Leitsatz (amtlich)
Vorverfahren, Antrag und Erledigung der Untätigkeitsklage.
Normenkette
FGO §§ 46, 139, 96 Abs. 1 S. 2, § 76 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) war Gesellschafterin einer OHG. Sie erhob gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1964 Klage, mit dem Antrag, die für sie festgesetzten Entnahmen um die gezahlten Vermögensabgabebeträge zu kürzen. Dieses Verfahren ist noch beim FG anhängig (Az. des FG I 168/66).
Aufgrund einer Betriebsprüfung änderte der Beklagte und Beschwerdeführer (FA) die Gewinnfeststellungsbescheide 1963 bis 1965. Gegen diese berichtigten Bescheide sowie gegen die Gewinnfeststellungsbescheide 1966 und 1967 legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 21. Juli 1969 Einspruch ein, mit dem Antrag, die Entnahmen um die gezahlten Vermögensabgabebeträge zu kürzen.
Das FA teilte mit Schreiben vom 15. Januar 1970 mit, daß es über sämtliche Einsprüche erst nach Vorliegen der Entscheidung des FG über die Klage gegen den ursprünglichen Gewinnfeststellungsbescheid 1964 entscheiden werde, da in allen Verfahren die gleiche Rechtsfrage streitig sei. Die Klägerin bestand dagegen auf einer Entscheidung über die Einsprüche und kündigte die Erhebung einer Untätigkeitsklage an. Das FA schrieb am 23. Juni 1970 erneut, daß es eine Entscheidung über die Einsprüche vor einer Entscheidung des FG in der Gewinnfeststellungssache 1964 nicht für zweckmäßig halte. Dagegen wandte sich die Klägerin mit dem Einwand, aus verfahrensrechtlichen Gründen sei zunächst über den Einspruch gegen den nach § 222 AO geänderten Gewinnfeststellungsbescheid 1964 zu entscheiden. Mit Schriftsatz vom 2. Juli 1970 erhob die Klägerin Klage mit folgendem Antrag:
"Es wird beantragt, der Beklagten aufzugeben innerhalb einer angemessenen Frist, die nicht länger als eine Zeitspanne von 30 Tagen umfassen sollte, über die Einsprüche gegen die vorerwähnten Gewinn-(Einkünfte-) Feststellungsbescheide für die Jahre 1963 bis 1967 einschl. zu entscheiden und zwar mittels einer Einspruchsentscheidung oder die deshalb anhängigen Vorverfahren nach §§ 248 (2), 94 (1) No. 2 AO zur Erledigung zu bringen. Sollte der beantragte Verwaltungsakt nicht binnen der vom Gericht bestimmten Frist vollzogen sein, so bitte ich um eine Entscheidung in der Hauptsache gemäß den Anträgen im Vorverfahren."
Die Klage war ausdrücklich auf §§ 46, 40 FGO gestützt.
Nunmehr setzte das FG das Verfahren, das den ursprünglichen Gewinnfeststellungsbescheid 1964 betraf, nach § 74 FGO aus. Daraufhin erließ das FA eine einheitliche Einspruchsentscheidung für die Streitjahre 1963 bis 1967. Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das FG hat die Kosten des Verfahrens dem FA auferlegt, weil es durch unberechtigte Verzögerung der Einspruchsentscheidung die Erhebung der Klage veranlaßt habe.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde des FA, mit der geltend gemacht wird, die Klage sei unzulässig gewesen, die Kosten des Verfahrens habe daher die Klägerin zu tragen. Keinesfalls hätten die Kosten des Vorverfahrens dem FA auferlegt werden dürfen. Denn durch die Erledigung des Klageverfahrens habe sich das Einspruchsverfahren nicht erledigt. Die Klägerin habe vielmehr gegen die Einspruchsentscheidung für die Streitjahre 1963 bis 1967 Klage erhoben. Erst in dem durch diese Klage eingeleiteten Verfahren sei über die Kosten des Vorverfahrens zu entscheiden.
Das FA beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und die Kosten des Klageverfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens der Klägerin aufzuerlegen, hilfsweise, dem FA nur die Kosten des Klageverfahrens, nicht jedoch die Kosten des Vorverfahrens aufzuerlegen.
Die Klägerin beantragt, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig und zum Teil begründet (§§ 128, 129 FGO).
1. Das FA hat die Beschwerde rechtzeitig erhoben. Der Beschluß des FG wurde dem FA am 20. März 1974 zugestellt. Die Frist von zwei Wochen zur Einlegung der Beschwerde lief am 3. April 1974 ab. Die Beschwerdeschrift des FA ging am 2. April 1974 beim FG ein. Die Beschwerde ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht beim BFH, sondern beim FG einzulegen (§ 129 Abs. 1 FGO). Die Beschwerdefrist wird allerdings auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim BFH eingeht (§ 129 Abs. 2 FGO).
