1 Leitsatz
Soll ein bestimmter Vertrag gekündigt werden, darf es im Beschluss nicht heißen, es seien mehrere Verträge zu kündigen – auch dann, wenn es tatsächlich nur einen Vertrag gibt.
2 Normenkette
§ 18 Abs. 2 WEG
3 Das Problem
Die Wohnungseigentümer beschließen, "alle mit der S-GmbH abgeschlossenen Verträge zu kündigen und die S-GmbH als Verwalterin abzuberufen". Fraglich ist, ob nur ein Baubetreuungsvertrag gekündigt wurde. Die Wohnungseigentümer sehen es so, da die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und die S-GmbH keine anderen Verträge verbinden.
4 Die Entscheidung
Das LG sieht das anders! Er hält den Beschluss für zu unbestimmt. Lese ein Dritter den Beschluss, so müsse er zu der Einsicht gelangen, dass mehrere Verträge gekündigt worden seien. Dass es nur einen Vertrag gibt, könne man nur anhand aller seit der Teilungserklärung im Jahr 1999 geschlossenen Verträge ermitteln, da die Beschluss-Sammlung nicht vollständig sein müsse und im Fall auch nicht könne.
Dies führe dazu, dass auch die Abberufung nichtig sei. Diesen Beschlussteil aufrechtzuerhalten sei nur dann möglich, wenn nach dem tatsächlichen oder hypothetischen Parteiwillen zweifelsfrei davon auszugehen sei, dass der Beschluss auch als Teilregelung beschlossen worden wäre. Die sei nicht der Fall.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um das Standardproblem, dass ein Beschluss "bestimmt" sein muss. Die Frage wird anhand eines in Bezug auf Verträge mehrdeutigen Beschlusses aufgeworfen.
Grundsatz der Bestimmtheit
Beschlüsse müssen "bestimmt" genug formuliert sein. Dies ist der Fall, wenn ein Beschluss aus sich heraus genau, klar, eindeutig und widerspruchsfrei erkennen lässt, was gilt. Einem Beschluss fehlt hingegen Bestimmtheit, wenn er keine sinnvolle, in sich geschlossene und verständliche Regelung enthält. Damit ein Beschluss "bestimmt" ist, muss er so ausführlich wie nötig beschreiben, was gelten soll. Er muss – gegebenenfalls durch Verweisung – sein Regelungsproblem (den Anlass seiner Entstehung) vollständig lösen. Außerdem muss er so formuliert werden, dass er in sich nicht widersprüchlich ist. Lässt sich ein Gegenstand im Beschlusstext selbst nur schlecht oder gar nicht oder nur ungenau oder nur widersprüchlich darstellen, bedarf es für eine Herstellung von Bestimmtheit in der Regel einer Beschluss-Anlage. Ein Beschlusstext kann auch aus diesem Grund selbst kurz sein und zur näheren Erläuterung auf eine Anlage Bezug nehmen. Eine solche Beschluss-Anlage kann z. B. ein Gutachten, ein Bild, eine Zeichnung, eine Baubeschreibung, ein Leistungsverzeichnis, ein Bauplan, eine Skizze etc. sein.
Im Fall wendet das LG den Grundsatz der Bestimmtheit m. E. zu eng an. Gibt es nur einen Vertrag, kann für niemanden ein Zweifel bestehen, auch wenn es im Beschluss-Text "alle" heißt. "Alle" ist eben auch ein Vertrag.
Teilunwirksamkeit § 139 BGB
Die Wohnungseigentümer wollen im Zweifel keine rechtswidrigen Beschlüsse fassen. Diese Auslegungsregel gilt aber nur bei Zweifeln. Sollte sich ein Beschluss nach seinem eindeutigen Inhalt teilweise als rechtswidrig erweisen, entscheidet sich nach den Vorgaben von § 139 BGB, ob er im Übrigen aufrechterhalten werden kann. Nach dieser Vorgabe ist es m. E. schwer vertretbar, auch die Abberufung für unwirksam zu halten.
6 Entscheidung
LG Berlin, Urteil v. 19.3.2021, 85 S 30/20 WEG