Leitsatz (amtlich)
Der VI. Senat hat dem Großen Senat gemäß § 11 Abs. 4 FGO folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt: 1. Ob und welche Auswirkungen haben die Vorschriften des Aktiengesetzes vom 6. September 1965 (BGBl I 1965, 1089, BStBl I 1965, 423) über die Ansetzung bzw. Nichtansetzung bestimmter Gegenstände in den Bilanzen der Aktiengesellschaften auf die allgemeinen steuerrechtlichen Vorschriften der §§ 4 bis 7 EStG 1961? 2. Ob und wieweit enthalten die Vorschriften des Aktiengesetzes allgemeine Grundsätze ordnungsmäßiger kaufmännischer Buchführung, die für alle gewerblichen Unternehmen maßgebend sind? 3. Soweit es sich um allgemeine Grundsätze ordnungsmäßiger kaufmännischer Buchführung handelt: Gelten diese Grundsätze schon für die Zeit vor dem Inkrafttreten des neuen Aktiengesetzes? 4. Ist der Begriff "Wirtschaftsgut" für die Bilanzierung in der Steuerbilanz enger auszulegen, als es bisher in der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs geschehen ist?
Normenkette
AktG § 153 Abs. 3; EStG 1961 §§ 4-7
Tatbestand
Die Steuerpflichtige und Revisionsbeklagte, eine KG, bezieht den Strom für ihre Maschinen- und Werkzeugfabrik von einem Elektrizitätswerk (E-Werk). Nachdem durch den steigenden Strombedarf der angeschlossenen Unternehmen Störungen in der Elektriztätsversorgung aufgetreten waren, legte das E-Werk den bisherigen Transformator still und errichtete eine neue Transformatorstation mit drei neuen Trafos, von denen einer ausschließlich die Steuerpflichtige versorgt. Das E-Werk verlangte und erhielt von der Steuerpflichtigen im Jahr 1962 einen sogenannten verlorenen Zuschuß von 15 000 DM zur Errichtung des für sie bestimmten Trafos.
Die Steuerpflichtige hat den Zuschuß als laufenden Aufwand des Jahres der Verausgabung behandelt. Sie ist der Auffassung, die 15 000 DM dienten der Wiederherstellung des Normalzustandes einer ausreichenden Stromversorgung, die weder ein aktivierungspflichtiges Wirtschaftsgut darstelle noch selbständig bewertbar sei. Für das Bestehen eines Normalzustandes werde ein Erwerber ihres Unternehmens keinen besonderen Preis zahlen.
Das FA sieht in den 15 000 DM Anschaffungskosten für ein zu aktivierendes Wirtschaftsgut, dessen betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer auf 20 Jahre zu schätzen sei. Für die Frage, ob mit den 15 000 DM "ein Vorteil" erzielt worden sei, müsse als Vergleichsgrundlage nicht der vor mehreren Jahren herrschende Zustand einer damals noch guten Stromversorgung, sondern der unmittelbar vor der Hingabe des Zuschusses bestehende, herangezogen werden; denn sicher sei, daß ein Erwerber für einen Betrieb mit Stromstörungen weniger zahlen werde als für einen funktionssicheren Betrieb.
Das FG gab der Steuerpflichtigen recht. Es führte aus: Bei der Indienststellung des neuen Trafos handle es sich um die Behebung der wegen der unzureichend gewordenen Stromversorgung eingetretenen Schädigungen. Aufwendungen zur Beseitigung eines Schadens könnten aber niemals zu einer Aktivierung führen. Die Möglichkeit ausreichender Stromabnahme sei kein bewertungsfähiges Wirtschaftsgut, weil in der Regel kein Erwerber dafür etwas bezahlen würde, zumal das eigentliche Wirtschaftsgut, nämlich der neue Trafo, der Steuerpflichtigen gar nicht gehöre.
Mit der nach Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde rügt das FA, das FG habe die Rechtslage verkannt und außerdem die aus den Akten klar hervorgehende Tatsache der Erweiterung und Verbesserung der Stromversorgung der Steuerpflichtigen nicht gewürdigt. Das FA, das im Laufe des Revisionsverfahrens die streitige Gewinnfeststellung unter dem 8. März 1967 gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigt hat, beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Einspruchsentscheidung wiederherzustellen.
Die Steuerpflichtige beantragt, den geänderten Feststellungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen. Sie ist mit dem FG der Ansicht, daß die 15 000 DM sofort abgesetzt werden könnten, weil ihnen kein Wirtschaftsgut gegenüberstehe.
