Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob mit der Erkenntnis, daß der zunächst als einkommensteuerrechtlich relevant angesehene Betrieb einer Landwirtschaft Liebhaberei ist, zugleich auch die Annahme verbunden sein muß, daß der Betrieb durch Betriebsaufgabe ins Privatvermögen überführt worden ist.
Normenkette
EStG bis 1974 § 2 Abs. 2 S. 1, § 4 Abs. 1 S. 2, §§ 14, 16 Abs. 3
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) machte, wie zuvor schon ihr 1966 verstorbener Ehemann, alljährlich bei der Veranlagung zur Einkommensteuer Verluste aus einem landwirtschaftlichen Betrieb geltend, den der Ehemann im Oktober 1964 für 1,1 Mio. DM erworben hatte. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) erkannte bis zum Veranlagungszeitraum 1969 die Verluste bei den endgültig durchgeführten und dann auch bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerveranlagungen an und verrechnete sie mit positiven Einkünften aus der Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft und aus Vermietung und Verpachtung. Nachdem das FA bis Anfang 1975 mehrere Betriebsprüfungen durchgeführt hatte, bei denen für alle Jahre, zuletzt für das Wirtschaftsjahr 1972/73, erhebliche Verluste festgestellt worden waren, ging es für die nächste noch offene Veranlagung, nämlich für die nur vorläufig durchgeführte des Veranlagungszeitraums 1970, davon aus, daß der landwirtschaftliche Betrieb als Liebhabereibetrieb zu behandeln und deshalb zum nächstmöglichen Stichtag, nämlich zum 1. Juli 1970 ins Privatvermögen zu überführen sei. Im endgültigen Einkommensteuerbescheid 1970 brachte das FA daher einen aus der Differenz zwischen dem angenommenen Entnahmegewinn (204 537 DM) und der Hälfte des Verlustes aus dem Wirtschaftsjahr 1969/70 (23 046 DM) sich ergebenden Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft von 181 491 DM zum Ansatz. Über den hiergegen erhobenen Einspruch, mit dem sich die Beschwerdeführerin gegen die Qualifizierung des landwirtschaftlichen Betriebs als Liebhabereibetrieb wandte, hat das FA noch nicht entschieden.
Die Beschwerdeführerin beantragte beim Finanzgericht (FG) Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1970 in Höhe von 116 483 DM. Das FG lehnte diesen Antrag ab, weil an der Beurteilung des landwirtschaftlichen Betriebs als Liebhabereibetrieb und an der Berechtigung des FA, den Betrieb als zum 1. Juli 1970 entnommen anzusehen, keine ernstlichen Zweifel bestünden.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde begehrt die Beschwerdeführerin weiterhin, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1970 wie beantragt auszusetzen. Sie macht geltend, Liebhaberei liege nicht vor, da der landwirtschaftliche Betrieb nun, nachdem die Anlaufzeit vorüber sei, Gewinne erziele. Darüber hinaus bestünden ernstliche Zweifel, ob selbst bei Annahme einer Liebhaberei ein Entnahmegewinn zur Besteuerung herangezogen werden könne. Eine derartige Zwangsentnahme sei in der Rechtsprechung bisher noch nie angenommen worden.
Das FA beantragt Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde, deren Zulässigkeit im Hinblick auf die in dieser Sache eingeholte Entscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. November 1977 GrS 4/77 (BFHE 124, 130, BStBl II 1978, 229; vgl. auch den Vorlagebeschluß des Senats vom 16. Juni 1977 IV B 59/76, BFHE 122, 430, BStBl II 1977, 753) nicht mehr in Frage steht, ist zum überwiegenden Teil begründet.
1. Keine ernstlichen Zweifel i. S. des § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1970 bestehen allerdings hinsichtlich der vorgreiflichen Frage, ob das FA den landwirtschaftlichen Betrieb der Beschwerdeführerin überhaupt als Liebhabereibetrieb beurteilen durfte. Die Vorinstanz hat unter Beachtung der von ihr zutreffend wiedergegebenen Grundsätze der Rechtsprechung des BFH, wie sie zuletzt in der Entscheidung des Senats vom 18. März 1976 IV R 113/73 (BFHE 118, 447, BStBl II 1976, 485) ihren Niederschlag gefunden haben, im summarischen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung von einem Liebhabereibetrieb ausgehen können. Angesichts der sich kontinuierlich über zehn Wirtschaftsjahre hin erstreckenden Dauerverluste bedurfte es keiner weiteren Zukunftsprognosen, um ernstliche Zweifel, daß es sich im Streitfall um einen Liebhabereibetrieb handelt, auszuschließen.
