Leitsatz
Zentrales Problem dieser Entscheidung war die Frage, ob auch der betreuende Elternteil zur Leistung von Barunterhalt bei erheblichem finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Elternteilen herangezogen werden kann.
Sachverhalt
Getrennt lebende Eheleute stritten sich um den Kindesunterhalt. Die Trennung war Anfang 2007 erfolgt durch den Auszug des Beklagten aus der Ehewohnung. Hierbei handelt es sich um eine finanzierte und im gemeinsamen Eigentum der Parteien stehende Immobilie. Die am 8.12.1996 geborene gemeinsame Tochter blieb bei der Klägerin. Ende April 2007 zog auch die Klägerin mit der Tochter aus der Ehewohnung aus. Sie forderte den Beklagten mit Schreiben vom 6.2.2007 zur Auskunft über sein Einkommen auf. Er leistete in der Folgezeit Kindesunterhalt in wechselnder Höhe.
Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte verfüge über ein monatliches Einkommen von 1.291,90 EUR abzgl. des Netto-Arbeitgeberbeitrages von 17,28 im Rahmen der vermögenswirksamen Leistungen. Auf dieser Grundlage hat sie den Unterhaltsanspruch der Tochter zutreffend mit monatlich 257,00 EUR für den Zeitraum von Februar bis Juni 2007, von monatlich 254,00 EUR für den Zeitraum von Juli bis Dezember 2007 sowie von monatlich 278,00 EUR ab Januar 2008 errechnet.
Der Beklagte hatte behauptet, die Klägerin habe im Jahre 2007 über ein monatliches Nettoeinkommen von 2.275,89 EUR verfügt. Ferner habe sie eine Steuererstattung von 1.788,96 EUR erhalten sowie die Eigenheimzulagen von 2.050,00 EUR, so dass ihr insgesamt ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 2.595,80 EUR zur Verfügung gestanden habe. Aufgrund dessen sei sie verpflichtet, den gesamten Barunterhalt für die gemeinsame Tochter zu zahlen.
Die Klägerin hat dem entgegen gehalten, dieses Einkommen "nur mit viel Mühe" erzielt zu haben, da sie seit 2005 unter Depressionen leide und im September 2006 einen Hinterwandinfarkt erlitten habe.
Erstinstanzlich wurde der Beklagte zur Zahlung monatlichen Unterhalts i.H.v. 139,00 EUR ab Februar 2008 verurteilt.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.
Ihr Rechtsmittel hatte teilweise Erfolg.
Entscheidung
Das OLG wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass der Beklagte im vorliegenden Fall nur denjenigen Unterhalt schulde, den er unter Wahrung seines angemessenen Selbstbehalts i.H.v. monatlich 1.100,00 EUR zahlen könne. Nach § 1603 Abs. 1 BGB bestehe eine Unterhaltspflicht auch ggü. Kindern nur, soweit der angemessene Unterhalt des Pflichtigen selbst nicht berührt werde. Damit sei der sog. angemessene Eigenbedarf gemeint, der auch ggü. minderjährigen Kindern in der Regel bei 1.100,00 EUR liege (Wendl/Staudigl/Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl., § 2 Rz. 272, 274a).
Dabei verbleibe es, wenn die gesteigerte Unterhaltspflicht gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 und 2 BGB nicht eingreife, weil "ein anderer leistungsfähiger Verwandter vorhanden sei". Als solcher komme auch der betreuende Elternteil in Betracht (BGH, Urt. v. 31.10.2007 - XII ZR 112/05, FamRZ 2008, 137).
So liege es im vorliegenden Fall. Den Einkünften des Beklagten i.H.v. 1.271,39 EUR ständen jedenfalls solche der Klägerin i.H.v. 2.263,90 EUR gegenüber. Würde der Beklagte den vollen Tabellenunterhalt von 257,00 EUR leisten, verbliebe ihm nur ein Betrag von rund 1.014,00 EUR. Zahle die Klägerin diesen Unterhalt, verfüge sie noch über rund 2.006,00 EUR und damit über mehr als 900,00 EUR oberhalb des angemessenen Selbstbedarfs und über rund 730,00 EUR mehr als der Beklagte. Ferner übersteige das Einkommen der Klägerin dasjenige des Beklagten nach Abzug des vollen Tabellenkindesunterhalts auf seiner Seite um mehr als das Doppelte. Damit bestehe ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern. Dieses Ungleichgewicht sei auch nicht durch eine Erhöhung des angemessenen Selbstbehalts der Klägerin korrigierbar. Konkreter Betreuungsmehrbedarf der Tochter sei bereits berücksichtigt. Ob der Klägerin wegen ihrer krankheitsbedingten Belastungen unter dem Aspekt der Unzumutbarkeit der Erwerbstätigkeit ein Bonus anzurechnen sei, der ihr Einkommen herabsetze, bedürfe keiner abschließenden Entscheidung.
Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin nur mit einem Anteil von etwa 1/ 3 am Barunterhalt für ihre Tochter zu beteiligen habe, da das Bestehen eines erheblichen finanziellen Ungleichgewichts die Inanspruchnahme des barunterhaltspflichtigen Elternteils nur insoweit hindere, als damit der eigene angemessene Unterhalt gefährdet wäre. Der Beklagte schulde folglich Kindesunterhalt, soweit er oberhalb des angemessenen Eigenbedarfs von 1.100,00 EUR dazu in der Lage sei.
Link zur Entscheidung
OLG Hamm, Urteil vom 10.03.2009, 3 UF 118/08