Leitsatz (amtlich)
1. Die Beschwerde gegen die Entscheidung des FG über den vor der Festsetzung von Gerichtskosten gestellten Antrag, von der Erhebung von Kosten abzusehen, bedarf nicht der Zulassung.
2. Hat der Steuerpflichtige die Festsetzung der Ausgleichsteuer wegen Ungültigkeit der zugrunde liegenden Rechtsvorschrift in vollem Umfang angefochten, so ist der Streitwert auch dann nach dem Gesamtbetrag der Ausgleichsteuer zu bemessen, wenn der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit der Anfechtung zu erkennen gegeben hat, daß er nach Festlegung eines neuen Ausgleichsteuersatzes durch den Gesetzgeber mit einem neuen Steuerbescheid rechne.
2. Die Klageerhebung beruht auch dann nicht auf unverschuldeter Unkenntnis im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 3 GKG, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, der Steuerpflichtige aber die Zweifelhaftigkeit seiner Rechtsauffassung erkannt hat.
Normenkette
FGO §§ 128, 140 Abs. 1, 3, §§ 147, 148 Abs. 3; GKG § 7
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin legte gegen insgesamt 23 Zollbescheide des HZA insoweit Einspruch ein, als darin (Umsatz-) Ausgleichsteuer in der Gesamthöhe von 4 934,38 DM festgesetzt worden war. Nachdem das HZA den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen hatte, erhob die Beschwerdeführerin Klage mit dem Antrag, die Zollbescheide, soweit sie mit dem Einspruch angefochten worden seien, aufzuheben. Zur Begründung führte sie im wesentlichen folgendes aus. Das HZA habe für die aus den Niederlanden eingeführten Gurken und Tomaten 2,5 % Ausgleichsteuer berechnet. Inländische Gurken und Tomaten seien als landwirtschaftliche Erzeugnisse keiner Umsatzsteuer unterworfen. Nach Art. 95 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) solle eingeführte Ware nicht höher mit Abgaben belastet sein als die inländische Ware. Der Ausgleichsteuersatz von 2,5 % könne sich nur aus einer mittelbaren Vorbelastung gleichartiger inländischer Waren, nämlich aus einer umsatzsteuerrechtlichen Vorbelastung der Produktions- und Betriebsmittel ergeben. Es sei zweifelhaft und die Beschwerdeführerin bestreite, daß die gleichartigen inländischen Waren unmittelbar oder mittelbar mit einer gleichhohen Umsatzsteuer vorbelastet seien. Für Tomaten und Gurken dürfe allenfalls eine Vorbelastung von 0,5 % bestehen. Der BdF möge die für die Berechnung der Umsatzsteuervorbelastung maßgeblichen Unterlagen vorlegen. Die Frage, ob und inwieweit die umsatzsteuerrechtliche Vorbelastung der Betriebs- und Produktionsmittel unter den Begriff der mittelbaren Belastung inländischer Waren falle, müsse im Vorabentscheidungsverfahren durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EGH) geklärt werden. Art. 97 EWGV erlaube zwar den Mitgliedstaaten, die die Umsatzsteuer nach dem System der kumulativen Mehrphasensteuer erheben, für die Ausgleichsteuer unter Wahrung der in Art. 95 EWGV aufgestellten Grundsätze Durchschnittssätze für Waren oder Gruppen von Waren festzulegen. Dabei dürfe aber nicht eine großzügige Pauschalierung vorgenommen werden, um einem konkreten Belastungsvergleich aus dem Wege zu gehen. Erweise sich die umsatzsteuerrechtliche Vorbelastung als überhöht, so sei der Ausgleichsteuersatz von 2,5 % wegen Verstoßes gegen Art. 95 Abs. 1 EWGV unwirksam. Dieser Satz könne außerdem schon deshalb nicht als Durchschnittssatz im Sinne des Art. 97 EWGV anerkannt werden, weil die Ermächtigungsgrundlage nicht angegeben sei. Das FG könne zwar die Unwirksamkeit des geltenden Ausgleichsteuersatzes feststellen, es könne den Ausgleichsteuersatz aber nicht selbst ändern. Daher sei die gesamte Ausgleichsteuer mangels einer rechtlichen Grundlage zu erstatten. Der Gesetzgeber sei alsdann gehalten, einen neuen Ausgleichsteuersatz festzulegen. Das mit dieser Klage eingeleitete Verfahren sei als ein "Musterverfahren" für die Warengruppe Gemüse gedacht. Die große Rechtsunsicherheit auf dem Gebiete der Ausgleichsteuer erfordere eine baldige Klärung.
