Leitsatz (amtlich)

Ein Aufklärungsbeschluß des FG kann die Verhandlungsgebühr nach § 117 Abs. 2 BRAGebO nicht auslösen.

 

Normenkette

BRAGO § 117 Abs. 2

 

Tatbestand

Das FG hat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil vom 19. Juli 1972 den Lohnsteuerrechtsstreit des Kostengläubigers und Beschwerdeführers (Beschwerdeführer) gegen den Kostenschuldner und Beschwerdegegner (FA) in der Hauptsache für erledigt erklärt, die Kosten des Verfahrens dem FA auferlegt und den Streitwert für die Zeit bis zum 3. Mai 1972 auf 892 DM, für die spätere Zeit auf 162 DM festgesetzt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des FG legte im Kostenfestsetzungsbeschluß vom 8. November 1972 der Bemessung der Verhandlungsgebühr nicht dem Antrag des Beschwerdeführers entsprechend den Streitwert von 892 DM, sondern den von 162 DM zugrunde. Die hiergegen erhobene Erinnerung wies das FG zurück.

Der Beschwerdeführer begründet sein vom FG zugelassenes Rechtsmittel wie folgt: Nach übereinstimmender Ansicht in Literatur und Rechtsprechung entstehe die Verhandlungsgebühr des § 117 Abs. 2 BRAGebO nicht erst durch ein gerichtliches Urteil, sondern schon durch jede Entscheidung, die die gerichtliche Endentscheidung vorbereite (Gerold-Schmidt, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, § 117 Anm. 4; Entscheidung des BGH, NJW 1955, 988). Im vorliegenden Falle sei sie bereits durch einen vom FG am 12. Januar 1972 erlassenen Aufklärungsbeschluß entstanden, also in der Zeit, für die der Streitwert von 892 DM festgesetzt worden sei. Die Erinnerungsentscheidung des FG weiche von dem Urteil des BFH vom 15. November 1967 IV 311/62 (BFHE 92, 305, BStBl II 1968, 534) ab. Diesem liege ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde. Es entspreche der durch § 117 Abs. 2 BRAGebO geforderten Gleichstellung der Verfahren ohne und mit mündlicher Verhandlung.

Das FA teilt die Auffassung des Beschwerdeführers, daß die Verhandlungsgebühr nach dem Streitwert von 892 DM festzusetzen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten und ähnliche Verfahren bestimmt § 31 Nr. 2 BRAGebO vom 26. Juli 1957 (BGBl I 1957, 907), daß der zum Prozeßbevollmächtigten bestellte Rechtsanwalt "für die mündliche Verhandlung" eine volle Gebühr, die sogenannte Verhandlungsgebühr, erhält. Zur Zeit des Erlasses der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte entsprach die gesetzliche Regelung des Verfahrens in der Finanzgerichtsbarkeit nicht der Vorschrift des § 128 ZPO, daß über den Rechtsstreit grundsätzlich mündlich zu verhandeln ist und das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nur mit Einverständnis der Parteien treffen kann. § 272 AO a. F. sah vielmehr für das finanzgerichtliche Verfahren vor, daß im Regelfall ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Deshalb billigte der Gesetzgeber seinerzeit durch § 117 Abs. 2 BRAGebO für diesen Regelfall des finanzgerichtlichen Verfahrens die gleichen Gebühren zu wie in einem Verfahren mit mündlicher Verhandlung. Obgleich die am 1. Januar 1966 in Kraft getretene FGO nunmehr in § 90 eine dem § 128 ZPO entsprechende Regelung enthält und somit auch für den Bereich der Finanzgerichtsbarkeit den Grundsatz der mündlichen Verhandlung verwirklicht hat, ist § 117 Abs. 2 BRAGebO an diese Änderung nicht angepaßt worden. Dadurch wird jedoch die weitere Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht in Frage gestellt, auch nicht im Hinblick auf § 35 BRAGebO, der u. a. den Fall erfaßt, daß nach § 128 Abs. 2 ZPO im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (vgl. BFH-Beschluß vom 27. September 1968 VII B 96/67, BFHE 93, 408 [409], BStBl II 1968, 826). Aus dem Wortlaut des § 117 Abs. 2 BRAGebO, wonach der Prozeßbevollmächtigte eine Verhandlungsgebühr auch erhält, wenn eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung getroffen worden ist, muß man entnehmen, daß die Verhandlungsgebühr in einem Verfahren ohne mündliche Verhandlung nicht etwa schon durch die Einreichung von Schriftsätzen, sondern erst durch die Entscheidung des Gerichts entsteht (BFH-Beschluß vom 28. August 1969 VII B 133/ 67, BFHE 96, 498, BStBl II 1969, 709). Es muß sich andererseits um eine Entscheidung handeln, die nach den Vorschriften der FGO grundsätzlich nach mündlicher Verhandlung ergeht. Durch § 117 Abs. 2 BRAGebO ist nämlich von Anfang an nicht der Grundsatz aufgehoben worden, Verhandlungsgebühren für die Teilnahme des Rechtsanwalts in der mündlichen Verhandlung zu gewähren. Deshalb kann aus der Tatsache, daß die Vorschrift nach dem Inkrafttreten der FGO nicht geändert worden ist, nicht etwa der Wille des Gesetzgebers hergeleitet werden, daß die Verhandlungsgebühr nunmehr auch durch solche Entscheidungen ausgelöst werden soll, die nach den Vorschriften der FGO grundsätzlich auch ohne mündliche Verhandlung ergehen können (BFH-Beschluß vom 3. Februar 1970 VII B 74-76/69, BFHE 98, 392, BStBl II 1970, 433).

