Christoph Weling, Gido Schür
Rz. 75
Das belgische Recht begrenzt die Befugnis, Verfügungen von Todes wegen zu errichten (und lebzeitige unentgeltliche Verfügungen vorzunehmen; siehe dazu Rdn 95), zugunsten von sogenannten Pflichtteilerben. Zu diesem Personenkreis zählen die Abkömmlinge und der Ehegatte des Erblassers, Art. 4.415 ff. ZGB. Aszendenten sind mit der belgischen Erbrechtsreform zum 1.9.2018 als Reservaterben ausgeschieden.
Nur wenn solche Personen nicht vorhanden sind, kann der Erblasser frei über sein gesamtes Vermögen verfügen, Art. 4.148 ZGB, ansonsten nur über den Teil des Nachlasses, der nicht mit Pflichtteilerbrechten belegt ist. Eine Überschreitung dieser Quote in einer Verfügung von Todes wegen führt nicht zu ihrer Unwirksamkeit. Die Pflichtteilerben sind vielmehr berechtigt, die Herabsetzung der Zuwendung (réduction) insoweit zu verlangen, dass ihr Pflichtteil gewahrt bleibt, Art. 4.150 ff. ZGB. Auf dieses Herabsetzungsrecht können die Pflichtteilerben verzichten, jedoch grundsätzlich (unter Vorbehalt von Ehe- und Erbverträgen) nicht vor, sondern erst nach dem Tod des Erblassers.
Mit Inkrafttreten der belgischen Erbrechtsreform zum 1.9.2018 nimmt die Herabsetzung von Schenkungen oder Vermächtnissen, die den Pflichtteil verletzen, die Form eines schuldrechtlichen Anspruchs an, d.h. in Wert und nicht in Natura. Derjenige, der die Herabsetzung dulden muss, kann jedoch wählen, sie in Natura auszuführen. Vor der Reform erfolgte die Herabsetzung prinzipiell immer in Natura.
Rz. 76
Für Todesfälle vor dem 1.9.2018 hing die Höhe des Pfllichtteils der Abkömmlinge am Nachlass von ihrer Anzahl ab: Es erfasste den halben Nachlass bei einem Kind, ⅔ bei zwei Kindern und ¾ bei drei und mehr Kindern, so dass die frei verfügbare Quote des Erblassers in diesen Fällen ½, ⅓ bzw. ¼ betrug.
Für Erbschaften seit Inkrafttreten der Erbrechtsreform (1.9.2018) beträgt der Pflichtteil für Abkömmlinge die Hälfte der Erbmasse, ganz gleich wie viele Kinder der Erblasser hinterlässt.
Rz. 77
Hinterlässt der Erblasser neben Abkömmlingen einen Ehegatten, so kann er diesem die unter Berücksichtigung der Anzahl der Kinder vorhandene freie Quote des Nachlasses zu vollem Eigentum vermachen und darüber hinaus ein Nießbrauchsrecht an der Quote des Nachlasses, die dem Pflichtteilerbrecht der Kinder unterliegt, vgl. Art. 4.239 ZGB.
Rz. 78
Umgekehrt hat der Ehegatte ein Pflichtteilerbrecht in Form eines Nießbrauchsrechts am halben Nachlass des Verstorbenen, Art. 4.147 ZGB.
Rz. 79
Statt des Nießbrauchsrechts am halben Nachlass kann der Ehegatte den Nießbrauch an der ehelichen Wohnung und an dem Hausrat (Präferenzgüter) verlangen, und zwar unter Anrechnung auf die abstrakte Nießbrauchsquote, ohne aber hierdurch begrenzt zu werden. Hieraus folgt, dass durch diesen Anspruch das Vermögen, welches dem Nießbrauchsrecht unterliegt, die Quote von ½ Anteil am Nachlass übersteigen kann.
Rz. 80
Für Erbfälle vor dem 1.9.2018:
Die Aszendenten des Erblassers haben nur dann ein Pflichtteilerbrecht, wenn er keine Kinder oder andere Abkömmlinge hinterlässt und sie durch testamentarische Verfügung von ihrem gesetzlichen Erbrecht ausgeschlossen wurden. Ist dies der Fall, so ist die Quote des Pflichtteils abhängig von der Anzahl der Aszendenten. Sind Aszendenten in der väterlichen und der mütterlichen Linie vorhanden, so beträgt die Quote der Pflichtteilerbrechte insgesamt ½ Anteil am Nachlass; sind nur in der einen oder anderen Linie Aszendenten vorhanden, beträgt die Quote ¼ Anteil, Art. 915 Abs. 1 fr. ZGB. Dabei ist zu beachten, dass dieses Pflichtteil der Aszendenten nicht gegenüber dem überlebenden Ehegatten und nicht gegenüber "gesetzlich Zusammenwohnenden", sondern nur gegenüber Dritten besteht. Zu Gunsten des überlebenden Ehegatten bzw. "gesetzlich Zusammenwohnenden" kann also unbeschränkt verfügt werden, Art. 915 Abs. 2 ZGB, Art. 1094 Abs. 2 ZGB (jetzt, Art. 4.239 ZGB). Bei Bedürftigkeit der Aszendenten kann darüber hinaus ein Unterhaltsanspruch gem. Art. 205 zweitens § 2–5 ZGB gegeben sein.
Rz. 81
Das Pflichtteilerbrecht für Aszendenten wurde mit Inkrafttreten der belgischen Erbrechtsreform zum 1.9.2018 gänzlich abgeschafft und durch eine erweiterte Unterhaltspflicht des Nachlasses ohne Nachkommen gegenüber bedürftiger Aszendenten ersetzt. Diese Nachlassverbindlichkeit wird entweder in Form einer monatlichen Leibrente oder in Form eines Kapitals zuerkannt, Art. 205 zweitens § 2 ZBG.