2. Kann somit im Verfahren nach § 69 FGO vom Vorliegen eines Liebhabereibetriebes ausgegangen werden, so besagt das noch nicht, daß damit auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom FA vorgenommenen Aufgabegewinnbesteuerung ausgeschlossen wären. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend hervorhebt (vgl. auch Felsmann, Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte, 2. Aufl., Abschn. A Anm. 53 a), hat die Rechtsprechung bislang noch nicht entschieden, daß dann, wenn ein zunächst als einkommensteuerrechtlich relevant angesehener und anerkannter Betrieb später als Liebhabereibetrieb beurteilt wird, zugleich mit dieser Umqualifizierung auch eine Überführung des Betriebes ins Privatvermögen, also eine Betriebsaufgabe, zu unterstellen sei. Eine derartige "Zwangsentnahme" (vgl. Woltmann, Information L 1966, 234 [236]) hat wohl auch die Finanzverwaltung bisher nicht angenommen.
a) Es soll nicht verkannt werden, daß mancher Gesichtspunkt für eine derartige Auffassung sprechen mag. Denn wenn schon im Rahmen des von der Rechtsprechung geschaffenen Instituts der Liebhaberei die Möglichkeit bejaht wird, eine im Erscheinungsbild des § 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auftretende Tätigkeit wegen ihrer Zuordnung zur Privatsphäre als einkommensteuerrechtlich irrelevante Liebhaberei zu behandeln, so entbehrt es nicht einer gewissen Folgerichtigkeit, dann auch das Vermögen, das dieser Tätigkeit dient, also den "Liebhabereibetrieb", als notwendiges Privatvermögen zu behandeln. Fraglich erscheint dann allerdings schon, ob der Liebhabereibetrieb jedenfalls dann, wenn er sich rückschauend von Anfang an als Verlustbetrieb erweist, nicht auch von Anfang an nur Privatvermögen war, so daß eine Zwangsentnahme schon deshalb nicht in Betracht käme. FA und FG begegnen dieser Schwierigkeit, indem sie die Auffassung vertreten, die Beschwerdeführerin müsse sich, nachdem sie jahrelang die Verluste aus der Landwirtschaft einkommensmindernd berücksichtigt bekommen habe, nun nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als ob sie einen zunächst zu Recht als landwirtschaftlichen Betrieb bilanzierten Hof zum 1. Juli 1970 entnommen hätte. Daß dieser Auffassung immerhin entgegengehalten werden könnte, daß auch das FA die Endgültigkeit des Verlustausgleichs in den Vorjahren durch Vorläufigkeit der Veranlagungen hätte vermeiden können, sei hier nur angedeutet.
b) Auch wenn man davon ausgeht, daß der landwirtschaftliche Betrieb der Beschwerdeführerin einkommensteuerrechtlich relevantes landwirtschaftliches Betriebsvermögen war, so ist damit noch nicht klar, daß mit der Qualifizierung der Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Liebhaberei und der Qualifizierung der entsprechenden (negativen) Einkünfte als Liebhabereieinkünfte auch der landwirtschaftliche Betrieb automatisch als Privatvermögen behandelt, also eine Betriebsaufgabe durch Entnahme unterstellt werden müßte.