Ein Aufklärungsbeschluß des FG kann die Verhandlungsgebühr nach § 117 Abs. 2 BRAGebO nicht auslösen, weil ein solcher Beschluß nach § 90 Abs. 1 Satz 2 FGO grundsätzlich nicht nach mündlicher Verhandlung ergeht. Die Auffassung von Gerold-Schmidt (a. a. O.), als Entscheidung im Sinne des § 117 Abs. 2 BRAGebO seien außer dem Urteil und einem (nach § 90 Abs. 3 FGO) erlassenen Vorbescheid auch der Beweisbeschluß, sonstige Beweisanordnungen und Aufklärungsbeschlüsse anzusehen, ist unvereinbar mit der von Gerold-Schmidt (a. a. O.) selbst erwähnten Tatsache, daß die Ausnahmevorschrift des § 117 Abs. 2 BRAGebO ihren Grund nur darin hat, daß zur Zeit ihrer Schaffung das FG über den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden durfte. Der BGH hat in seinem vom Beschwerdeführer erwähnten Urteil vom 2. April 1955 IV ZR 261/54 (NJW 1955, 988) zu § 128 Abs. 2 ZPO zwar die Auffassung vertreten, eine Entscheidung im Sinne dieser Vorschrift sei auch eine solche, die die Endentscheidung wesentlich sachlich vorbereite. Aus diesem Urteil kann aber für die Auslegung des § 117 Abs. 2 BRAGebO nichts hergeleitet werden, weil diese Vorschrift im Verhältnis zu § 128 Abs. 2 ZPO eine nur auf die frühere Regelung des finanzgerichtlichen Verfahrens abgestellte Spezialvorschrift ist und auch nicht Gegenstand des BGH-Urteils war.

Im übrigen trifft die Auffassung des Beschwerdeführers, das FG habe bereits am 12. Januar 1972 einen Aufklärungsbeschluß erlassen und damit eine Entscheidung getroffen, nicht zu. Am 12. Januar 1972 hat lediglich der Berichterstatter des FG ein Schreiben an das beklagte FA gerichtet, in dem er unter Hinweis auf den Akteninhalt mehrere "Bemerkungen" unter dem ausdrücklichen Vorbehalt einer abweichenden Auffassung des Senats zusammenstellte und das FA zur Stellungnahme aufforderte. Diese auf § 79 FGO beruhende Maßnahme des Berichterstatters war kein Aufklärungsbeschluß des FG, da an ihr die übrigen Senatsmitglieder nicht beteiligt waren.

Das FG hat somit zutreffend entschieden, daß die Verhandlungsgebühr des Rechtsanwalts erst durch das Urteil vom 19. Juli 1972 angefallen und deshalb nur nach dem in diesem Zeitpunkt maßgebenden Streitwert von 162 DM festzusetzen ist. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Beschwerdeführers, die Entscheidung des FG weiche von dem Urteil des BFH IV 311/62 ab. Dieses Urteil bestätigt, daß Kosten in einem Verfahren aufgrund verschiedener Streitwerte festgesetzt werden können, und schließt nicht aus, daß eine erst mit dem Endurteil angefallene Verhandlungsgebühr nach dem letzten Streitwert berechnet wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70628

BStBl II 1974, 23

BFHE 1974, 398

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