Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagebeschluß zum EuGH: Aufteilung eines Gesamtentgelts für grenzüberschreitende Personenbeförderungen, Auslegung des Art.9 Abs.2 Buchst.b der Richtlinie 77/388/EWG
Leitsatz (amtlich)
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art.9 Abs.2 Buchst.b der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, daß bei einer grenzüberschreitenden Personenbeförderung zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlage für den auf das Inland entfallenden Beförderungsteil die Gesamtgegenleistung
a) stets nach dem Verhältnis der zurückgelegten Beförderungsstrecken aufgeteilt werden muß, so daß Standzeiten und Wartezeiten zwischen den Beförderungsteilen, z.B. bei Studienreisen, unberücksichtigt bleiben, oder
b) enthält die Vorschrift nur eine Regelung über den Ort der Beförderungsleistung, wonach lediglich dieser nach Maßgabe der zurückgelegten Strecken zu bestimmen ist mit der Folge, daß die Mitgliedstaaten frei sind zu regeln, nach welchem Maßstab eine Gesamtgegenleistung auf den steuerbaren und den nichtsteuerbaren Teil der Beförderung aufzuteilen ist?
Normenkette
UStG 1980 § 3a Abs. 2 Nr. 2 S. 2, § 10 Abs. 1; EWGRL 388/77 Art. 9 Abs. 2 Buchst. b; EWGRL 388/77 1980 Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) veranstaltet Busreisen. Zu einem Pauschalpreis bietet sie den Reiseteilnehmern Beförderung, Unterkunft, Verpflegung, Reiseleitung usw. an (Pauschalreise). Die Beförderung erbringt sie mit eigenen Reisebussen. Zur Ermittlung des Entgelts für die Beförderung wurde der Pauschalpreis von der Klägerin in einen auf die Beförderung und einen auf die übrigen Leistungen entfallenden Betrag aufgeteilt. Bei grenzüberschreitender Beförderung im Streitjahr (1983) teilte die Klägerin das auf die Beförderung entfallende Gesamtentgelt auf die steuerbare Beförderung im Inland (Erhebungsgebiet) und die nichtsteuerbare Beförderung im Ausland (Außengebiet) auf.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) vertrat die Ansicht, das auf die Beförderung entfallende Gesamtentgelt sei allein nach Maßgabe der Längen der im Erhebungsgebiet bzw. im Außengebiet zurückgelegten Strecken aufzuteilen (Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 1. April 1982 IV A 3 - S 7118 - 5/82, Abschn.II Abs.3, BStBl I 1982, 386; später Abschn.35 Abs.5 der Umsatzsteuer-Richtlinien --UStR-- 1985/1988/1992). Das FA erließ dementsprechend einen Umsatzsteueränderungsbescheid, mit dem es die Umsatzsteuer für 1983 heraufsetzte. Mit dem Einspruch begehrte die Klägerin, bei der Aufteilung des Gesamtentgelts neben den Streckenlängen auch die jeweilige Nutzungsdauer der Busse im Inland bzw. Ausland zu berücksichtigen. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Es führte aus, die Aufteilung des Entgelts im Verhältnis der innerhalb und außerhalb des Erhebungsgebiets zurückgelegten Strecken beachte den Grundsatz der Wettbewerbsneutralität und führe in der überwiegenden Zahl aller Fälle zu einer zutreffenden Besteuerung. Dagegen habe die von der Klägerin begehrte Aufteilung nach Zeitanteilen bzw. Verweildauer Wettbewerbsverzerrungen und Steuerungerechtigkeiten zur Folge. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1993, 469 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Nach ihrer Auffassung ist eine Personenbeförderung mit Reiseprogramm anders zu beurteilen als ein Warentransport. Die Personenbeförderung in Reisebussen könne nicht ausschließlich nach Maßgabe der zurückgelegten Strecken bemessen werden, es sei vielmehr weiter nach der Art und Weise des Befahrens der Strecken zu differenzieren. Beförderung mit hoher Geschwindigkeit (z.B. auf Autobahnen) sei anders zu bewerten als Beförderung mit besonders niedriger Geschwindigkeit (z.B. auf Nebenstrecken, in Fremdenverkehrsgebieten, auf Gebirgsstrecken) oder als Beförderung, die wegen der Verknüpfung mit einem Besichtigungsprogramm mit Wartezeiten verbunden ist. Bei Auslandsreisen mit Programm werde in der Regel im Inland in kurzer Zeit eine längere Strecke (insbesondere auf der Autobahn) zurückgelegt, während im Ausland die Aufenthaltsdauer im Vergleich zu der zurückgelegten Strecke von ungleich größerem Gewicht sei. In die Bewertung des inländischen bzw. ausländischen Leistungsteils müßten deshalb neben den fahrstreckenabhängigen Kosten auch die fahrstreckenunabhängigen Kosten nach Zeitanteilen eingehen.