Der BdF ist dem Verfahren beigetreten. Er führt aus: Ob ein Wirtschaftsgut vorliege und ob es in der Steuerbilanz aktiviert werden könne, entscheide sich nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung, die gemäß § 5 Satz 1 EStG auch für die steuerliche Gewinnermittlung maßgebend seien. Sinn des § 5 EStG sei, eine möglichst enge Anlehnung der steuerlichen an die handelsrechtliche Gewinnermittlung zu bewirken. Die handelsrechtlichen Grundsätze sollten nur insoweit eingeschränkt werden, als dies in § 5 Satz 2 EStG ausdrücklich vorgeschrieben sei. In § 5 Satz 2 EStG sei unter den steuerlichen Vorschriften, die den handelsrechtlichen Grundsätzen vorgingen, zwar auch § 6 EStG aufgeführt, der an verschiedenen Stellen den Begriff "Wirtschaftsgut" verwende. Doch habe der Gebrauch dieses Wortes in § 6 EStG keinen normativen Charakter, sondern nur die Aufgabe, den zu bewertenden Gegenständen einen Namen zu geben. Unter diesen Umständen könne der Begriff "Wirtschaftsgut" zwar unbedenklich als Bezeichnung für alles aufgefaßt werden, was für eine Aktivierung in Betracht komme, nämlich außer Sachen und Rechten auch rechtsähnliche Positionen, Vorteile und wirtschaftliche Gegenbenheiten. Ob aber ein Wirtschaftsgut in der Bilanz auszuweisen sei, bestimme sich allein nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung. Allerdings sei die Mehrheit der obersten Länderfinanzbehörden der Auffassung, daß an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in vollem Umfang festgehalten werden solle und daß dem Begriff des Wirtschaftsgutes in den §§ 6 und 7 EStG unverändert normative Bedeutung zukomme; ein Grundsatz, daß immaterielle Anlagewerte in der Bilanz nur im Falle des entgeltlichen Erwerbs aktiviert werden dürften, werde lediglich beim Geschäftswert anerkannt. Auch von der engeren Auffassung aus müsse man aber zu dem Ergebnis kommen, daß hier die Steuerpflichtige für die 15 000 DM eine anspruchsähnliche (rechtsähnliche) Position erworben habe, die als immaterielles Wirtschaftsgut "Sicherstellung der Stromversorgung" zu werten sei.
Der Senat hat ferner dem Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Nach der Auffassung des Instituts wirkt das Handelsrecht über § 5 EStG unmittelbar auf die steuerliche Gewinnermittlung ein. In dieser Vorschrift habe das EStG bezüglich der Frage, was aktiviert und passiviert werden könne bzw. müsse, sich dem Handelsrecht angeschlossen und nur für die Bewertung eigene Bestimmungen getroffen. Es sei deshalb nicht statthaft, in der Steuerbilanz auf Grund einer dynamischen Bilanzauffassung etwas zu aktivieren, das nach Handelsrecht von der Aktivierung ausgeschlossen sei. Durch das AktG 1965 seien Klarstellungen und Einschränkungen bezüglich der Aktivierbarkeit von Vermögensgegenständen erfolgt. Mit dieser Rechtslage stehe die bisherige weite Fassung des Begriffs "Wirtschaftsgut" durch den BFH nicht im Einklang. Aufwendungen für betriebliche Chancen und Vorteile, die nach den Grundsätzen kaufmännischer Buchführung nicht aktiviert werden dürften, gingen in den allgemeinen originären Geschäftswert ein, der auch steuerlich nicht aktiviert werden dürfe. Um aktiviert werden zu können, müsse ein immaterielles Anlagegut verkehrsfähig sein. Das treffe für die Sicherheit vor Störungen in der Stromversorgung nicht zu; der entgeltliche Erwerb der Sicherheit allein vermöge die Aktivierungsfähigkeit nicht zu rechtfertigen.
