Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Normenkette
§ 3 Abs. 2 WEG, § 7 WEG, § 8 WEG
Kommentar
Der Leitsatz der Beschlussentscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 30. 6. 1992, auf die bereits oben auf Seite 1713 hingewiesen worden war, lautet:
Wohnungen und sonstige Räume in bestehenden Gebäuden können auch dann im Sinne von § 3 Abs. 2 S. 1 WEG in sich abgeschlossen sein, wenn die Trennwände und Trenndecken nicht den Anforderungen entsprechen, die das Bauordnungsrecht des jeweiligen Bundeslandes aufstellt.
Die Vorlage des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs aufgrund abweichender Meinung zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zulässig.
Für die Auslegung (i. S. des BGH) spricht im Lichte der Verkehrsanschauung schon der Wortlaut des Gesetzes, wonach Sondereigentun nur eingeräumt werden soll, wenn die Wohnungen "in sich abgeschlossen", dem Wortsinn nach also nicht ohne weiteres zugänglich sind.
Auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes lassen sich Bezüge auf das Bauordnungsrecht (der Länder) nicht entnehmen (was in der Begründung näher ausgeführt wird). Die Abgeschlossenheitsfrage sollte in erster Linie größtmögliche Ausschaltung aller gegenseitigen Störungen der Hausbewohner bieten. Die Selbstständigkeit des Sondereigentums wurde gleichgesetzt mit völliger Trennung und Abgeschlossenheit der einzelnen Wohnungen. Die im WEG-Entwurf des Bundesministeriums der Justiz vom 22. 9. 1950 vorgesehene schärfere Formulierung unter Hinweis auf weitergehende Störungsabwehr durch geeignete Bauweise wurde in den Neufassungsberatungen verworfen. Abgeschlossenheit sollte allein im engeren räumlichen Sinne gewährleistet sein, wobei weitergehende Anforderungen an die Bauqualität zwar erwogen, aber nicht zum Inhalt des Gesetzes erhoben wurden.
Auch die systematische und teleologische Auslegung des WEG ergibt, dass der Begriff "in sich abgeschlossen" vom sachenrechtlichen Bedarf der Eigentumsabgrenzung im Sinne der Rechtsklarheit bestimmt wird, wobei Schutzgegenstand der Abgeschlossenheit im Sinne des WEG das Sondereigentum ist (in Abgrenzung zu nur begründeten Sondernutzungsrechten). Der Herrschaftsbereich des Sondereigentums wird mittels Abgeschlossenheit sowohl klar und dauerhaft abgegrenzt als auch gegen widerrechtliches Eindringen tatsächlich abgeschirmt (Gewährung des "Burgfriedens", den ein Heim auf eigenem Grund und Boden von Natur aus hat). Eine weitergehende Funktion des Abgeschlossenheitserfordernisses ist dem Regelungszusammenhang des WEG nicht zu entnehmen.
Auch eine Verweisung auf das Länder-Bauordnungsrecht ergibt sich insbesondere nicht aus § 7 Abs. 4 Nr. 2 WEG. Die Einschaltung der Baubehörde bleibt allerdings auch dann sinnvoll, wenn sie allein dazu dient, dem Grundbuchamt die Prüfung bautechnischer Fragen zu erleichtern, obgleich das Grundbuchamt nicht an die Abgeschlossenheitsbescheinigung gebunden ist, vielmehr in eigener Verantwortung zu prüfen hat, ob die Baubehörde § 3 Abs. 2 S. 1 WEG richtig ausgelegt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.12.1987, 8 C 55/85). Eine Abhängigkeit der Abgeschlossenheit von bauordnungsrechtlichen Bestimmungen lässt sich auch nicht aus der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Ausstellung von Bescheinigungen vom 19. 3. 1974 herleiten (was in den Gründen näher ausgeführt wird). Die auf wohnungseigentumsgesetzlicher Grundlage erlassene Verwaltungsvorschrift (vgl. ETW, Gruppe 12/I, S. 27) dient nur zur verwaltungstechnischen Umsetzung der WEG-Bestimmung; sie kann den gesetzlich vorgegebenen Abgeschlossenheitsbegriff nicht abändern, sondern muss sich ihrerseits an ihm messen und nach ihm auslegen lassen. Bauordnungsrechtliche Anforderungen können den Inhalt des Abgeschlossenheitsbegriffes nicht verengen. Andernfalls würde die Gefahr landesrechtlicher Auflösung des bundesrechtlichen Abgeschlossenheitsbegriffes begründet mit unterschiedlichen Voraussetzungen in den einzelnen Bundesländern. Auch die Rechtseinheitlichkeit ist in den alten und neuen Bundesländern aufrecht zu erhalten.
Eine restriktive (einengende) Auslegung des Abgeschlossenheitsbegriffes würde auch erklärte Ziele des WEG unterlaufen (Ermöglichung breiter Streuung des Eigentums, Erschließung des Immobilienmarktes für kleineres und mittleres Privatkapital, insbesondere Sparkapital, Belebung der Bautätigkeit). Auch bereits errichtete Häuser nehmen dabei keine Sonderstellung ein. Über bauordnungsrechtliche Anforderungen würde damit auch die Sondereigentumsbildung in umzuwandelnden Wohnungen erheblich erschwert, was dem Gesetzeszweck widerspricht.
Die Mitte der 80er Jahre verfolgte sog. Münchener Linie habe sich von mietpolitischer Erwägung leiten lassen, um häufigen Missständen auf dem Wohnungsmarkt zu begegnen; verhindert werden sollte die massenweise Verdrängung von Mietern, zumal aus zahlungsschwächeren Bevölkerungskreisen, durch "Luxussanierungen" der Mietwohnungen nebst anschließender Umwandlung in Wohnungseigentum und Veräußerung an finanzkräftige Interessenten, die ihrerseits Eigenbedarf geltend machen könnten. ...