Das FA könne sich für seine gegenteilige, in Abschn.35 Abs.5 UStR niedergelegte Auffassung nicht auf § 3a Abs.2 Nr.2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 berufen. Die Vorschrift des § 3a UStG 1980 stelle in Überschrift und Inhalt ausschließlich auf den Ort der sonstigen Leistung ab. Sie sei eine Ergänzung zu § 1 Abs.1 Nr.1 Satz 1 UStG 1980. Abschn.35 Abs.5 UStR verwechsele die Festlegung des Ortes der Leistung mit der Bestimmung des Wertes der Leistung gemäß § 10 Abs.1 UStG 1980. Ebenso wie § 3a Abs.2 Nr.2 UStG 1980 enthalte auch Art.9 Abs.2 Buchst.b der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG), wonach die zurückgelegte Beförderungsstrecke maßgeblich sei, lediglich eine Regelung über den Ort der Leistung. Die Leistung selbst sei nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entsprechend den tatsächlichen Verhältnissen zu bewerten.
Die Klägerin beantragt, das erstinstanzliche Urteil, die Einspruchsentscheidung sowie den Umsatzsteueränderungsbescheid für 1983 aufzuheben, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das FA beanstandet Fehler in der Aufteilungsmethode der Klägerin; diese stütze sich zu stark auf die Kalkulation ihrer Kosten. Eine Aufteilung nach einem anderen als dem Kilometermaßstab könne nur hingenommen werden, wenn die Klägerin die entstandenen Kosten der Reisen genau erfasse. Wegen der vielen Daten sei dies der Klägerin im Streitfall nicht in nachprüfbarer Weise möglich. Dagegen orientiere sich die Aufteilung nach der Länge der Strecken an leicht und sicher überprüfbaren Umständen. Es werde zutreffend darauf abgestellt, daß sich ein fahrender Bus stärker abnutze als ein stehender. Die Anwendung des Kilometermaßstabs verhindere Besteuerungslücken bzw. Doppelbesteuerung im Verhältnis zum Ausland.
Entscheidungsgründe
II. Rechtslage nach deutschem Recht
1. Die Klägerin unterliegt mit ihren Beförderungsleistungen der Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes 1980. Die Regelung des § 25 UStG 1980 greift nur ein, soweit der Unternehmer Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist bei den Beförderungsleistungen der Klägerin, die sie mit eigenen Bussen ausführt, nicht gegeben.
Die Beförderung durch die Klägerin war nicht Teil einer einheitlichen (der Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes 1980 unterliegenden) Leistung. Der Veranstalter einer Pauschalreise erbringt dem Reiseteilnehmer gegenüber umsatzsteuerrechtlich eine Mehrheit von Reiseleistungen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. November 1975 V R 138/73, BFHE 118, 99, BStBl II 1976, 307). Die Beförderung durch die Klägerin ist deshalb --unabhängig von der Gewährung von Unterkunft, Verpflegung, Reiseleitung usw.-- als selbständige Leistung zu beurteilen.
Über die Berechnung des auf die Beförderung insgesamt entfallenden Teils des Pauschalpreises für die Studienreisen besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
2. Die Beförderungsleistungen der Klägerin sind nur zum Teil steuerbar. Gemäß § 1 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 unterliegen der Umsatzsteuer nur sonstige Leistungen, die im Erhebungsgebiet ausgeführt werden. Erstreckt sich eine Beförderungsleistung sowohl auf das Erhebungsgebiet als auch auf das Außengebiet, ist nur der im Erhebungsgebiet erbrachte Leistungsteil steuerbar. Dementsprechend bestimmt § 3a Abs.2 Nr.2 Satz 2 UStG 1980, daß, wenn eine Beförderung sich nicht nur auf das Erhebungsgebiet erstreckt, nur der Teil der Leistung unter das Umsatzsteuergesetz fällt, der auf das Erhebungsgebiet entfällt.
3. Zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Besteuerung dieses Leistungsteils ist das Gesamtentgelt für die Beförderungsleistung aufzuteilen.
a) Gemäß § 10 Abs.1 Satz 1 UStG 1980 wird der Umsatz bei Lieferungen und sonstigen Leistungen nach dem Entgelt bemessen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist Entgelt alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten (abzüglich Umsatzsteuer).
Im Streitfall wenden die Reiseteilnehmer einen Teil des Gesamtentgelts auf, um im Inland befördert zu werden. Da die Klägerin mit ihren Reisevertragspartnern jeweils nur einen Pauschalpreis für die Studienreise vereinbart hat, fehlt es bezüglich des inländischen Beförderungsanteils an einer Preisvereinbarung als Anknüpfungspunkt für die Ermittlung des Entgelts. Ebenso wie der Pauschalpreis für die Studienreise auf die Beförderung und die anderen Leistungen aufzuteilen ist, muß das auf die Beförderung entfallende Gesamtentgelt auf die im Erhebungsgebiet bzw. im Außengebiet ausgeführte Beförderung aufgeteilt werden.
§ 10 Abs.1 UStG 1980 sagt nichts aus über den Maßstab der Aufteilung eines Entgelts, wenn steuerbare und nichtsteuerbare Leistungsteile gegeben sind. Aus dieser Vorschrift ergibt sich nur die Maßgeblichkeit des Entgelts als Bemessungsgrundlage und die Notwendigkeit der Aufteilung des Gesamtentgelts (für die Beförderung).
b) Zweifelhaft ist, ob sich aus der Vorschrift des § 3a Abs.2 Nr.2 UStG 1980 (die der Regelung des Art.9 Abs.2 Buchst.b Richtlinie 77/388/EWG entspricht) der Maßstab für die Aufteilung eines Gesamtentgelts ergibt. Es kommt in Betracht, die Vorschrift dahin auszulegen, daß die Aufteilung nach Maßgabe der Beförderungsstrecken erfolgen soll. Vertretbar ist aber auch die Auffassung, wonach § 3a Abs.2 Nr.2 UStG 1980 lediglich eine Regelung zum Ort der sonstigen Leistung enthält. Rechtsfolge der Norm wäre in diesem Fall lediglich die Steuerbarkeit der im Erhebungsgebiet ausgeführten Beförderungsleistungen.
4. Für den Fall, daß § 3a Abs.2 Nr.2 UStG 1980 keine Aussage zur Aufteilung eines Gesamtentgelts macht, wäre zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage für den umsatzsteuerbaren Leistungsteil das Beförderungsentgelt nach dem Verhältnis aufzuteilen, in dem der wirtschaftliche Wert des steuerbaren Leistungsteils zum wirtschaftlichen Wert des im Außengebiet ausgeführten Leistungsteils steht (vgl. BFH-Urteile vom 5. November 1970 V R 94/67, BFHE 100, 478, 480; vom 21. Oktober 1987 X R 14/80, BFH/NV 1988, 465, unter 2.; Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, III Rz.102). Denn es müßte mangels Preisvereinbarung und damit mangels Wertbemessung durch die Umsatzbeteiligten unmittelbar auf den Wert der Leistungsteile zurückgegriffen werden, wobei es für die Aufteilung des (auf die Beförderung entfallenden) Gesamtentgelts ausreicht, das Verhältnis zu ermitteln, in dem die Leistungsteile zueinander stehen.
a) Für die Aufteilung des Gesamtentgelts auf die Beförderungsleistungen könnten die Längen der Beförderungsstrecken --gemessen in Kilometern-- der geeignete Maßstab sein. Denn zum einen werden Beförderungsstrecken üblicherweise nach ihrer Länge bewertet. Zum anderen kann auf eine Typisierung bei der Gesetzesanwendung nicht verzichtet werden, wenn nicht die Gleichmäßigkeit und leichte Durchführbarkeit der Besteuerung gefährdet werden soll.
Typisierend könnte davon auszugehen sein, daß die Kosten je gefahrenen Kilometer im Durchschnitt gleich hoch sind. Dies kann im Einzelfall sowohl zu Vorteilen als auch zu Nachteilen für den Steuerpflichtigen führen. Da die Typisierung eine Vielzahl von Sachverhalten erfassen soll, kann sie nicht allen Einzelheiten des jeweils zu entscheidenden Falles gerecht werden.