Mit Schriftsatz vom 11. November 1968 nahm die Beschwerdeführerin die Klage zurück. Gleichzeitig beantragte sie, die Verfahrenskosten "niederzuschlagen". In der Begründung führte sie aus, nach Erlaß des Urteils des BFH VII 156/65 vom 11. Juli 1968 halte sie die Rücknahme der Klage für zweckmäßig. Es sei aber unbillig, die Beschwerdeführerin auch mit Verfahrenskosten zu belasten, da die Klage auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse beruhe (§ 140 Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 7 des Gerichtskostengesetzes - GKG -). Der Grund zur Niederschlagung ergebe sich zunächst einmal daraus, daß äußerst schwierige Rechtsfragen aus dem Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und dem deutschen Umsatzsteuerrecht erstmals an den EGH und an die deutschen FG herangetragen und von diesen, abgesehen von der letzten Entscheidung des BFH, grundsätzlich positiv beurteilt worden seien. Die gesamte Entwicklung der Rechtsprechung zeige, daß "ursprünglich aussichtsreiche Einsprüche und Klagen durch eine bewußt auf Ablehnung der Ansprüche gerichtete Interpretation zunichte gemacht" worden seien. Eine derartige Interpretation von Gesetzen dürfe sich nicht dahin auswirken, daß der Betroffene auch noch die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. Das sei ein Umstand, der über das normale Prozeßrisiko bei weitem hinausgehe. In der Literatur werde zum Teil die richtige Auffassung vertreten, daß bei ernsthaften Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Vorschrift die Allgemeinheit und nicht der Steuerpflichtige die Kosten zu tragen habe. Gleiches müsse gelten, wenn gegen eine nationale Norm erhebliche Bedenken wegen Verstoßes gegen die Vorschriften des EWGV bestünden. Die Beschwerdeführerin sei bemüht gewesen, das Kostenrisiko durch Führung eines Musterprozesses gering zu halten.
Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 1968 beantragte die Beschwerdeführerin, "den Gegenstandswert nur in Höhe der Hälfte des Umsatzausgleichsteuerbetrages festzusetzen", da sie den damals bestehenden Ausgleichsteuersatz materiell nur teilweise angegriffen und einen Ausgleichsteuersatz in Höhe von 1 bis 1,5 % für gerechtfertigt gehalten habe.
Durch Beschluß vom 27. November 1968 entschied das FG, daß die Beschwerdeführerin die Kosten des mit der Klage eingeleiteten Verfahrens zu tragen habe und daß der Streitwert für jenes Verfahren auf 4 934,38 DM festgesetzt werde. In den Gründen führte das FG aus, von der Erhebung von Kosten könne nicht abgesehen werden. Die Beschwerdeführerin habe von vornherein nicht darüber im unklaren sein können, daß die Rechtslage zumindest zweifelhaft sei.
Mit der Beschwerde richtet sich die Beschwerdeführerin gegen die Streitwertfestsetzung und gegen die Entscheidung über den Antrag auf "Niederschlagung der Verfahrenskosten". Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus, der Streitgegenstand bemesse sich nach dem Interesse, das mit dem Rechtsmittel bezweckt werde. Die Beschwerdeführerin habe mit der Klage letztlich nur die Erstattung eines Teils der Ausgleichsteuer erreichen wollen. Den gesamten Ausgleichsteuersatz habe sie anfechten müssen, weil sie das FG nicht für befugt gehalten habe, den Ausgleichsteuersatz zu ermäßigen. Zur Begründung der Klage habe sie auch ausgeführt, daß der Gesetzgeber gehalten sei, einen neuen Ausgleichsteuersatz festzulegen, in dessen Höhe die Ausgleichsteuer nachzuerheben sei. Der Gegenstandswert dürfe nur auf 3/5 des Ausgleichsteuerbetrages festgesetzt werden. Auf ihre Begründung zum Antrag auf "Niederschlagung der Verfahrenskosten" sei das FG nicht im einzelnen eingegangen. Sie habe nach Vorabentscheidung des EGH vom 16. Juni 1966 nicht damit rechnen können, daß die Anfechtung der Ausgleichsteuersätze auf der ganzen Ebene aus formellen Gründen versagt werden würde.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist zulässig.
