Christoph Weling, Gido Schür
Rz. 111
Gemäß Art. 4.59 ZGB erfolgt der Nachweis der Eigenschaft als Erbe aufgrund einer Erburkunde oder Erbscheins, wobei
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die Erburkunde (acte d‘hérédité) eine von einem Notar errichtete Urkunde zur Feststellung der Erbfolge ist (i.d.R. zur Feststellung von Immobilienübertragungen von Todes wegen, siehe oben); und |
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der Erbschein (certificat d’hérédité) eine von dem Notar ausgestellte Bescheinigung zur Feststellung der Erbfolge in Briefform ist (meistens zur Freigabe der Bankguthaben des Verstorbenen, aber auch für alle anderen Zwecke). |
Rz. 112
Die Erbscheine oder Erburkunden können außerdem – sofern die gesetzliche Erbfolge anwendbar ist, der Verstorbene keine Ehevereinbarung abgeschlossen hatte, keine Erbvereinbarung errichten ließ, keine vertragliche Erbeinsetzung hinterließ und/oder keine handlungsunfähigen Erben beteiligt sind – gem. Art. 4.59 § 2 ZGB vom zuständigen Amt für Rechtssicherheit bei der Generalverwaltung der Vermögensdokumentation am letzten Wohnsitz des Erblassers ausgestellt werden.
Rz. 113
Erburkunden und Erbscheinen haben den gleichen Inhalt: Identität des Erblassers und Todesdatum und -ort, ggf. ehelicher Güterstand und letztwillige Verfügungen des Erblassers, Identität der Erben und Vermächtnisnehmer sowie etwaiger Pflichtteilserben (Name, Vornamen, Geburtsort und -datum, Adresse, eventuell Sterbedatum sowie Nationalregisternummer oder Nummer des Bis-Registers für nicht im Inland wohnhafte Personen). Der Notar oder das Amt muss im Vorfeld zur Erstellung der Erburkunde oder des Erbscheins den tatsächlichen und rechtlichen Sachverhalt vollständig aufklären. In diesem Zusammenhang befragt er insbesondere die elektronisch geführte zentrale Testamentsdatei, das sog. Zentralregister für letztwillige Verfügungen (C.R.T.), deren Führung dem belgischen Notariatsverband (Fédération Royale du Notariat belge – Königlicher Verband des belgischen Notariats) übertragen ist.
Seit dem 1.7.2012 ist der Aussteller der Erburkunde oder des Erbscheins zudem verpflichtet, auf der Ausfertigung der Urkunde oder des Scheins zu bestätigen, dass weder der Verstorbene noch die in der Urkunde oder im Schein erwähnten Erbberechtigten Steuer- oder Sozialversicherungsschulden besaßen bzw. dass diese Zahlungsrückstände beglichen wurden. Hierzu informiert der Aussteller die zuständigen Dienste auf elektronischem Wege über seine Beauftragung zur Erstellung der Urkunde oder des Erbscheins, welche ihm innerhalb von zehn Werktagen gegebenenfalls vorliegende Zahlungsrückstände der erwähnten Personen mitteilen.
Rz. 114
Gemäß Artikel 4.59 § 6 ZGB gelten die in einer Erburkunde oder einem Erbschein vermerkten Personen gutgläubigen Dritten gegenüber als erbberechtigt oder – im Fall der Annahme der Erbschaft – als Erben. Für Todesfälle, die nach dem 1.7.2022 eingetreten sind, müssen die Übertragungen von Todes wegen von unbeweglichen Gütern im belgischen Grundbuch, dem Hypothekenregister bei der Generalverwaltung der Vermögensdokumentation, eingetragen werden, damit der Grundbesitz an Dritte veräußert werden kann. Diese Übertragung ist nicht notwendig, wenn nach der Erbschaft und vor der Veräußerung der Grundbesitz Gegenstand einer Erbenteilungsurkunde gewesen ist.
Rz. 115
Hinterlässt der mit letztem Wohnsitz in Deutschland verstorbene Erblasser bewegliche Güter (z.B. Bankguthaben) in Belgien, wird eine beglaubigte Ausfertigung eines deutschen Erbscheins zur Legitimation der Erbansprüche in Bezug auf diese beweglichen Güter (etwa bei Banken) anerkannt. In manchen Fällen wird ein Europäisches Nachlasszeugnis zur Freigabe von Bankguthaben verlangt. Manche Banken verlangen zudem gemäß den Bestimmungen von Art. 4.59 § 6 ZGB in Verbindung mit dem Programmgesetz vom 29.3.2012 die Bestätigung eines belgischen Notars, dass zum Zeitpunkt dieser Freigabe weder der Verstorbene noch der Erbe oder Vermächtnisnehmer in Belgien noch nicht beglichene Steuer- oder Sozialversicherungsbeträge schuldet.
Rz. 116
Hinterlässt der mit letztem Wohnsitz in Deutschland verstorbene Erblasser unbewegliche Güter in Belgien, kam bis zum 17.8.2015, d.h. bis zur Anwendung der EuErbVO, eine Anerkennung eines deutschen Erbscheins als Ausweis für die Erbansprüche in Bezug auf den belgischen Grundbesitz nicht in Frage, da aus der Sicht des belgischen IPRG nicht das deutsche, sondern das belgische Erbrecht für das in Belgien belegene Immobilienvermögen galt und belgische Gerichte gem. Art. 77 IPRG für in Belgien belegenen Grundbesitz zuständig waren. Der deutsche Erbschein diente in diesem Fall nur im Rahmen der Umschreibung des in Belgien belegenen Grundbesitzes zur Aufklärung und Prüfung des tatsächlichen Sachverhalts. Für Todesfälle, die nach dem 1.7.2022 eintreten, muss zudem eine durch einen belgischen Notar ausgestellte Erburkunde in die dafür bestimmten Register beim zuständigen Amt Rechtssicherheit der Generalverwaltung der Vermögensdokumentation übertragen werden, damit eine Veräußerung an Dritte möglich ist. Darüber hinaus muss beim zuständigen Amt eine soge...