Die Annahme der Gleichwertigkeit der Streckenlängen dient der Vereinfachung und gleichmäßigen Durchführung des Besteuerungsverfahrens. Sie gewährleistet die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, weil vermieden wird, daß sich in vielen Fällen wegen der unterschiedlichen Gewichtung der Einzelumstände einander widersprechende Ergebnisse einstellen. Eingehende Ermittlungen über die Kosten eines jeden gefahrenen Kilometers stünden im Widerspruch zu dem Grundsatz der Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens, auf die die Verwaltung bei der Bewältigung der Umsatzbesteuerung von Beförderungsleistungen angewiesen ist. Die Ungewißheit der Ermittlung der Kosten je Kilometer im Einzelfall wäre überdies nur schwer mit dem Gebot der Vorhersehbarkeit des Verwaltungshandelns vereinbar.
b) Andererseits ist zu berücksichtigen, daß bei einer Busreise die Kosten je gefahrenen Kilometer sehr unterschiedlich sein können. Dies gilt für die Reisen der Klägerin, bei denen im Erhebungsgebiet in kurzer Zeit große Strecken zurückgelegt werden, während der ausländische Leistungsteil durch kurze Fahrstrecken und lange Wartezeiten geprägt wird. Als Beispiel für diesen Fall führt die Klägerin die Reise nach Salzburg an, bei der einerseits der hohe inländische Streckenanteil innerhalb kurzer Zeit auf der Autobahn bewältigt wird, andererseits während des mehrtägigen Aufenthalts in Salzburg den kurzen Fahrstrecken lange Wartezeiten gegenüberstehen.
Fallen bei Beförderungen Wartezeiten, Stadtrundfahrten oder schwierige, aber touristisch interessante Streckenabschnitte ins Gewicht, könnte dies dazu zwingen, bei der Bewertung der Leistungsteile die fahrstreckenunabhängigen, zeitbezogenen Kosten der Beförderung angemessen zu berücksichtigen. Denkbar wäre es, einen prozentualen Anteil (z.B. 50 v.H.) des Gesamtentgelts nach Zeiteinheiten (Tage, Stunden) und den anderen prozentualen Anteil nach Streckenlängen auf die inländische bzw. ausländische Beförderung aufzuteilen. Die prozentualen Anteile des Gesamtentgelts könnten anhand des (aus der Buchhaltung der Klägerin abzuleitenden) Verhältnisses von zeitbezogenen Kosten der Beförderung (Versicherung, Steuern, zeitbezogene Anteile der Abschreibung, Lohnkosten des Fahrers) und streckenabhängigen Kosten der Beförderung (Kraftstoff, Schmiermittel, Reifen, Bremsen, Abnutzung) ermittelt werden.
III. Rechtslage nach Gemeinschaftsrecht
Der Mehrwertsteuer unterliegen gemäß Art.2 Nr.1 Richtlinie 77/388/EWG Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger im Inland ausführt. Nach Art.9 Abs.2 Buchst.b Richtlinie 77/388/EWG gilt als Ort einer Beförderungsleistung der Ort, an dem die Beförderung nach Maßgabe der zurückgelegten Beförderungsstrecke jeweils stattfindet. Besteuerungsgrundlage ist bei Dienstleistungen alles, was den Wert der Gegenleistung bildet (Art.11 Teil A Abs.1 Buchst.a Richtlinie 77/388/EWG).
Aus diesen Vorschriften ergibt sich, daß bei grenzüberschreitender Beförderung jeweils nur der inländische Streckenteil der Mehrwertsteuer unterliegt und daß im Falle der Vereinbarung einer Gesamtgegenleistung diese auf den inländischen und ausländischen Teil der Beförderung aufgeteilt werden muß.
Es ist gemeinschaftsrechtlich zweifelhaft, ob die Richtlinie 77/388/EWG eine Regelung darüber enthält, nach welchem Maßstab die Gesamtgegenleistung aufzuteilen ist. In Betracht kommt, daß Art.9 Abs.2 Buchst.b Richtlinie 77/388/EWG nur den Ort der Beförderungsleistung betrifft, wonach dieser nach Maßgabe der zurückgelegten Strecken zu bestimmen ist. Als weitere Rechtsfolge ergäbe sich, daß die Mitgliedstaaten frei sind zu regeln, nach welchem Maßstab eine Gesamtgegenleistung auf den steuerbaren und nichtsteuerbaren Teil der Beförderung aufzuteilen ist.
