Zusammenfassung
Das selbstständige Beweisverfahren ist ein besonderes gerichtliches Verfahren zur Feststellung beweiserheblicher Tatsachen durch Einnahme eines gerichtlichen Augenscheins, Vernehmung von Zeugen oder Einholung eines Sachverständigengutachtens.
1 Zulässigkeit
Das selbstständige Beweisverfahren ist in 3 Fällen zulässig, nämlich
- wenn der Gegner zustimmt,
- wenn zu besorgen ist, dass das Beweismittel verloren oder seine Benutzung erschwert werde und
- wenn der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, die Ursache eines Personen- oder Sachschadens oder Sachmangels oder der Aufwand für die Beseitigung eines Personen- oder Sachschadens oder Sachmangels festgestellt werden soll und der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat.
In welchen Mietfällen das Verfahren zulässig ist
- Feststellung des Wohnungszustands durch einen Sachverständigen nach Beendigung des Mietverhältnisses, wenn die Räume weitervermietet werden sollen und die Kenntnis des Wohnungszustands für das Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen wichtig ist.
- Durchführung eines gerichtlichen Augenscheins über einen Mangel der Mieträume, wenn sich der Vermieter mit der Mangelbeseitigung in Verzug befindet, der Mieter von seinem Selbstbeseitigungsrecht Gebrauch machen will und das Vorhandensein eines Mangels, deren Verursachung und die Höhe der Mangelbeseitigungskosten für den Anspruch auf Aufwendungsersatz wesentlich ist.
- Vernehmung eines Zeugen zum Beweis für eine bestimmte Tatsache, wenn sich der Zeuge für längere Zeit ins Ausland begibt und die zu bezeugende Tatsache für die Ansprüche der einen oder anderen Partei von Bedeutung sein kann.
2 Rechtliches Interesse
Der Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens setzt ein rechtliches Interesse voraus. Das liegt vor, wenn die Beweiserhebung einen Rechtsstreit vermeiden kann (§ 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Hiervon ist auszugehen, wenn der Ausgang des Rechtsstreits im Wesentlichen von bestimmten Tatsachen abhängt.
Tatsachen für rechtliches Interesse
- Zustand der Wohnung bei Mietende, wenn der Mieter seine Renovierungsverpflichtung anerkannt hat, aber die Höhe der Renovierungskosten streitig ist.
- Ursache eines Feuchtigkeitsschadens, wenn hiervon die Minderungsbefugnis des Mieters abhängt.
Zur Klärung einer Rechtsfrage, also z. B. wie hoch eine angemessene Minderung ist, ist das Beweissicherungsverfahren dagegen unzulässig.
Kommt es nach Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens zum Prozess, hat jede Partei das Recht, das eingeholte Gutachten, das Protokoll über den Augenschein oder die Zeugenaussage als Beweismittel zu benutzen.
3 Beweissicherungsantrag
3.1 Zuständiges Gericht (§ 486 ZPO)
Das selbstständige Beweisverfahren setzt einen besonderen Antrag voraus, der an das zuständige Gericht adressiert werden muss.
Ist zwischen den Parteien bereits ein Rechtsstreit anhängig, in dem die zu sichernde Tatsache von Bedeutung ist, so ist jenes Gericht auch für das selbstständige Beweisverfahren zuständig (§ 486 Abs. 1 ZPO).
Ist noch kein Rechtsstreit anhängig, so richtet sich die Zuständigkeit nach dem Gericht, das nach dem Vortrag des Antragstellers zur Entscheidung in der Hauptsache berufen wäre (§ 486 Abs. 2 ZPO), also örtlich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 12 ff. ZPO, sachlich nach dem Gegenstandswert (bis 5.000 EUR das Amtsgericht, darüber das Landgericht).
In Fällen dringender Gefahr (z. B. akuter Gefahr des Beweismittelverlustes) ist das Amtsgericht gemäß § 486 Abs. 3 ZPO zuständig.
3.2 Inhalt des Antrags
Der Antrag muss folgende Darlegungen enthalten (§ 487 ZPO):
Die Bezeichnung des Gegners; dies ist entbehrlich, wenn dieser unbekannt ist und der Antragsteller glaubhaft macht, dass er schuldlos außerstande sei, den Gegner zu bezeichnen.
Mehrere Gegner möglich?
Dann sollten alle benannt und einbezogen werden (z. B. bei einem Bauprozess der Architekt und der ausführende Handwerker).
- Die genaue Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Beweisaufnahme erfolgen soll.
Die genaue Bezeichnung der Beweismittel unter Benennen der zu vernehmenden Zeugen.
Die Benennung des Sachverständigen ist entbehrlich, weil dieser nach §§ 492, 404 ZPO vom Gericht ausgewählt wird.
Zulässige Beweismittel
- Augenschein
- Zeugen
- Sachverständigengutachten
Die Darlegung des Grundes, der die Besorgnis rechtfertigt, dass das Beweismittel verloren oder seine Benutzung erschwert werde; auch der Beweissicherungsgrund ist glaubhaft zu machen.
3.3 Verjährungshemmung
Der Beweissicherungsantrag hemmt die Verjährung (§ 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB).
4 Verwertung im Hauptsacheprozess
Wird im Anschluss an das Beweisverfahren eine Klage erhoben, so wird die vorgezogene Beweisaufnahme wie eine unmittelbar im Hauptsacheverfahren selbst durchgeführte Beweiserhebung behandelt, wenn die Parteien des Hauptsacheverfahrens mit denen des selbstständigen Beweisverfahrens identisch sind. Jede Partei kann sich somit auf die Tatsachen berufen, über die Beweis erhoben wurde.
Ein neues Gutachten in einem sich anschließenden Rechtsstreit darf nur unter den...