Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Normenkette
§ 23 Abs. 4 WEG, § 25 Abs. 2 WEG, § 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG
Kommentar
Der Erwerber einer Wohnung wurde erst nach einem Versammlungstermin, allerdings noch innerhalb der 1-monatigen Beschlussanfechtungsfrist im Grundbuch als neuer Eigentümer eingetragen; in der vorausgehenden Versammlung war er noch nicht anwesend. Noch innerhalb der Anfechtungsfrist, allerdings nach Eigentumsumschreibung focht er diverse Beschlüsse der vorausgegangenen Eigentümerversammlung fristgemäß an. Um dies mit Daten zu belegen: Der Wohnungskaufvertrag wurde am 25. 8. 1989 abgeschlossen; die Wohnungsübergabe erfolgte am 1. 10. 1989; am 13. 11. 1989 kam es zur Eintragung der Auflassungsvormerkung zugunsten des Erwerbers. Am 18. 5. 1990 fand die Eigentümerversammlung statt, die mit Schreiben vom 19. 4. 1990 eingeladen worden war (zugegangen beim Veräußerer). Am 18. 6. 1990 ging die Anfechtungsschrift des neuen Eigentümers bei Gericht ein.
Das AG Gießen wies die Anfechtungsanträge des Neueigentümers zurück mit der Begründung, dass diesem keine Anfechtungsbefugnis zugestanden hätte, da das Anfechtungsrecht dem Stimmrecht folge (BayObLG, ZMR 81, 249) und nach verfestigter BGH-Rechtsprechung dem sog. werdenden/faktischen Eigentümer kein Stimmrecht zuzubilligen sei. Der Neueigentümer könne sich somit auch nicht auf fehlende Einladung berufen. Das Anfechtungsrecht gehe nicht automatisch mit Eigentumsübergang auf den Rechtsnachfolger über, da es streng an die Stimmrechtsbefugnis gekoppelt sei. Einem zeitlich nach Versammlungstermin ausgeschiedenen Eigentümer könne auch seine Anfechtungsbefugnis nicht verlorengehen. Beschlüsse würden i. ü. bis zur Eigentumsumschreibung für und gegen den Veräußerer fortwirken; ein neuer Eigentümer könne hier nicht in die evtl. günstige Rechtsposition des Veräußerers eingreifen. Sicher könne der Verkäufer mit seiner Stimme auch Einfluss nehmen auf die Zukunft und damit auf die Rechtsposition des Erwerbers; dies hänge jedoch mit seiner Stellung als stimmberechtigter Eigentümer zum Zeitpunkt des Verrsammlungstermins zusammen. Dem Veräußerer könne deshalb nicht sein Stimmrecht genommen werden, welches auch nicht mit Eigentumsumschreibung ende. Selbst eine Fristverkürzung sei zulasten des Veräußerers nicht möglich.
Auch ein Aufsplitten oder Verdoppeln des Anfechtungsrechts sei sehr bedenklich, zumal im Sinne der BGH-Rechtsprechung hierfür kein Bedürfnis bestehe und bestimmte Beschlussthemen ohnehin Veräußerer und Erwerber betreffen könnten, was schwierig abzugrenzen sei. Lösungen böten sich über Vollmachten an; so sei es möglich, dem Erwerber entsprechende Vollmacht zu erteilen, i. ü. auch zur Anfechtungsberechtigung. Hinsichtlich verschiedener Varianten zum Stimmrecht in diesen Fällen sei auf Röll, NJW 89, 1070 verwiesen.
Link zur Entscheidung
( AG Gießen, Beschluss vom 07.12.1990, 22 II 17/90- noch nicht rechtskräftig -)
zu Gruppe 6: Baurechtliche und bautechnische Fragen; Baumängel
Anmerkung:
Diese interessante Sachverhaltskonstellation infolge der neuen BGH-Rechtsprechung zur Verneinung des sog. werdenden Eigentümers in der Sondernachfolge dürfte sicher durch diese Entscheidung nur angerissen, jedoch noch nicht völlig ausdiskutiert sein. Es wäre zu begrüßen, wenn die Beteiligten in dieser Streitfrage den Instanzenweg ausschöpfen würden.
M. E. könnte man (und müsste sogar) auch bei dieser Sonderfallproblematik zu anderem Rechtsergebnis gelangen. Es ist keine Frage, dass Stimm- und Anfechtungsrechte sehr eng miteinander verbunden sind und im Regelfall ja auch dem insoweit betroffenen Eigentümer allein zustehen. Beide Berechtigungen können jedoch - wie der vorliegende Fall zeigt - auch einmal auseinanderfallen; eine rechtliche untrennbare Verbindung besteht hier weder materiell- noch verfahrensrechtlich (man denke z. B. an das Anfechtungsrecht des nicht stimmberechtigten Verwalters oder die Anfechtungsmöglichkeit eines vom Stimmrecht nach § 25 Abs. 5 WEG ausgeschlossenen Eigentümers). Nicht vertretbar erscheint mir insbesondere die Schlussfolgerung des Amtsgerichts, dass dem Veräußerer trotz Eigentumsumschreibung in der 1-monatigen Beschlussanfechtungsfrist seine Anfechtungsbefugnis uneingeschränkt erhalten bleibe (wohl damit nach Meinung des Gerichts bis zum Ablauf der 1-monatigen Frist).
Dies würde allerdings gegen den Wortlaut des § 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG verstoßen, da insoweit (wohl auch in Bestätigung der BGH-Rechtsprechung) nur der "Wohnungseigentümer" (oder der Verwalter) zur Beschlussanfechtung berechtigt ist; diese Stellung hätte dann allerdings der Veräußerer bei einer Anfechtung nach Eigentumsumschreibung nicht (mehr). Beteiligte eines solchen Anfechtungsverfahrens sind auch nur die Wohnungseigentümer und der Verwalter (wohl zu ergänzen: zum Zeitpunkt der Gerichtsanhängigkeit eines solchen Anfechtungsverfahrens, eine Frage, die abschließend wohl auch noch nicht geklärt sein dürfte). Nach Eigentumsumschreibung wäre also ein Veräußerer selbst bei noch offener Restfrist m. E. nicht mehr kraft Gesetzes zur Anfech...