Leitsatz

Der BGH hat sich in dieser Entscheidung mit der bislang streitigen Frage auseinandergesetzt, ob im Verfahrenskostenhilfeverfahren das Beschwerdegericht die Erfolgsaussicht der Klage/Rechtsverteidigung abweichend von einer zwischenzeitlich rechtskräftigen Entscheidung beurteilen kann.

 

Sachverhalt

Die Parteien waren geschiedene Eheleute. Der Kläger hatte - nach Einreichung eines Prozesskostenhilfegesuchs mit Klageentwurf - im August 2009 und Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch das OLG im Januar 2010 mit seiner Klage eine teilweise Herabsetzung des durch Jugendamtsurkunden titulierten Unterhalts für die beiden minderjährigen Kinder der Parteien begehrt. Die Beklagte hat zur Verteidigung gegen die Klage Prozesskostenhilfe beantragt. Das FamG hat der Abänderungsklage wegen fehlender Leistungsfähigkeit stattgegeben. Erst nach Verkündung des Urteils hat das Gericht über das Prozesskostenhilfegesuch der Beklagten entschieden und ihren Antrag mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung unter Hinweis auf die Urteilsgründe zurückgewiesen.

Die Beklagte hat hiergegen sofortige Beschwerde eingelegt, das Urteil allerdings nicht angefochten.

Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen, da eine abweichende Bewertung der Erfolgsaussicht ihm aufgrund der rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung verwehrt sei. Die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde blieb beim BGH ohne Erfolg.

 

Entscheidung

Der BGH bestätigte die Entscheidung des OLG, das zu Recht eine Bindung an die rechtskräftige Hauptsacheentscheidung angenommen habe.

Zwar entfalte die Rechtskraft einer Entscheidung nur Wirkung zwischen den Parteien des Rechtsstreits und nur soweit derselbe Streitgegenstand betroffen sei. Die Rechtskraft diene aber auch dem Rechtsfrieden, so dass eine Bindungswirkung eintrete, soweit die rechtskräftige Entscheidung für weitere Entscheidungen vorgreiflich sei. Dies treffe für die Prüfung der Erfolgsaussichten im Verfahrenskostenhilfeverfahren zu, so dass es dem Beschwerdegericht grundsätzlich verwehrt sei, die Erfolgsaussicht einer Klage/Rechtsverteidigung abweichend von der rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung zu beurteilen.

Allerdings könne im Ausnahmefall eine nachträgliche Bewilligung der Prozesskostenhilfe durch das Rechtsmittelgericht auch aufgrund einer abweichenden Beurteilung der Erfolgsaussicht geboten sein. Dies komme dann in Betracht, wenn in der Hauptsache eine zweifelhafte Rechtsfrage zu klären gewesen sei. In diesem Fall dürfe nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG sowie des BGH die Klärung der Frage nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren verlagert werden.

Ein Widerspruch zur rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung ergebe sich nicht, weil die Grundsätzlichkeit der Rechtsfrage bereits die Erfolgsaussicht der Klage/Rechtsverteidigung mit sich bringe. Die Bindung an die rechtskräftige Hauptsacheentscheidung bestehe auch dann, wenn der Verfahrenskostenhilfeantrag vor rechtskräftigem Abschluss der Instanz bewilligungsreif gewesen, jedoch nicht beschieden worden sei.

Allein die Verzögerung der Bescheidung führe nicht dazu, dass nunmehr im Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen sei. Nur wenn zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife die Erfolgsaussicht der Klage/Rechtsverteidigung bestanden habe und diese sich allein infolge der verspäteten Bescheidung des Antrags verschlechtert habe, sei Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.

 

Hinweis

Mit dieser Entscheidung hat der BGH eine bislang streitige Rechtsfrage entschieden, die für die Praxis zur Folge hat, dass die unterlegene Partei bei Versagung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht im Beschwerdeverfahren wegen der Bindungswirkung einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung regelmäßig nur dann Erfolg haben kann, wenn sie auch die Entscheidung in der Hauptsache angreift.

Nach Abschluss der Instanz kann Prozesskostenhilfe nur bewilligt werden, wenn die Voraussetzungen zuvor gegeben waren. Dies setzt voraus, dass zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife eine Erfolgsaussicht der Klage/Verteidigung gegeben war und sich die Erfolgsaussicht durch die verspätete Bearbeitung/Bescheidung verschlechtert hat.

Der im Familienrecht tätige Anwalt sollte dringend darauf achten, dass der Verfahrenskostenhilfeantrag bei Bewilligungsreife vor rechtskräftigem Abschluss der Instanz beschieden wird, da nur so das Beschwerdeverfahren Erfolg haben und außerdem ohne Kostenrisiko eine Einschätzung der Erfolgsaussicht durch das Beschwerdegericht erreicht werden kann.

 

Link zur Entscheidung

BGH, Beschluss vom 07.03.2012, XII ZB 391/10

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