Leitsatz (amtlich)

›1. Sind Staatsangehörige der in der Anlage I zur DVAuslG aufgeführten Staaten vor dem Inkrafttreten der VO(EG) 539/2001 vom 15.3.2001 (AB1 EG vom 21.3.2001/L081/1) über die EU-Außengrenze in die Bundesrepublik eingereist und dort einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, so war ihr Aufenthalt, nicht aber ihre Einreise, unerlaubt.

2. Der Begriff der Erwerbstätigkeit setzt eine über den Einzelfall hinausgehende, nachhaltig ausgeübte Tätigkeit voraus. Werden zu geschäftlichen Zwecken und in Gewinnerzielungsabsicht Waren in der Bundesrepublik zum Zweck der Veräußerung im Ausland angekauft, so liegt Erwerbstätigkeit vor.‹

 

Tatbestand

Der Angeklagte, ein polnischer Staatsangehöriger, reiste ohne im Besitz eines Visums zu sein, am 12.3.2001 in die Bundesrepublik Deutschland ein, um hier gebrauchte Milchsammelbehälter mit Kühlaggregaten zu kaufen, die er in Polen mit Gewinn wieder verkaufen wollte. Dabei wurde er am 13.3.2001 kontrolliert und zur Ausreise aufgefordert.

Das Amtsgericht sprach den Angeklagten am 22.5.2001 vom Vorwurf frei, am 12.3.2001 unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist zu sein und sich seitdem dort unerlaubt aufgehalten zu haben.

Das Amtsgericht stellte darüber hinaus fest, eine im Jahre 1999 erfolgte Anfrage des Verteidigers des Angeklagten beim zuständigen Ausländeramt habe ergeben, dass dieser für seine Einkäufe im Bundesgebiet kein Visum benötige.

Diese Feststellungen wertete das Amtsgericht dahingehend, dass der Angeklagte im Bundesgebiet keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und folglich kein Visum benötigt habe. Bei einer reinen Einkaufstätigkeit, bei der ein Gewinn erst durch Verkaufsgeschäfte in Polen anfalle, handle es sich um keine Erwerbstätigkeit.

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die (Sprung-)Revision ist zulässig (§ 335 Abs. 1, §§ 312, 341, 344, 345 StPO) und wegen sachlich-rechtlicher Mängel begründet. Der Senat kann angesichts der nur unzureichenden Feststellungen zum äußeren Sachverhalt nicht überprüfen, ob sich der Angeklagte strafbar gemacht hat.

Wegen unerlaubten Aufenthalts macht sich nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG strafbar, wer sich entgegen § 3 Abs. 1 Satz 1 AuslG ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhält und keine Duldung nach § 55 Abs. 1 AuslG besitzt. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AuslG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet einer Aufenthaltsgenehmigung in Form eines Sichtvermerks (Visum), wobei nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AuslG das Bundesministerium des Innern zur Erleichterung des Aufenthalts von Ausländern Rechtsverordnungen erlassen kann. § 1 Abs. 1 Satz 1 DVAuslG sieht daher vor, dass Staatsangehörige der in der Anlage I zu dieser Verordnung aufgeführten Staaten bei Vorliegen der erforderlichen Personaldokumente bei einem Aufenthalt bis zu drei Monaten keiner Aufenthaltsgenehmigung bedürfen, solange sie keine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Das trifft für polnische Staatsangehörige zu.

1. Den Feststellungen kann der Senat jedoch nicht entnehmen, ob der Angeklagte erwerbstätig gewesen ist. Insoweit stehen ihm zur Prüfung im Rahmen der Sachrüge grundsätzlich nur die Urteilsgründe zur Verfügung (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 337 Rn. 22, 23). Alle anderen Erkenntnisquellen wie der Inhalt der Akte sind ihm verschlossen. Aus den Gründen ergibt sich aber nur, dass der Angeklagte in Gewinnerzielungsabsicht Milchsammelbehälter erwerben wollte, um sie in Polen zu verkaufen. Darüber hinaus erschließt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass er solche Einkäufe auch schon in den zurückliegenden Jahren unternommen hat. Das reicht zur Prüfung, ob seine Tätigkeit als Erwerbstätigkeit zu bewerten ist, nicht aus.

2. Der Begriff der Erwerbstätigkeit ist in § 12 Abs. 1 DVAuslG dahingehend bestimmt, dass hierunter jede selbständige und unselbständige Tätigkeit fällt, die auf die Erzielung von Gewinn gerichtet oder für die ein Entgelt vereinbart oder üblich ist oder für die eine Arbeits- oder sonstige Berufsausbildungserlaubnis erforderlich ist.

Nach den bisherigen Feststellungen kann die vom Angeklagten entfaltete Tätigkeit den Begriff der Erwerbstätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 12 Abs. 1 DVAuslG erfüllen. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob dem Angeklagten der erstrebte Gewinn aus einer im Inland entfalteten Tätigkeit bereits dort oder erst im Ausland zufließt. Entscheidend ist allein, ob er in der Bundesrepublik eine Tätigkeit ausübt, die auf Gewinnerzielung gerichtet ist (BayObLG v. 25.4.1978 RReg. 4 St 255/77 m. w. N.). Andererseits kommt als Erwerbstätigkeit nur eine solche über einen Einzelfall hinausgehende, nachhaltig ausgeübte Beschäftigung in Betracht. Das ergibt sich sowohl aus dem Sinn des Begriffs, den er nach dem allgemeinen Sprachgebrauch hat, als auch aus dem Zusammenhang der angeführten Vorschrift. Wirtschaftlich bedeutungslose, einzelne Betätigungen, wie etwa der Erwerb von Waren zur Deckung...

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