Die Antworten sowie einander gegensätzliche Äußerungen im Schrifttum veranlaßten den Senat zu einer Vorlage gemäß § 11 Abs. 4 FGO an den Großen Senat (vgl. den Beschluß VI 239/65 vom 16. Februar 1968, BFH 92, 264, BStBl III 1968, 518). Der Große Senat hat seine Auffassung im Beschluß Gr.S. 2/68 vom 3. Februar 1969 (BFH 95, 31, BStBl II 1969, 291) ausgesprochen. Danach gibt das Verbot des Ausweises nichtentgeltlich erworbener immaterieller Wirtschaftsgüter in § 153 Abs. 3 AktG keinen allgemeinen Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung wieder, der bereits im Jahr 1962 gegolten habe; soweit Aufwendungen für nicht entgeltlich erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter in der Handelsbilanz des Geschäftsjahrs 1962 hätten aktiviert werden dürfen, habe für sie grundsätzlich die Pflicht zur Aktivierung in der Steuerbilanz bestanden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA hat Erfolg.
Das FG hat zwar nicht verkannt, daß eine Aktivierung der von der Steuerpflichtigen an das E-Werk gezahlten 15 000 DM nur in Betracht kommt, wenn der Zahlung ein entsprechendes Wirtschaftsgut gegenübersteht. Dem FG kann aber darin nicht gefolgt werden, daß hier lediglich eine Art Schadensersatzleistung vorliege und kein Wirtschaftsgut erworben sei.
Die Steuerpflichtige hat durch ihre Zahlung bezweckt und erreicht, daß das E-Werk ausschließlich für ihren Bedarf einen besonderen Trafo errichtete und daß dadurch ihre ungestörte Versorgung mit Strom gewährleistet würde. Die Errichtung des besonderen Trafos zwecks gesicherter Deckung des künftigen Strombedarfs entsprach dem selbstverständlichen und übereinstimmenden Willen der Steuerpflichtigen und des E-Werks bei der Vereinbarung des Zuschusses. Es ist unerheblich, ob das mit ausdrücklichen Worten, mündlich oder schriftlich, festgelegt worden ist. Das Einvernehmen über ein gegenseitiges Handeln ist jedenfalls darin stillschweigend, aber unmißverständlich enthalten, daß die 15 000 DM für einen bestimmten Zweck durch das E-Werk verlangt und von der Steuerpflichtigen für eben diesen Zweck gezahlt worden sind.
Bei dieser Sachlage liegt es nahe, schon deswegen von einem entgeltlich erworbenen Wirtschaftsgut zu sprechen, weil die Steuerpflichtige bestimmte Ansprüche gegen das E-Werk erworben habe. Die Zahlung der 15 000 DM durch die Steuerpflichtige und die Gestellung des besonderen Trafos stehen sich einander dergestalt gegenüber, daß das E-Werk, wie auch der BdF in seiner Stellungnahme hervorhebt, über den Trafo nicht mehr frei verfügen kann, obwohl dieser im uneingeschränkten Eigentum des E-Werks steht und bleibt. Würde das E-Werk trotz der auf sein Verlangen von der Steuerpflichtigen "gezielt" aufgewendeten 15 000 DM keinen Trafo errichtet haben oder etwa einen weiteren Betrieb an den Trafo anschließen, so würde die Steuerpflichtige das weder hinnehmen noch hinzunehmen brauchen, weil ein derartiges Verhalten den Abreden zwischen dem E-Werk und der Steuerpflichtigen zuwiderlaufen würde. Selbst wenn man solche rechtlichen Ansprüche verneinen wollte, ist doch jedenfalls in der Stellung der Steuerpflichtigen gegenüber dem E-Werk eine rechtsähnliche Position zu sehen, die die Annahme eines immateriellen Wirtschaftsgutes rechtfertigt ― eine Annahme übrigens, von der auch der Große Senat in seinem Beschluß Gr.S. 2/68 (a. a. O.) ausgegangen ist.
Nach der Entscheidung des Großen Senats Gr.S. 2/68 (a. a. O.) können zu den nach Handelsrecht und Steuerrecht zu bilanzierenden Wirtschaftsgütern auch immaterielle Wirtschaftsgüter gehören. Wenngleich § 153 Abs. 3 AktG 1965 ein handelsrechtliches Aktivierungsverbot für nicht entgeltlich erworbene, d. h. selbst geschaffene, immaterielle Anlagewerte enthält, hat doch nach dieser Entscheidung vor dem Erlaß des AktG 1965 ein allgemein anerkanntes Verbot des Ausweises nicht entgeltlich erworbener immaterieller Wirtschaftsgüter nicht bestanden. Die im Jahre 1962 nach Handelsrecht gegebene Aktivierbarkeit eines nicht entgeltlich erworbenen Wirtschaftsgutes hat, wie in der Entscheidung dargelegt wird, dazu geführt, daß es steuerlich aktiviert werden mußte.
