1 Leitsatz
Der Gebührenstreitwert und der Beschwerdewert sind voneinander zu unterscheiden. Sie stimmen nicht notwendigerweise überein.
2 Normenkette
§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO
3 SachverhaltDas Problem
Der stark sehbehinderte Wohnungseigentümer K verlangt vom Verwalter die Einsicht in sämtliche Verwaltungsunterlagen ab Januar 2015. Nach seinem zuletzt gestellten Antrag soll er selbst oder eine von ihm zu benennende und auszuwählende Person Einsicht nehmen können. Das AG gibt der Klage insoweit statt, als K oder eine von ihm benannte Person, die der gesetzlichen Schweigepflicht unterliegt (Rechtsanwalt und/oder Steuerberater) Einsicht in dem beantragten Umfang nehmen darf. Den Streitwert setzt das AG mit 1.000 EUR an. Mit seiner Berufung will K erreichen, dass er seine Hilfsperson frei auswählen darf. Das LG meint, die Berufung sei unzulässig, Die gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Beschwer von mehr als 600 EUR sei nicht erreicht. Das Amtsgericht habe den Streitwert nach K's Angaben mit 1.000 EUR bemessen. Dies erscheine angemessen. Die Beschwer könne zwar abweichend vom Streitwert, aber keinesfalls höher als dieser bewertet werden. Da K überwiegend obsiegt habe, könne der Einschränkung des Urteilstenors kein höherer Wert als 600 EUR beigemessen werden. Dagegen wendet sich K im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde.
4 Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Der vom LG aufgestellte Obersatz, wonach die Beschwer keinesfalls höher als der Gebührenstreitwert bewertet werden könne, treffe in dieser Allgemeinheit zwar nicht zu. Streit- und Beschwerdewert seien voneinander zu unterscheiden. Sie stimmten nicht notwendigerweise überein. Hier sei es anders, weil K der Berufungsführer sei und sein (mit der Beschwer identisches) Interesse gem. § 49a Abs. 1 Satz 2 GKG die Untergrenze für den Gebührenstreitwert bilde. Gehe man von einem Gebührenstreitwert von 1.000 EUR aus, sei die Schätzung des Beschwerdewerts ermessensfehlerfrei. Für die Beschwer heranziehen ließe sich die finanzielle Belastung, die sich daraus ergebe, dass K als Hilfspersonen nur Personen, die der gesetzlichen Schweigepflicht unterliegen (Rechtsanwalt und/oder Steuerberater), einsetzen darf. Dass das Berufungsgericht diese Belastung bei der ihm obliegenden Schätzung der Beschwer mit nicht mehr als 600 EUR bemessen habe, sei nicht zu beanstanden.
Hinweis
Das Einsichtsrecht unterliegt keinen Voraussetzungen. Der Einsichtnehmende muss also kein besonderes rechtliches Interesse geltend machen. Dies gilt auch dann, wenn er einen Dritten ermächtigt. Das ist allerdings streitig. Ein Wohnungseigentümer kann einen Dritten ermächtigen, in die Verwaltungsunterlagen Einsicht zu nehmen. Dieser Dritte kann ein Rechtsanwalt, ein Vertrauter, aber auch ein Mieter sein. Dieser Dritte muss keiner Schweigepflicht/Vertraulichkeit unterworfen sein. Das ist allerdings auch streitig. Der Datenschutz steht dem nicht grundsätzlich entgegen. Nach Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 1 Buchstabe f) DSGVO ist die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Wohnungseigentümers grundsätzlich erforderlich (Beckers, ZWE 2019, S. 297, 303). Bei der Einsichtnahme muss nur das notwendige Maß gewahrt werden.
Ausblick WEG-Reform
Das WEMoG wird die Rechtslage ändern. Denn das Einsichtsrecht der Wohnungseigentümer wird dort erstmalig ausdrücklich angeordnet. § 18 Abs. 4 WEG bestimmt Folgendes: "Jeder Wohnungseigentümer kann von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Einsicht in die Verwaltungsunterlagen verlangen."
5 Entscheidung
BGH, Beschluss v. 7.5.2020, V ZB 14/19