichten Angaben des Angeklagten hierzu nicht.
Normenkette
StGB § 56 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Regensburg (Entscheidung vom 04.12.2019; Aktenzeichen 27 Ds 105 Js 13225/19) |
Tenor
I.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 4.12.2019 samt den ihm insoweit zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
II.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Regensburg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 4.12.2019 hat das Amtsgericht Regensburg - Strafrichter - den Angeklagten wegen Diebstahls von 4 Flaschen Bier u.a. im Gesamtwert von 5,03 EUR zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.
Gegen das ihr am 30.12.2019 gem. § 41 StPO zugestellte Urteil des Amtsgerichts Regensburg hat die Staatsanwaltschaft Regensburg am 11.12.2019 Revision eingelegt und durch Verfügung vom 3.1.2020, beim Amtsgericht Regensburg eingegangen am 9.1.2020, mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. Der Angriff der Staatsanwaltschaft beschränkt sich auf die dem Angeklagten gewährte Strafaussetzung zur Bewährung. Die von der Generalstaatsanwaltschaft München vertretene Revision der Staatsanwaltschaft rügt, dass die Feststellungen des angegriffenen Urteils die Gewährung der erneuten Strafaussetzung zur Bewährung nicht tragen. Das angefochtene Urteil werde den erhöhten Darlegungsanforderungen bei angenommener günstiger Sozialprognose trotz erheblicher Vorstrafen und massiven zweifachen Bewährungsversagens nicht gerecht.
II.
Die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft ist zulässig (§§ 335 Abs. 1, 341 Abs.1, 3, 344, 345 StPO) und hat in der Sache - zumindest vorläufigen - Erfolg. Die Sprungrevision konnte auf die dem Angeklagten gewährte Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt werden, weil dieser Beschwerdepunkt losgelöst von den nicht angefochtenen Teilen des Urteils rechtlich und tatsächlich selbstständig überprüft und beurteilt werden kann.
Die dem Angeklagten gewährte Strafaussetzung zur Bewährung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand:
1. Dem Tatrichter kommt bei der nach § 56 Abs. 1 StGB vorzunehmenden Legal- und Sozialprognose ein weiter Beurteilungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Das Revisionsgericht kann nur in den Ausnahmefällen eingreifen, in denen das angegriffene Urteil die Mindestanforderungen an die Begründung unterschreitet. Diese Grenzziehung ist allerdings nicht abstrakt zu bestimmen, sondern abhängig vom konkreten Einzelfall.
Bei einem, wie hier, schon vielfach vorbestraften Täter, der die Tat während zweier laufender Bewährungen begangen hat, bestehen besonders hohe Anforderungen an die Begründungstiefe der Prognoseentscheidung. Denn bereits die zweite Bewährung hat nach ständiger Rechtsprechung des Senats absoluten Ausnahmecharakter (Senatsbeschluss vom 6.6.2019, Az. 203 StRR 799/19). Das Tatgericht hat in diesen Fällen die außergewöhnlichen Umstände darzulegen, die es erwarten lassen, dass sich der Angeklagte, trotz zweifachen Bewährungsversagens in Zukunft straffrei führen wird. Der Tatrichter muss sich dabei mit der Tat und den Vortaten dezidiert auseinandersetzen. Die Vorverurteilungen sind nicht nur zu benennen, sondern es sind die diesen Urteilen zugrundeliegenden Sachverhalte so mitzuteilen, dass das Revisionsgericht sie seiner Bewertung zugrunde legen kann (BayObLG Urt. v. 8.11.2019, Az. 207 StRR 1863/19; OLG Köln Beschluss v. 24.5.2016 Az. 1 RVs 83/16 - juris).
Weiter hat das Tatgericht sich mit der - nachträglich betrachtet - falschen Sozialprognose der Vorverurteilungen auseinanderzusetzen und die gegenwärtigen Lebensverhältnisse des Angeklagten substantiell mitzuteilen, um sodann in einer plausiblen Begründung darzulegen, auf welche konkret zu benennende geänderte Umstände sich die Erwartung künftig straffreien Lebens stützt (vgl. KG, Urt. v. 26.02.2020 - 3 Ss 11/20 - juris). Trotz der zunächst gegebenen Bewertungsprärogative des Tatrichters, der sich aufgrund mündlicher Verhandlung - anders als das Revisionsgericht - einen persönlichen Eindruck über die aktuelle Lebenssituation des Angeklagten verschaffen kann, genügen in Fällen mehrfachen Bewährungsversagens die schlichten Angaben des Angeklagten hierzu nicht. Das Tatger...