Christoph Weling, Gido Schür
a) Allgemeines
Rz. 95
Lebzeitige Schenkungen des Erblassers, die die verfügbare Quote übersteigen, sind nicht automatisch unwirksam. Die Pflichtteilerben haben jedoch das Recht, die Herabsetzung bzw Reduzierung zu verlangen, dass ihr Pflichtteil gewahrt bleibt. Von dieser Herabsetzung sind die getätigten Schenkungen in zeitlicher Reihenfolge, beginnend mit der jüngsten Verfügung, in dem Maße betroffen, bis die verfügbare Quote wieder erreicht ist, vgl. Art. 4.155 Abs. 4 ZGB. Dabei sind die lebzeitigen Schenkungen dem Nachlass zur Berechnung des Pflichtteils ohne zeitliche Beschränkung hinzuzurechnen. Die Rechte der Pflichtteilerben sind beschränkt, soweit sie einer Schenkung an eine in gerader Linie zur Erbschaft berufenen Person zugestimmt haben, vgl. Art. 4.152 S. 2 ZGB sowie oben Rdn 61 über Erbverträge. Vorstehendes gilt entsprechend für Lebensversicherungen, wenn und soweit sie nach dem Vertragsinhalt nicht einen Risikoschutz, sondern eine Form der Vermögensbildung zugunsten des Begünstigten darstellen.
b) Die "institution contractuelle"
Rz. 96
Die gebräuchlichste Form einer Schenkung auf den Todesfall stellt in Belgien zwischen Eheleuten die "institution contractuelle" oder "contractuelle erfstelling" (vertragliche Erbeinsetzung) dar. Praktisch kommt eine solche Regelung einer Alleinerbeinsetzung gleich, wenn sie das gesamte Vermögen des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes erfasst. Gleichwohl gilt das Verbot vertraglicher Erbeinsetzung in diesem Fall gem. Art. 4.233 § 1, 4.237 § 3 ZGB nicht.
Seit Inkrafttreten der belgischen Erbrechtsreform zum 1.9.2018 ist die vertragliche Erbeneinsetzung den Formvorschriften des Erbvertrages unterworfen (siehe oben Rdn 61).
Rz. 97
Eine solche institution contractuelle zugunsten der Ehefrau könnte beispielsweise wie folgt lauten:
Formulierungsbeispiel: „Der erschienene Ehemann erklärte:
1. |
alle etwaigen früheren Verfügungen von Todes wegen zu widerrufen; |
2. |
das volle Eigentumsrecht an der Gesamtheit der beweglichen und unbeweglichen Güter, die zu seinem Nachlass gehören werden, seiner Ehefrau ohne Ausnahme und ohne Vorbehalt unter Lebenden für den Fall zu schenken, dass sie ihn überlebt und die Lebensgemeinschaft zum Zeitpunkt seines Todes nicht durch eine faktische oder rechtliche Trennung aufgelöst ist. |
Falls Kinder oder Abkömmlinge zum Zeitpunkt seines Todes vorhanden sind und eine Minderung dieser Schenkung verlangen, schenkt der Erschienene seiner Ehefrau nach ihrer freien Wahl, welche innerhalb einer Frist von vier Monaten ab Ableben in einer notariellen Urkunde getroffen werden muss:
▪ |
entweder das volle Eigentumsrecht an dem größten verfügbaren Teil seines Nachlasses, zuzüglich zu dem gesetzlichen Nießbrauchsrecht in Bezug auf den restlichen Teil; |
▪ |
oder das Nießbrauchsrecht an der Gesamtheit seines Nachlasses. |
Die Nutznießerin wird von der Verpflichtung befreit, eine Sicherheit zu leisten und Vermögenswerte anzulegen.
Die Beschenkte wird außerdem allein berechtigt sein, die Umwandlung des Nießbrauchsrechts zu beantragen, so dass das Nutznießungsrecht in Bezug auf den Nachlass fortbesteht, wenn dies ihr ausdrücklicher Wille ist.“