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Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze gilt für das Erbrecht der Verwandten des Erblassers innerhalb einer Erbklasse Folgendes:

Erste Klasse: Abkömmlinge

Abkömmlinge ersten Grades erben zu gleichen Teilen und nach Köpfen, Art. 745 ZGB. Dies gilt für eheliche und – infolge der Reform des belgischen Erbrechts vom 31.3.1987 bzw. 6.6.1987 – auch für nichteheliche[71] Kinder und für Adoptivkinder uneingeschränkt bei der Volladoption. In den Fällen der Einfachadoption hat das adoptierte Kind gem. Art. 35315 ZGB nur nach dem Adoptierenden (und nicht dessen Aszendenten) ein gesetzliches Erbrecht, wobei es sein gesetzliches Erbrecht zu seinen Blutsverwandten in vollem Umfange behält.

Zweite Klasse: Privilegierte Aszendenten und Seitenverwandte

Ein ohne Abkömmlinge verstorbener Erblasser wird von beiden Elternteilen zur einen Hälfte und zur anderen Hälfte von seinen Geschwistern beerbt. Letztere erben untereinander jeweils zu gleichen Teilen. Leben zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers beide Eltern, hinterlässt er jedoch weder Kinder noch Geschwister oder Abkömmlinge von diesen, so erben beide Elternteile zu gleichen Teilen. Gelangt nur ein Elternteil zur Erbfolge, so erbt dieser zu ¼ und die Geschwister zu ¾ Anteil, untereinander wiederum zu gleichen Teilen. Leben beide Elternteile zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr, so erben die Geschwister zu gleichen Teilen, vgl. Art. 748 ff. ZGB.

Dritte Klasse: Nicht privilegierte Aszendenten

Verstirbt der Erblasser ohne Hinterlassung von Abkömmlingen, Geschwistern oder Abkömmlingen von diesen, so wird der Nachlass gem. Art. 746 ZGB auf die Aszendenten der mütterlichen und der väterlichen Linie zu je ½ Anteil aufgeteilt. Zwischen diesen beiden Linien kommt es für die Feststellung des Erbrechts nicht auf den Verwandtschaftsgrad an. Innerhalb der väterlichen und der mütterlichen Linie erben jeweils die gradnächsten Aszendenten, Aszendenten gleichen Grades innerhalb einer Linie untereinander zu gleichen Teilen. Sind aufsteigende Verwandte nur in einer Linie vorhanden, so erben diese nach Maßgabe des Gradsystems zu ½ Anteil. Die andere Hälfte erben die Seitenverwandten der anderen Linie (vierte Klasse – siehe folgender Abschnitt) unter Beachtung des Gradsystems und dann untereinander zu gleichen Teilen, Art. 753 ZGB. Hinsichtlich dieses Erbteils der Seitenverwandten steht dem überlebenden Elternteil zu 1/3 Anteil ein Nießbrauchsrecht zu, Art. 754 ZGB.

Vierte Klasse: Nicht privilegierte Seitenverwandte

Die vierte Klasse wird durch die Seitenverwandten des Erblassers gebildet, die nach Maßgabe des Gradsystems und zu gleichen Teilen erben, sofern Erben der vorgehenden Erbklassen nicht vorhanden sind. Hierbei ist zu beachten, dass nur Seitenverwandte des Erblassers bis zum 4. Grad zur Erbfolge berufen sind, es sei denn, es greifen die Regelungen der Erbvertretung (vgl. Rdn 38 a.E.), Art. 755 Abs. 1 ZGB.

[71] Das vor der Reform geltende eingeschränkte Erbrecht für nichteheliche Kinder – hierzu Hecker, MittRhNotK 1956, 16 f. – wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, NJW 1979, 2449 f. durch Urt. v. 13.6.1979 für nicht vereinbar mit Art. 8 und 14 MRK erklärt. Für Erbfälle vor dem Datum der Urteilsverkündung verbleibt es bei der alten Rechtslage, Belg. Kassationshof, Recueil annuel de Jurisprudence belge 1994, 1412, Nrn. 12 und 13, 1995, 1165, Nr. 5 sowie Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urt. v. 29.11.1991, EuGRZ 1992, 12 ff. Zur Rechtslage zwischen Verkündung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und dem Inkrafttreten der Reform des Erbrechts vgl. Pintens, MittRhNotK 1984, 59; Sturm, FamRZ 1982, 1150 ff.; Voss, IPRax 1986, 120 ff.; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuGRZ 1992, 12 ff.

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