Sachverhalt
Bei dem Verfahren ging es um die grundsätzliche Bedeutung der Regelungen in Artikel 20 der 6. EG-Richtlinie zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs und die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, das Optionsrecht (Artikel 13 Teil C der 6. EG-Richtlinie) mit der Folge einer Beschränkung des Vorsteuerabzugs zu regeln.
Klägerin war eine finnische Stadt, die eine von ihr renovierte Immobilie an den finnischen Staat und eine neu errichtete Gewerbehalle an einen Unternehmer (für dessen steuerpflichtige Tätigkeit) vermietet hatte. Die Vermietungen erfolgten zunächst steuerfrei. Nach mehr als 6 Monaten seit Beginn der Vermietung stellte die Klägerin bei der Finanzbehörde einen Antrag, für ihre Vermietungsumsätze zur Steuerpflicht optieren zu können und beantragte, gestützt auf Artikel 20 der 6. EG-Richtlinie eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs auf die Renovierungs- und Herstellungskosten der Gebäude. Der Berichtigungsantrag wurde mit der Begründung abgelehnt, der Antrag auf Option sei später als 6 Monate nach der erstmaligen Verwendung der Wirtschaftsgüter gestellt worden. Das Vorlagegericht fragte den EGH, ob sich aus Artikel 20 eine Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei Änderung der Verwendungsverhältnisse ergibt, ob dies auch in Fällen einer Option zur Steuerpflicht gilt, ob die Ausgestaltung der innerstaatlichen Regelungen, wie das Optionsrecht ausgeübt werden kann, zu einem vollständigen Vorsteuerabzugsverbot führen kann und ob ein solches Verbot ggf. auf Artikel 17 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie gestützt werden kann.
Der Rechtsstreit ergab sich aus einer mehr als zweifelhaften Umsetzung der 6. EG-Richtlinie in nationales finnisches Recht, die zu dem die Frage aufwirft, ob die EU-Kommission gegenüber Finnland in angemessener Weise ihrer Aufgabe nachgekommen ist, für eine zutreffende Einhaltung des Gemeinschaftsrechts zu sorgen. Denn ausweislich Randziffer 28 des Urteils hat Finnland die Regelungen des Artikels 20 Abs. 2 bis 5 der 6. EG-Richtlinie bisher nicht in nationales Recht umgesetzt. Nach finnischem Recht kann der Unternehmer bei der Vermietung von Grundstücken zur Steuerpflicht optieren, wenn die Vermietung an den finnischen Staat oder an einen Unternehmer erfolgt, der mit dem Vermietungsobjekt ausschließlich steuerpflichtige Umsätze bewirkt. Der Vorsteuerabzug aus dem Erwerb/Herstellung der Vermietungsobjekte ist bei steuerpflichtiger Vermietung jedoch nur möglich, wenn der Antrag auf Option zur Steuerpflicht binnen 6 Monaten nach der erstmaligen Verwendung des Vermietungsobjekts gestellt worden ist. Wird der Antrag später gestellt, ist eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs zugunsten des Unternehmers ausgeschlossen. Finnland war in dem Verfahren offensichtlich der Auffassung, Artikel 20 der 6. EG-Richtlinie stelle eine bloße Alternative zu Artikel 5 Abs. 6 bzw. Artikel 6 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie (unentgeltliche Wertabgaben) dar und aus den letztgenannten Vorschriften ergebe sich ja auch kein Anspruch des Fiskus auf eine Besteuerung, wenn die Herstellung/Erwerb der Immobilie nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt hat und die Immobilie privat genutzt wird.
Entscheidung
Der EuGH hat Finnland eine Lehrstunde in Sachen Umsatzsteuersystematik und Vorsteuerabzug bzw. Vorsteuerberichtigung erteilt. Im Einzelnen hat der EuGH klargestellt, was im deutschen Recht bislang nicht zweifelhaft war:
- Artikel 20 der 6. EG-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, bei Änderung der Verwendungsverhältnisse eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei Investitionsgütern vorzusehen. Lediglich in den Fällen von Artikel 20 Abs. 5 (Vereinfachungsregel, wonach bei unwesentlichen Berichtigungsbeträgen auf die Berichtigung verzichtet werden kann), kann sich etwas anderes ergeben.
- Die Berichtigungspflicht ergibt sich auch in dem Fall, in dem das Wirtschaftsgut zunächst für steuerfreie - den Vorsteuerabzug ausschließende - Umsätze verwendet wird und der Unternehmer das Wirtschaftsgut später - während des Berichtigungszeitraums - nach einer Option zur Steuerpflicht für steuerpflichtige Umsätze verwendet.
- Artikel 13 Teil C Unterabsatz 2 der 6. EG-Richtlinie lässt es nicht zu, das Optionsrecht so zu regeln, dass eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs zugunsten des Unternehmers bei Änderung der Verwendungsverhältnisse ausgeschlossen ist, wenn die Option zur Steuerpflicht später als 6 Monate seit Beginn der erstmaligen Verwendung des Wirtschaftsguts beantragt wird.
- Ein solcher Ausschluss des Vorsteuerabzugs kann auch nicht auf Artikel 17 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie (sog. stand-still-Klausel) gestützt werden. Die Vorschrift bezieht sich nur auf bestimmte Arten von Ausgaben, die sich aus der Natur des erworbenen Gegenstands oder der erworbenen Dienstleistung ergeben und nicht nach deren Verwendung oder den Einzelheiten ihrer Verwendung.
Änderungsbedarf für das deutsche Recht ist aufgrund des Urteils nicht erkennbar.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 30.03.2006, C-184/04