1 Leitsatz
Der Grundsatz der Meistbegünstigung entbindet nicht davon, die Beschwer innerhalb der laufenden Begründungsfrist darzulegen. Der Grundsatz soll die beschwerte Partei vor Nachteilen schützen, die auf einer unrichtigen Entscheidungsform beruhen. Er erweitert nicht den Instanzenzug, wenn ein Rechtsmittel nicht gegeben ist.
2 Normenkette
§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; § 44 Abs. 1 Satz 1 WEG
3 Das Problem
Am 28.9.2018 findet eine Versammlung statt, an der Wohnungseigentümer K nicht teilnimmt. K behauptet, er sei nicht eingeladen worden. Gegen mehrere in der Versammlung gefasste Beschlüsse wendet sich K mit seiner Anfechtungsklage. Das AG erklärt den Beschluss zu TOP 4 (Einzelabrechnung 2016/2017) in der Position "Kosten im Sondereigentum" in Höhe von 12,90 EUR für ungültig. Im Übrigen weist es die Klage ab. Das LG weist die Berufung zurück. K beschwert sich beim BGH, dass das LG seine Revision nicht zugelassen habe.
4 Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Der BGH meint, die Nichtzulassungsbeschwerde sei unzulässig. Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer übersteige nicht 20.000 EUR (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). K meine, die Beschwer stimme mit dem vom LG für das Berufungsverfahren festgesetzten Gebührenstreitwert von 24.000 EUR überein. Diese Ansicht treffe aber nicht zu. Der Streitwert für Anfechtungsklagen entspreche in der Regel nicht der für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels maßgeblichen Beschwer. Der Wert der Beschwer bemesse sich nach dem einfachen Interesse des Rechtsmittelführers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Dieses Interesse sei auch in wohnungseigentumsrechtlichen Verfahren nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bewerten. Der Hinweis der Nichtzulassungsbeschwerde auf den vom LG festgesetzten Gebührenstreitwert von 24.000 EUR sei nicht dazu geeignet, die für die Zulässigkeit erforderliche Beschwer darzulegen. Der LG-Streitwertfestsetzung lasse sich nicht entnehmen, ob es sich beim Wert um das hälftige Gesamtinteresse der Parteien (§ 49a Abs. 1 Satz 1 GKG a.F.), um das einfache Interesse des K (§ 49a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 GKG a. F.) oder um deren fünffaches Interesse (§ 49a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 GKG a. F.) handele. Der Beschluss enthalte weder eine Begründung der Wertfestsetzung noch nenne er die Vorschrift des § 49a GKG a. F. Die in Bezug genommene Wertfestsetzung im AG-Urteil lasse die Grundlagen der Streitwertfestsetzung ebenfalls nicht erkennen. Auch im Wege der Schätzung könne der Senat nicht davon ausgehen, dass die Beschwer 20.000 EUR übersteige. Zwar müsse der BGH im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegebenenfalls eine Schätzung vornehmen. Als Grundlage der Schätzung könnten aber nur solche Tatsachen dienen, die der Beschwerdeführer innerhalb der Begründungsfrist dargelegt und glaubhaft gemacht habe oder die jedenfalls in Verbindung mit dem Berufungsurteil offenkundig seien. Auch hierfür fehlten im Fall die Grundlagen. Schließlich führe die LG-Wertfestsetzung auch nicht nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung zu einer 20.000 EUR übersteigenden Beschwer. Der Grundsatz der Meistbegünstigung entbinde nicht von dem Erfordernis der Darlegung der Beschwer innerhalb laufender Begründungsfrist. Er solle die beschwerte Partei vor Nachteilen schützen, die auf einer unrichtigen Entscheidungsform beruhen, und erweitere nicht den Instanzenzug, wenn ein Rechtsmittel nicht gegeben sei.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um die Frage, ob eine Nichtzulassungsbeschwerde zulässig ist. Dies ist nur der Fall, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 EUR übersteigt oder das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat. Um den Betrag zu erreichen, ist frühzeitig Vorsorge zu treffen. Über die Frage erst im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nachzudenken, ist zu spät.
Beschwer
Der Wert der Beschwer bemisst sich nach dem einfachen Interesse des Rechtsmittelführers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Dieses Interesse ist nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bewerten. Im Fall dürfte es maximal der Betrag sein, den K als Nachschuss zahlen soll.
Teilweise Aufhebung des Nachschuss-Beschlusses
Das AG hat den Nachschuss-Beschluss nur teilweise für ungültig erklärt. Ob dieser Weg gangbar ist, ist allerdings streitig.
Was ist für die Verwaltungen besonders wichtig?
Die Anfechtungsklage gegen einen Nachschuss-Beschluss hat nach herrschender Meinung bereits dann vollständig Erfolg, wenn der Verwaltung bei einer einzigen Kostenposition Fehler unterlaufen sind. Diese Rechtsprechung und die von ihr befürworteten erheblichen Gebührenstreitwerte – und die damit für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer verbundenen Kosten – fordern zu einer großen Sorgfalt bei der Erstellung der Jahresabrechnung auf. Sie ist die Grundlage des Nachschuss-Beschlusses.
6 Entscheidung
BGH, Beschluss v. 16.5.2024, V ZR 213/23