Andererseits könnte Art.9 Abs.2 Buchst.b Richtlinie 77/388/EWG die Regelung enthalten, auch die Aufteilung einer Gesamtgegenleistung --in jedem Fall-- nach Maßgabe der zurückgelegten Beförderungsstrecke vorzunehmen. Dies hätte zur Folge, daß die Dauer der Beförderung sowie Stand- und Wartezeiten nicht berücksichtigt werden dürften.
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat in seinen zu Art.9 Abs.2 Buchst.b Richtlinie 77/388/EWG ergangenen Urteilen vom 23. Januar 1986 Rs.283/84 (Slg.1986, 231) und vom 13. März 1990 Rs.C-30/89 (Slg.1990, I-691) die oben angeführte Frage nicht ausdrücklich behandelt. Er hat lediglich ausgeführt, die Bestimmung des Ortes des steuerbaren Umsatzes durch Art.9 Abs.2 Buchst.b Richtlinie 77/388/EWG sei zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten zwischen den Mitgliedstaaten unerläßlich. Die Vorschrift solle gewährleisten, daß jeder Mitgliedstaat Beförderungsleistungen auf den Teilstrecken besteuere, die in seinem Hoheitsgebiet zurückgelegt werden. Der gesamte Art.9 Richtlinie 77/388/EWG sei dazu bestimmt, durch die einheitliche Festlegung des steuerlichen Anknüpfungspunktes bei Dienstleistungen eine angemessene Abgrenzung des jeweiligen Geltungsbereichs des nationalen Mehrwertsteuerrechts herbeizuführen.
Bei der Würdigung dieser Ausführungen des EuGH ist das vorrangige Ziel der Richtlinie 77/388/EWG, die Harmonisierung der Besteuerungsgrundlage zu berücksichtigen. Der neunten Begründungserwägung zufolge sollte erreicht werden, daß die Besteuerung in allen Mitgliedstaaten zu vergleichbaren Ergebnissen führt. Dieses Ziel wäre nicht erreicht, wenn bei einer grenzüberschreitenden Beförderung die Mitgliedstaaten die Gesamtgegenleistung nach unterschiedlichen Maßstäben auf die inländischen bzw. ausländischen Streckenanteile aufteilen würden. So käme es z.B. zu einer Besteuerungslücke, wenn die Klägerin bei ihrer Studienreise nach Salzburg in der Bundesrepublik Deutschland nach Zeitanteilen und in Österreich nach Streckenlängen zur Besteuerung herangezogen würde. Im umgekehrten Fall wäre eine übermäßige Belastung der Klägerin die Folge.
Die Ausführungen des EuGH zur "angemessenen Abgrenzung" der jeweiligen Besteuerung der Mitgliedstaaten könnten deshalb die Auffassung stützen, Art.9 Abs.2 Buchst.b Richtlinie 77/388/EWG bestimme das Verhältnis der Beförderungsstrecken auch als Maßstab für die Aufteilung einer Gesamtgegenleistung. Es wäre dies die am einfachsten durchzuführende Regelung zur Harmonisierung der Besteuerung in den von der Beförderung jeweils betroffenen Mitgliedstaaten, eine Regelung, die sowohl Besteuerungslücken als auch übermäßige Belastungen der steuerpflichtigen Beförderungsunternehmer vermeiden würde. Allerdings wäre bei einer solchen Auslegung des Art.9 Abs.2 Buchst.b Richtlinie 77/388/EWG in Kauf zu nehmen, daß es in einem Teil der Beförderungsfälle mit Bussen wegen der Nichtberücksichtigung der Nutzungszeiten zu Verzerrungen bei der Aufteilung der Gesamtgegenleistung kommt.
Fundstellen
Haufe-Index 421291 |
BFH/NV 1996, 155 |
BFHE 179, 484 |
BFHE 1996, 484 |
BB 1996, 1260 |
BB 1996, 1260-1262 (LT) |
DB 1996, 1120 (L) |
DStR 1996, 507-508 (K) |
HFR 1996, 423-425 (L) |
StE 1996, 297 (K) |