Christoph Weling, Gido Schür
a) Umfang des Ehegattenerbrechts
Rz. 40
Das Erbrecht des überlebenden Ehegatten wurde durch Gesetz vom 14.5.1981 grundlegend in der Weise reformiert, dass er neben Verwandten des Erblassers ein weit umfänglicheres eigenes gesetzliches Erbrecht erhält. Der Umfang seines gesetzlichen Erbrechts wird durch den Güterstand, in dem er mit seinem vorverstorbenen Ehepartner gelebt hat, und durch das Vorhandensein erbberechtigter Verwandter bestimmt.
Rz. 41
Neben Abkömmlingen des Erblassers (Erben erster Klasse) – gleich, ob es sich um eheliche oder nichteheliche Kinder, Kinder aus früheren Ehen oder Adoptivkinder bzw. deren Abkömmlinge handelt – erbt der überlebende Ehegatte gem. Art. 4.17 ZGB ein Nießbrauchsrecht am gesamten Nachlass, also an dem Eigengut des Verstorbenen, und, sofern die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft belgischen Rechts oder im vertraglichen Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft gelebt haben, auch ein Nießbrauchrecht an seinem Anteil am Gesamtgut.
Rz. 42
Neben Verwandten in der zweiten oder der dritten Klasse (Erben aus der aufsteigenden Linie sowie Geschwister) erbt der überlebende Ehegatte laut Art. 4.17 ZGB:
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im gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft bzw. vertraglicher Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft: das volle Eigentum des Anteils des Verstorbenen am Gesamtgut und das Nießbrauchsrecht an seinem Eigengut |
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im Güterstand der Gütertrennung: das volle Eigentum am Anteil des Verstorbenen im ausschließlich zwischen dem Vorverstorbenen und dem überlebenden Ehegatten bestehenden Miteigentum sowie ein Nießbrauchrecht über das restliche Sondergut des Verstorbenen. |
Rz. 43
Hinterlässt der Erblasser keine Erben aus den drei ersten Erbklassen des belgischen Rechts, so ist der überlebende Ehegatte sein Alleinerbe.
Gemäß Art. 4.3 ZGB nimmt der überlebende Ehegatte den Nachlass, auch soweit ihm nur ein Nießbrauchsrecht zusteht, in Besitz (saisine), ohne dass es einer Besitzeinweisung durch etwaige Miterben bedarf. Als Gesamtrechtsnachfolger tritt er damit unmittelbar in alle Rechte und Pflichten des Erblassers ein.
Rz. 44
Wenn die Eheleute unter dem Güterstand der deutschen Zugewinngemeinschaft verheiratet waren, jedoch das belgische Erbschaftsrecht hinsichtlich der Nachlassabwicklung anwendbar ist, stellt sich die Frage, ob die Erbquote gemäß deutschem Recht dem überlebenden Ehegatten zusteht oder nicht, da das belgische Erbrecht diese Erbquote nicht kennt. Die Antwort auf dieser Frage hängt davon ab, ob die deutsche Erbquote als güterrechtliche oder erbrechtliche Natur auszulegen ist.
Der europäische Gerichtshof hat sich in seinem Urt. v. 1.3.2018 (Ref. C-558–16 – Mahnkopf) für die erbrechtliche Auslegung entschieden. Dem wurde zugrunde gelegt, dass das Ziel der deutschen Gesetzgebung hinsichtlich der Erbquote nicht die Aufteilung der Güter zwischen Eheleuten oder die Auflösung des ehelichen Güterstandes ist, sondern die Ermittlung des Erbteils, der dem überlebenden Ehegatten zukommt. Diese Auslegung, die für alle EU-Mitgliedstaten bindend ist, hat zur Folge, dass die deutsche Erbquote nicht angewandt wird, falls der Nachlass belgischem Recht unterliegt.
b) Ausgestaltung des Ehegattennießbrauchs
Rz. 45
Für das Verhältnis zwischen dem nießbrauchsberechtigten Ehegatten und den erbberechtigten Verwandten des Erblassers als den bloßen Eigentümern gilt Folgendes:
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Auf Verlangen der bloßen Eigentümer hat der nießbrauchsberechtigte Ehegatte gem. Art. 4.21 ZGB ein Verzeichnis (Inventar) der beweglichen Sachen, auf die sich sein Nießbrauchsrecht erstreckt, anzufertigen, Geld anzulegen und Inhaberpapiere auf einem gemeinsamen Depot zu hinterlegen oder in Namenspapiere umzuwandeln. Der Erblasser kann diese Verpflichtung durch testamentarische oder vertragliche Bestimmung nicht ausschließen. |
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Vergleichbar dem deutschen Recht trägt der Nießbraucher gem. Art. 3.153–3.154 ZGB die auf das vom Nießbrauchsrecht erfassten Vermögen entfallenden öffentlichen und privaten Lasten und Unterhaltungskosten, mit Ausnahme großer Reparaturen i.S.d. Art. 3.153–3.154 ZGB, und im Gegenzug gebühren ihm sämtliche Nutzungen und Erträge. |
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Sowohl der Nießbrauchsberechtigte als auch die Erben erster Klasse, also die Abkömmlinge des Erblassers als bloße Eigentümer, können einseitig gem. Art. 4.61 ZGB die endgültige Auseinandersetzung über den Nachlass in der Weise verlangen, dass das Nießbrauchsrecht gegen Zahlung einer einmaligen Abfindungssumme oder einer Rente aufgehoben oder umgekehrt in volles Eigentum umgewandelt wird. Der Nießbrauch an der Immobilie, die der Familie am Tag des Eintritt... |