aa) Nach der Rechtsprechung des BFH liegt eine Betriebsaufgabe in der Regel vor, wenn der Betrieb aufgehört hat, als selbständiger Organismus des Wirtschaftslebens zu bestehen, weil seine wesentlichen Grundlagen in einem einheitlichen Vorgang veräußert oder ins Privatvermögen überführt worden sind (vgl. Urteil des Senats vom 24. Juni 1976 IV R 200/72, BFHE 119, 430, BStBl II 1976, 672; Beschluß des BFH vom 7. Oktober 1974 GrS 1/73, BFHE 114, 189, BStBl II 1975, 168). Mit Recht weist die Beschwerdeführerin darauf hin, daß derartige Vorgänge in aller Regel vom Steuerpflichtigen gewollte Handlungen voraussetzen, also z. B., soweit es sich um die Überführung ins Privatvermögen handelt, Entnahmehandlungen. Es kann wohl kaum geleugnet werden, daß es schwierig erscheint, die jahrelange Verlusterzielung durch den Steuerpflichtigen in einem im übrigen vielleicht "zünftig" bewirtschafteten landwirtschaftlichen Betrieb (vgl. hierzu das BFH-Urteil IV R 113/73, BFHE 118, 447 [453]) als eine Entnahmehandlung zu werten - etwa i. S. einer Dauerhandlung, die sich dann irgendwann zum Entnahmeakt verdichtet -, und es erscheint noch schwieriger, diesen Entnahmeakt gerade zu dem Zeitpunkt anzunehmen, in dem das FA die Umqualifizierung der bisher als einkommensteuerrechtlich relevant angesehenen Tätigkeit in eine einkommensteuerrechtlich irrelevante vornimmt.
bb) Auch wenn man aber ausnahmsweise vom Erfordernis der Entnahmehandlung absehen will (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse Großer Senat GrS 1/73, BFHE 114, 189 [195], Abschn. C II 1 c, und vom 21. November 1974 IV B 39/74, BFHE 114, 212, BStBl II 1975, 175), so liegt doch auch der sonst für eine Betriebsaufgabe symptomatische Vorgang, nämlich die Auflösung des bestehenden betrieblichen Organismus, gerade nicht vor. Der Betrieb besteht nach wie vor fort. Die einzige Veränderung folgt aus der geänderten rechtlichen Qualifizierung der im Betrieb erwirtschafteten (negativen) Einkünfte. Hierin eine Betriebsaufgabe durch Überführung des gesamten Betriebs in das Privatvermögen zu sehen, begegnet immerhin ernst zu nehmenden Zweifeln. Zwar hat der Große Senat des BFH in der genannten Entscheidung GrS 1/73 Fälle angeführt (vgl. BFHE 114, 189 [196] Abschn. C II 2 a), in denen die Rechtsprechung ausnahmsweise auch bei bestehenbleibenden Betriebsorganismen eine Betriebsaufgabe angenommen hat (z. B. bei Verlegung eines Gewerbebetriebs ins Ausland bei entsprechenden, die inländische Besteuerung stiller Reserven ausschließenden Doppelbesteuerungsabkommen; vgl. BFH-Urteil vom 28. April 1971 I R 55/66, BFHE 102, 374, BStBl II 1971, 630). Hiermit ist aber der vorliegende Fall nicht vergleichbar. Die Besteuerung stiller Reserven kann hier ähnlich wie bei der Verpachtung eines Gewerbebetriebs (Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 13. November 1963 GrS 1/63 S, BFHE 78, 315, BStBl III 1964, 124) oder wie bei dem in der genannten Entscheidung GrS 1/73 behandelten Fall des Strukturwandels lediglich hinausgeschoben sein, wenn man davon ausgeht, daß wegen der vorliegenden Liebhaberei zwar die Einkünfte ihre einkommensteuerrechtliche Relevanz verloren haben, der landwirtschaftliche Betrieb aber damit noch nicht seine Eigenschaft als landwirtschaftliches Betriebsvermögen eingebüßt hat. Wie beim Strukturwandel nicht im Zeitpunkt des Wechsels der Gewinnermittlungsart, so hätte dann bei der Liebhaberei nicht im Zeitpunkt der Umqualifizierung der Einkünfte, sondern auch hier erst bei einem späteren gewinnrealisierenden Vorgang (z. B. bei Veräußerung oder "echter" Betriebsaufgabe durch Betriebsauflösung) eine Besteuerung der stillen Reserven stattzufinden.
c) Angesichts der aufgezeigten Rechtsfragen, die eine Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Besteuerung eines Aufgabegewinns erkennen lassen (vgl. Beschluß des BFH vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182), war der Beschwerde insoweit stattzugeben und die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1970 auszusetzen, soweit in ihm Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft überhaupt berücksichtigt wurden. Es waren bei der summarischen Entscheidung also sowohl der Aufgabegewinn aus Land- und Forstwirtschaft als auch der Verlust aus Land- und Forstwirtschaft und darüber hinaus auch der Freibetrag für Land- und Forstwirte außer Ansatz zu lassen.
Fundstellen
Haufe-Index 413368 |
BStBl II 1978, 626 |
BFHE 1979, 450 |