Rz. 75

Das belgische Recht begrenzt die Befugnis, Verfügungen von Todes wegen zu errichten (und lebzeitige unentgeltliche Verfügungen vorzunehmen; siehe dazu Rdn 95), durch das Noterbrecht der Vorbehalts- bzw. Pflichtteilserben.[100] Zu diesem Personenkreis zählen die Abkömmlinge und der Ehegatte des Erblassers, Art. 913 ff. ZGB. Aszendenten sind mit der belgischen Erbrechtsreform zum 1.9.2018 als Reservaterben ausgeschieden.

Nur wenn solche Personen nicht vorhanden sind, kann der Erblasser frei über sein gesamtes Vermögen verfügen, Art. 916 ZGB, ansonsten nur über den Teil des Nachlasses, der nicht mit Noterbrechten belegt ist. Eine Überschreitung dieser Quote in einer Verfügung von Todes[101] wegen führt nicht zu ihrer Unwirksamkeit. Die Noterben sind vielmehr berechtigt, die Herabsetzung der Zuwendung (réduction) insoweit zu verlangen, dass ihr Noterbrecht gewahrt bleibt, Art. 920 ff. ZGB. Auf dieses Herabsetzungsrecht können die Noterben verzichten, jedoch grundsätzlich (unter Vorbehalt von Ehe-[102] und Erbverträgen[103]) nicht vor, sondern erst nach dem Tode des Erblassers.[104]

 

Rz. 76

Für Todesfälle vor dem 1.9.2018 hing die Höhe des Noterbrechts der Abkömmlinge am Nachlass von ihrer Anzahl ab: Es erfasste den halben Nachlass bei einem Kind, ⅔ bei zwei Kindern und ¾ bei drei und mehr Kindern, so dass die frei verfügbare Quote des Erblassers in diesen Fällen ½, ⅓ bzw. ¼ betrug.[105]

Für Erbschaften seit Inkrafttreten der Erbrechtsreform (1.9.2018) beträgt der Pflichtteil für Abkömmlinge die Hälfte der Erbmasse, ganz gleich wie viele Kinder der Erblasser hinterlässt.

 

Rz. 77

Hinterlässt der Erblasser neben Abkömmlingen einen Ehegatten, so kann er diesem die unter Berücksichtigung der Anzahl der Kinder vorhandene freie Quote des Nachlasses zu vollem Eigentum vermachen und darüber hinaus ein Nießbrauchsrecht an der Quote des Nachlasses, die dem Noterbrecht der Kinder unterliegt, vgl. Art. 1094 Abs. 1 ZGB.

 

Rz. 78

Umgekehrt hat der Ehegatte ein Noterbrecht in Form eines Nießbrauchsrechts am halben Nachlass des Verstorbenen, Art. 915 zweitens § 1 ZGB.

 

Beispiel:

Hinterlässt der Erblasser neben dem Ehegatten zwei Kinder, so betragen deren Noterbrechte ⅔ Anteil am Nachlass, so dass sich das Nießbrauchsrecht des Ehegatten anteilig, d.h. zu ⅓ auf den dem Noterbrecht unterliegenden Teil und zu 1/6 auf die freie Quote des Erblassers bezieht. Das Noterbrecht des überlebenden Ehegatten reduziert damit nicht die freie Quote des Erblassers, es ändert diese inhaltlich nur in der Weise, dass die freie Quote teilweise mit einem Nießbrauchsrecht belegt wird. In unserem Beispielsfall besteht die freie Quote des Erblassers zu 1/6 aus unbelastetem und zu 1/6 aus mit Nießbrauch belastetem Eigentum.[106]

 

Rz. 79

Statt des Nießbrauchsrechts am halben Nachlass kann der Ehegatte den Nießbrauch an der ehelichen Wohnung und an dem Hausrat (Präferenzgüter) verlangen, und zwar unter Anrechnung auf die abstrakte Nießbrauchsquote, ohne aber hierdurch begrenzt zu werden. Hieraus folgt, dass durch diesen Anspruch das Vermögen, welches dem Nießbrauchsrecht unterliegt, die Quote von ½ Anteil am Nachlass übersteigen kann.[107]

 

Rz. 80

Für Erbfälle vor dem 1.9.2018:

Die Aszendenten des Erblassers haben nur dann ein Noterbrecht, wenn er keine Kinder oder andere Abkömmlinge hinterlässt und sie durch testamentarische Verfügung von ihrem gesetzlichen Erbrecht ausgeschlossen wurden. Ist dies der Fall, so ist die Quote des Noterbrechts abhängig von der Anzahl der Aszendenten. Sind Aszendenten in der väterlichen und der mütterlichen Linie vorhanden, so beträgt die Quote der Noterbrechte insgesamt ½ Anteil am Nachlass; sind nur in der einen oder anderen Linie Aszendenten vorhanden, beträgt die Quote ¼ Anteil, Art. 915 Abs. 1 ZGB. Dabei ist zu beachten, dass dieses Noterbrecht der Aszendenten nicht gegenüber dem überlebenden Ehegatten und nicht gegenüber "gesetzlich Zusammenwohnenden", sondern nur gegenüber Dritten besteht. Zu Gunsten des überlebenden Ehegatten bzw. "gesetzlich Zusammenwohnenden" kann also unbeschränkt verfügt werden, Art. 915 Abs. 2 ZGB, Art. 1094 Abs. 2 ZGB. Bei Bedürftigkeit der Aszendenten kann darüber hinaus ein Unterhaltsanspruch gem. Art. 205 zweitens § 25 ZGB gegeben sein.

 

Rz. 81

Das Noterbrecht für Aszendenten wurde mit Inkrafttreten der belgischen Erbrechtsreform zum 1.9.2018 gänzlich abgeschafft und durch eine erweiterte Unterhaltspflicht des Nachlasses ohne Nachkommen gegenüber bedürftiger Aszendenten ersetzt. Diese Nachlassverbindlichkeit wird entweder in Form einer monatlichen Leibrente oder in Form eines Kapitals zuerkannt, Art. 205 zweitens § 2 ZBG.

[100] Zu der möglichen Reduzierung von Noterbrechten durch ehevertragliche Regelungen vgl. Rdn 92.
[101] Zur Überschreitung der verfügbaren Quote durch Schenkungen vgl. Rdn 95.
[102] Zur begrenzten Möglichkeit des Verzichts in Eheverträgen vgl. Rdn 84, 88.
[103] Vgl. Rdn 67 f.
[104] Bartsch, S. 81.
[105] Vgl. auch Süß, in: Mayer/Süß u.a., Handbuch Pflichtteilsrecht, S. 1020.
[106] Weitere Be...

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