Sachverhalt
Bei dem polnischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Berichtigung der Bemessungsgrundlage nach Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL. Danach wird die Steuerbemessungsgrundlage im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.
Nach Art. 29 Abs. 4a des polnischen MwStG gilt: Vermindert sich die Bemessungsgrundlage im Verhältnis zu der in der ausgestellten Rechnung festgelegten Grundlage, nimmt der Steuerpflichtige die Minderungen der Bemessungsgrundlage unter der Bedingung vor, dass er vor Ablauf der Frist zur Abgabe der Steuererklärung für den Steuerzeitraum, in dem der Erwerber der Ware oder Dienstleistung die Rechnungsberichtigung erhalten hat, eine Bestätigung des Erhalts der Rechnungsberichtigung durch den Erwerber der Ware oder Dienstleistung, für die die Rechnung ausgestellt wurde, besitzt. Erhält der Steuerpflichtige die Bestätigung, dass der Erwerber der Ware oder Dienstleistung die Rechnungsberichtigung erhalten hat, nach Ablauf der Frist zur Abgabe der Steuererklärung für den betreffenden Steuerzeitraum, kann er die Rechnungsberichtigung in dem Steuerzeitraum berücksichtigen, in dem er die Bestätigung erhalten hat.
Die Klägerin ist im Bereich der Erzeugung und des Vertriebs von Lebensmitteln tätig. Da sie Handelsbeziehungen mit vielen Vertragspartnern unterhält, stellt sie eine erhebliche Zahl von Rechnungen über den Verkauf von Waren aus wie auch Rechnungen, mit denen die die ursprünglichen Rechnungen berichtigt werden. Gründe für die Ausstellung berichtigter Rechnungen sind insbesondere die Einräumung von Rabatten und die Rückgabe von Waren. Diese Rechnungen werden den Kunden übersandt. Bei der Ausstellung berichtigter Rechnungen, mit denen die Bemessungsgrundlage und die geschuldete Steuer gemindert werden, geschieht es häufig, dass die Klägerin vom Kunden die Bestätigung des Erhalts der berichtigten Rechnung mit erheblicher (sogar mehrmonatiger) Verspätung oder überhaupt nicht erhält. Der Erhalt der Bestätigung, dass der Erwerber die berichtigte Rechnung erhalten hat, erfordert häufig zusätzliche Schritte, wie z. B. die erneute Bitte an die Erwerber, den Erhalt der berichtigten Rechnung zu bestätigen, zusätzlichen Schriftverkehr oder die laufende Überwachung des Eingangs der Empfangsbestätigungen.
Die Klägerin war der Auffassung, dass sie zur Minderung der Bemessungsgrundlage auch dann berechtigt sei, wenn sie in der gesetzlich bestimmten Frist zur Abgabe der Erklärung für den betreffenden Steuerzeitraum nicht die Bestätigung des Erhalts der berichtigten Rechnung durch den Vertragspartner erhalten habe.
Der EuGH musste prüfen, ob die Bedingung, dass der Kunde den Erhalt der berichtigten Rechnung bestätigt, mit Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL vereinbar ist.
Entscheidung
Der EuGH hat entschieden, dass die Art. 90 Abs. 1 und Art. 273 MwStSystRL den Mitgliedstaaten ein Ermessen insbesondere in Bezug auf die vom Unternehmer gegenüber den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten zu erfüllenden Formalitäten einräumen, wenn im Fall eines Preisnachlasses nach Bewirkung des Umsatzes die Steuerbemessungsgrundlage entsprechend vermindert werden soll. Dieses Ermessen ergibt sich für den EuGH daraus, dass die genanten Vorschriften außer den von ihnen festgelegten Grenzen weder die Bedingungen noch die Pflichten angeben, die die Mitgliedstaaten vorsehen können. Die polnische Regelung, dass der Unternehmer im Besitz einer von seinem Kunden übermittelten Bestätigung des Erhalts einer berichtigten Rechnung ist, und ihr Zweck, die genaue Erhebung der Steuer sicherstellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern, fallen nach dem Urteil sowohl unter die Bedingungen nach Art. 90 MwStSystRL als auch unter die Pflichten nach Art. 273 MwStSystRL. Da die Mitgliedstaaten nach Art. 90 MwStSystRL immer verpflichtet sind, die Steuerbemessungsgrundlage und mithin die Umsatzsteuerschuld des Unternehmers zu verringern, wenn der Unternehmer nach Bewirken des Umsatzes die Gegenleistung ganz oder teilweise nicht erhält, können die Mitgliedstaaten nach dem Urteil eine Regelung wie die des Ausgangsverfahrens treffen, ohne dass diese gegen den Neutralitätsgrundsatz der MwSt verstößt.
Allerdings darf eine solche Regelung den Anspruch des Unternehmers auf Steuerrückerstattung (hier Minderung der Besteuerungsgrundlage) nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Nach dem Urteil kann dies in Fällen wie dem des Ausgangsverfahrens dann der Fall sein, wenn es dem Unternehmer unmöglich ist oder übermäßig erschwert wird, die in Rede stehende Empfangsbestätigung innerhalb einer angemessenen Frist zu erhalten. In diesem Fall muss der betreffende Mitgliedstaat es dem Unternehmer erlauben, mit anderen Mitteln nachzuweisen, dass er zum einen die unter den Umständen des Einzelfalles erforderliche Sorgfalt hat walten lassen, um sich zu vergewissern, da...