2. Die Einwendungen des FA gegen die Kostenentscheidung des FG sind zum Teil begründet.
a) Kosten des Klageverfahrens
Die Klage war zulässig (§ 46 FGO). Sie war allerdings nach ihrem Hauptantrag darauf gerichtet, das FA zu verpflichten, innerhalb einer angemessenen Frist über die Einsprüche 1963 bis 1967 zu entscheiden. Dieser Antrag war nicht der richtige Antrag einer Klage nach § 46 FGO. Eine solche Klage hat nicht das Ziel, das FA zum Erlaß der Einspruchsentscheidung zu verpflichten. Sie war vielmehr im Streitfall eine Anfechtungsklage gegen die Gewinnfeststellungsbescheide 1963 bis 1967 ohne Vorverfahren, mit dem Ziel, eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide herbeizuführen (BFH-Beschluß vom 5. Mai 1970 II B 19/67, BFHE 99, 114, BStBl II 1970, 551). Da die Klägerin ihre Klage ausdrücklich auf §§ 46, 40 FGO gestützt hat und das Gericht an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO), vielmehr auf die Stellung des richtigen Antrags hinzuwirken hat (§ 76 Abs. 2 FGO), kann die Klage nicht wegen des unrichtigen Klageantrags als unzulässig angesehen werden.
Im übrigen sind die Voraussetzungen der Klage nach § 46 FGO erfüllt. Das FA hat über die Einsprüche der Klägerin ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist nicht sachlich entschieden. Zutreffend hat das FG ausgeführt, daß das FA nicht berechtigt war, das Einspruchsverfahren auszusetzen bis zur Entscheidung des FG über die Klage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1964. Denn diese Entscheidung war nicht vorgreiflich für die Entscheidung über die Einsprüche gegen die berichtigten Gewinnfeststellungsbescheide 1963 bis 1965 und die Gewinnfeststellungsbescheide 1966 und 1967. Der Umstand, daß - jedenfalls zum Teil - die gleiche Rechtsfrage streitig war, rechtfertigt die Aussetzung nach § 244 AO nicht. Wie das FG in dem Verfahren I 168/66 entschieden hat, ist umgekehrt die Entscheidung über den ursprünglichen Gewinnfeststellungsbescheid 1964 abhängig von der Entscheidung über den Einspruch gegen den berichtigten Gewinnfeststellungsbescheid 1964 (BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231).
Die zulässige Klage nach § 46 FGO hat sich durch übereinstimmende Erklärungen der Beteiligten erledigt, ohne Rücksicht darauf, ob das Verfahren wirklich erledigt war (BFH-Beschluß vom 10. November 1971 I B 14/70, BFHE 104, 39, BStBl II 1972, 222). Tatsächlich war das Verfahren durch den Erlaß der Einspruchsentscheidung nicht erledigt. Denn das FA hat, wie es in der Beschwerde unwidersprochen vorgetragen hat, die Einsprüche der Klägerin zurückgewiesen. Damit hat es nicht, wie § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO für eine Erledigung des Verfahrens voraussetzt, den "beantragten" Verwaltungsakt erlassen. Denn die Klage war - unbeschadet der unrichtigen Fassung des Antrags - darauf gerichtet, die angefochtenen Bescheide aufzuheben oder zu ändern. Daher hätte ohne die Erledigungserklärungen das Verfahren seinen Fortgang genommen.
Ob die Klage sachlich Erfolg gehabt hätte, läßt sich nach dem bisherigen Sach- und Streitstand auch nicht mit annähernder Wahrscheinlichkeit feststellen. Unter diesen Umständen entspricht es unter Berücksichtigung des erheblichen Spielraums, den § 138 Abs. 1 FGO einräumt (BFH-Beschluß I B 14/70), billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens den Beteiligten je zur Hälfte aufzuerlegen.
b) Kosten des Vorverfahrens
Das noch nicht abgeschlossene Einspruchsverfahren ist im allgemeinen das Vorverfahren für die Klage nach § 46 FGO (BFH-Beschluß vom 6. Juni 1969 III B 23/68, BFHE 95, 431, BStBl II 1969, 438). Das gilt aber nicht im Streitfall. Denn die Klägerin hat nach dem unwidersprochenen Vortrag des FA gegen die nunmehr erlassene Einspruchsentscheidung des FA Klage erhoben. Für dieses Klageverfahren stellt das durchgeführte Einspruchsverfahren das Vorverfahren im Sinne des § 139 FGO dar. Über die Kosten dieses Vorverfahrens ist erst im Rahmen des neuen Klageverfahrens zu entscheiden (Az. des FG I 112/70).
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
Für eine Festsetzung des Streitwerts besteht kein Anlaß.
Fundstellen
Haufe-Index 71068 |
BStBl II 1975, 38 |
BFHE 1975, 345 |