Geht man von diesen Grundsätzen aus, so ist im Streitfalle die Aktivierungspflicht um so unzweifelhafter zu bejahen, als es sich um ein entgeltlich erworbenes Wirtschaftsgut handelt. Wie bereits dargelegt, hat die Steuerpflichtige ihre rechtsähnliche Position im Verhältnis zum E-Werk entgeltlich erworben, eben durch die Zahlung der 15 000 DM, durch die sie sich dahin abgesichert hat, daß ein vom E-Werk neu installierter Trafo ausschließlich der Deckung ihres Bedarfs an Kraftstrom dient. Die Steuerpflichtige hat damit nicht etwa nur eine allgemeine "Chance" für ihren Betrieb gewonnen, aus der sie sich für die Zukunft günstige Auswirkungen "erhoffen" kann. Ein Fall dieser Art würde z. B. bei einem sog. Reklamefeldzug gegeben sein, für den nach dem BFH-Urteil I 167/62 U vom 9. Oktober 1962 (BFH 76, 16, BStBl III 1963, 7) ― anders als bei laufenden Reklameaufwendungen ― eine Aktivierung in Betracht käme. Selbst wenn man hier mehr als nur eine "Chance" annähme, ergäben sich doch hinsichtlich der Entgeltlichkeit Bedenken, weil die Werbeaufwendungen den je in Betracht kommenden Firmen gegenüber erbracht worden sind und die erstrebte "Chance" nur eine mittelbare Folge bildet. Im Streitfall aber ist der Aufwand (das Entgelt) gerade dem E-Werk gegenüber erbracht, das dem Steuerpflichtigen eben um dieses Aufwandes willen als ein auf unbestimmte Zeit in der Verfügung über den ihm gehörenden Trafo beschränkter Dritter gegenübersteht; die Rechtsbeziehungen tragen den Charakter eines Dauersachverhalts.
Die 15 000 DM fallen auch aus den übrigen Aufwendungen für die verschiedenen betrieblichen Zwecke heraus. Ihre bestimmte, mit dem E-Werk wenigstens stillschweigend vereinbarte Verwendung machen den Aufwand ohne weiteres selbständig faßbar. In den 15 000 DM repräsentiert sich das damit gewonnene konkrete Wirtschaftsgut "gesicherte Energieversorgung" mit seinem Anschaffungswert (§ 5 Satz 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Das Unternehmen der Steuerpflichtigen war in den Jahren vor 1962 in kräftiger Aufwärtsentwicklung begriffen, wie das aus den Gewinn- und Verlustrechnungen ersichtliche Ansteigen der Erlöse von 1 314 000 DM im Jahre 1958 auf rund 1 950 000 DM im Jahre 1962 zeigt. Angesichts dieser Expansion des Betriebs war im Jahre 1962 auch für die kommende Zeit mit einem erhöhten Bedarf an elektrischem Strom zu rechnen. Der Sicherstellung der Bedarfsdeckung in den kommenden Jahren dienten die an das E-Werk gezahlten 15 000 DM. Sie sind keineswegs ein "verlorener" Zuschuß gerade des Jahres 1962. Es ist nicht zweifelhaft, daß die mit der Zahlung dieser 15 000 DM geschaffene günstigere Ausgangsposition auch einem verständigen Erwerber des Betriebs beim Aushandeln des Kaufpreises mit Erfolg hätte vorgehalten werden können.
Nach alledem hat das FA zu Recht die Aktivierung der 15 000 DM verlangt. Das Urteil des FG, dem eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegt, muß aufgehoben werden. Der Senat ist in der Lage durchzuentscheiden. Bei der nach Aktivierung der 15 000 DM durch § 7 EStG gebotenen Verteilung des Aufwandes ist das FA von einer Nutzungsdauer von 20 Jahren ausgegangen. Die Schätzung erscheint unbedenklich. Sie ist von der Steuerpflichtigen auch nicht angegriffen worden. Die nach Inkrafttreten der FGO als Klage gegen die Einspruchsentscheidung des FA geltende Berufung war daher mit der Maßgabe abzuweisen, daß an die Stelle des einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides vom 9. Juni 1964 der vom 8. März 1967 getreten ist.
Fundstellen
Haufe-Index 67724 |
BStBl II 1968, 518 |
BFHE 1968, 264 |