Christoph Weling, Gido Schür
I. Allgemeines
Rz. 29
Regelungen zum belgischen Erbrecht finden sich in den Art. 4.1 ff. ZGB.
Die zum Zeitpunkt des Erbfalls lebende natürliche Person sowie die anschließend lebensfähig geborene Leibesfrucht sind erbfähig, Art. 4.4 ZGB und Art. 4.137 ZGB. Juristische Personen (d.h. Gesellschaften oder Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht) sind hingegen nur dann erbfähig, wenn dies von ihrer Zweckbestimmung umfasst ist, vgl. auch Art. 4.143 ZGB.
Rz. 30
Mit dem Erbfall übernimmt der Erbe im Wege der Gesamtrechtsnachfolge das gesamte Vermögen des Erblassers einschließlich seiner Verbindlichkeiten, Art. 3.14, 4.3 und 4.98 ff. ZGB. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Annahme der Erbschaft gem. Art. 4.39 ff. ZGB, die auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers zurückwirkt, Art. 4.39 ZGB i.V.m. Art. 4.1 ZGB.
Rz. 31
Die Annahme der Erbschaft kann ausdrücklich oder auch stillschweigend erfolgen, Art. 4.41 ZGB. Von einer stillschweigenden Annahme der Erbschaft ist auszugehen, wenn der Erbe durch Erklärungen oder sonstige Handlungen seine Erbenstellung zum Ausdruck bringt. Lediglich solche Maßnahmen begründen noch keine stillschweigende Annahme, die zur Erhaltung des Nachlasses und zur provisorischen Verwaltung dringend erforderlich sind. Auch aus der Abgabe der Erbschaftsteuererklärung wird noch nicht die stillschweigende Annahme der Erbschaft abgeleitet (siehe Rdn 123, 162).
Rz. 32
Nach erfolgter Annahme der Erbschaft kann diese vom betroffenen Erbe nur noch ausgeschlagen werden, nachdem die Erbschaftsannahme wirksam angefochten wurde (siehe Rdn 34). Eine Fiktion der Annahme durch Verstreichenlassen einer Frist gibt es hier – anders als im deutschen Recht – nicht. Die Befugnis zur Annahme der Erbschaft verjährt nach 30 Jahren, Art. 4.36, Abs. 2 ZGB i.V.m Art. 2262 ZGB. Eine Verpflichtung zur Annahme einer Erbschaft besteht nicht. Innerhalb der Frist des Art. 795 4.37 § 2 ist der Erbe nicht verpflichtet, sich über die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft zu erklären. Nach Ablauf dieser Frist kann er auf Abgabe einer entsprechenden Erklärung verklagt werden.
Rz. 33
Zur Vermeidung einer Haftung des Erben mit seinem persönlichen Vermögen für Nachlassverbindlichkeiten kann er die Annahme der Erbschaft unter dem Vorbehalt der Aufnahme eines Inventars erklären (siehe Rdn 125 f.).
Rz. 34
Die Anfechtung der Erbschaftsannahme kann nur nach Maßgabe des Art. 4.43 ZGB erfolgen, also im Fall der arglistigen Täuschung oder wenn nachträglich eine Verfügung von Todes wegen bekannt wird, durch die die Erbschaft um mehr als die Hälfte vermindert wird.
Rz. 35
Die Ausschlagung der Erbschaft hat ausdrücklich vor einem Notar zu erfolgen, Art. 4.44, 110 ZGB. Dies gilt auch, wenn der Erblasser außerhalb von Belgien verstorben ist.
II. Gesetzliche Erbfolge
1. Das gesetzliche Erbrecht der Verwandten
a) Einführung
Rz. 36
Im belgischen Erbrecht kann man Verwandte des Erblassers als gesetzliche Erben in vier Klassen einteilen, Art. 4.10 ZGB: Gesetzliche Erben der ersten Klasse sind die Abkömmlinge des Erblassers, die zweite Klasse wird von den Eltern und Geschwistern des Erblassers gebildet (privilegierte Aszendenten und Seitenverwandte), gefolgt von der dritten Klasse, den Verwandten in aufsteigender Linie (nicht privilegierte Aszendenten) und der vierten Klasse, den Verwandten in der Seitenlinie bis zum vierten Grad (nicht privilegierte Seitenverwandte).
Rz. 37
Der Verwandtschaftsgrad ergibt sich aus der Zahl der die Beteiligten vermittelnden Geburten, Art. 4.11 §§ 3–5 ZGB. Personen, die in gerader auf- oder absteigender Linie miteinander verwandt sind, bilden eine Linie. Im Übrigen sind Personen, die einen gemeinsamen Vorfahren haben, in der Seitenlinie miteinander verwandt, Art. 4.11 §§ 1–2 ZGB.
b) Grundsätze zum Verwandtenerbrecht
Rz. 38
Das gesetzliche Erbrecht der Verwandten wird im belgischen Recht nach Maßgabe der folgenden Grundsätze ermittelt:
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Verwandte nachfolgender Klassen sind durch solche einer vorhergehenden Klasse von der Erbfolge ausgeschlossen, Art. 4.16 ff. ZGB. |
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Soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, sind gradmäßig entferntere Verwandte durch gradmäßig nähere Verwandte ausgeschlossen (règle de la proximité), Art. 4.28 ff. ZGB. Sind Verwandte gleichen Grades zur Erbfolge berufen, so erben sie untereinander zu gleichen Teilen. |
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Wenn Aszendenten oder Seitenverwandte (der dritten und vierten Klasse) zur Erbschaft berufen werden, erben Perso... |