Soweit das FG es durch den Beschluß vom 27. November 1968 abgelehnt hat, von der Erhebung von Kosten abzusehen, gehört die Entscheidung verfahrensrechtlich zwar zum Kostenansatzverfahren im Sinne von § 147 FGO (vgl. BFH-Beschlüsse III B 8/66 vom 24. Februar 1967, BFH 88, 276, [278], BStBl III 1967, 369, und IV R 50/66 vom 23. August 1967, BFH 89, 260 [261], BStBl III 1967, 614). Über die Zulässigkeit der Beschwerde ist aber nach § 128 FGO und nicht nach § 148 Abs. 3 FGO zu befinden. Auf die Zulassung durch das FG kommt es demgemäß nicht an. Die Entscheidung des FG, daß nicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 GKG von der Erhebung von Kosten abzusehen sei, ist kein Beschluß im Sinne von § 148 Abs. 3 FGO, da sie nicht auf eine Erinnerung der Beschwerdeführerin ergangen ist. Der Senat folgt damit im Ergebnis den Entscheidungen anderer Senate des BFH über diese Rechtsfrage (vgl. BFH-Beschluß I B 43/67 vom 13. September 1967, BFH 90, 97, BStBl III 1967, 786; die weiteren Entscheidungen hierzu sind nicht veröffentlicht worden). In den jeweiligen Entscheidungsgründen wird zwar nicht im einzelnen dargelegt, weshalb die Beschwerde für gegeben erachtet wird. Gleichwohl ist aus ihnen zu entnehmen, daß die Zulässigkeit der Beschwerde nach § 128 FGO und nicht nach § 148 Abs. 3 FGO beurteilt worden ist. Über die Begründetheit der Beschwerden ist nämlich entschieden worden, ohne daß die Zulassung durch das FG erwähnt oder die Frage, ob die Zulassung erforderlich ist, erörtert worden wäre.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Das FG hat den Streitwert zutreffend auf 4 934,38 DM festgesetzt, da die Beschwerdeführerin wegen dieses Betrages Klage erhoben hat. Nach § 140 Abs. 3 FGO ist der Streitwert unter Berücksichtigung der Sachanträge der Beteiligten zu bestimmen. Der Beschwerdeführerin ist zwar darin zuzustimmen, daß für die Bestimmung des Streitwertes das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der Entscheidung maßgebend sein muß. Dieses ergibt sich aber in erster Linie aus dem Klageantrag. Bei der Anfechtung von Steuerbescheiden ist der Streitwert nach dem Betrag zu bemessen, um den der Abgabenbetrag der Steuerbescheide nach dem Begehren des Klägers herabgesetzt werden soll (vgl. BFH-Beschluß I B 11/66 vom 25. Januar 1967, BFH 88, 19 [21], BStBl III 1967, 253; BFH-Urteil III 191/64 vom 16. Juni 1967, BFH 89, 249 [251], BStBl III 1967, 616). Wie auch die Beschwerdeführerin selbst ausführt, war die Klage gegen die Festsetzung der gesamten Ausgleichsteuer in den angefochtenen Abgabenbescheiden gerichtet. Der Auffassung der Beschwerdeführerin, bei der Bestimmung des Streitwerts sei zu berücksichtigen, daß die Klägerin nach Festlegung eines neuen Ausgleichsteuersatzes durch den Gesetzgeber mit einer Neuveranlagung habe rechnen müssen, kann nicht gefolgt werden. Der Streitwert ist nach dem Betrag zu bemessen, um den unmittelbar gestritten wird (BFH-Urteil III 191/64 vom 16. Juni 1967, a. a. O.). Auswirkungen der angestrebten Entscheidung auf andere Steuererhebungen können dabei nicht berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteile VI 195/56 U vom 24. Januar 1958, BFH 66, 318, BStBl III 1958, 122, und IV 160/64 vom 8. Oktober 1964, HFR 1965, 556).
Das FG hat auch zu Recht entschieden, daß nicht nach § 140 Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Satz 3 GKG von der Erhebung von Kosten abzusehen sei. Nach diesen Vorschriften kann nur dann von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn die Erhebung der zurückgenommenen Klage auf unverschuldeter Unkenntnis tatsächlicher oder rechtlicher Verhältnisse beruht. Dem FG ist darin zuzustimmen, daß diese Voraussetzungen bei der Beschwerdeführerin nicht vorliegen. Der BFH hat bereits in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, daß von der Erhebung von Kosten in der Regel dann nicht abgesehen werden kann, wenn die Zweifelhaftigkeit der Rechtslage bei der Einleitung des Verfahrens erkennbar war und von den Beteiligten auch erkannt worden ist, und daß die Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 3 GKG nicht dazu führen darf, die Folgen des Kostenrisikos für den Ausgang des Verfahrens in solchen Fällen vom Beteiligten auf die Allgemeinheit abzuwälzen (vgl. BFH-Beschlüsse V 8/64 vom 7. Juli 1966, BFH 86, 502, BStBl III 1966, 565; III B 8/66 vom 24. Februar 1967, BFH 88, 276 [279], BStBl III 1967, 369; IV R 50/66 vom 23. August 1967, BFH 89, 260 [263], BStBl III 1967, 614; I B 43/67 vom 13. September 1967, BFH 90, 97 [98], BStBl III 1967, 786; III B 73/67 vom 21. Juni 1968, BFH 92, 548 [549], BStBl II 1968, 659). In der Entscheidung I B 43/67 vom 13. September 1967 (a. a. O.) hat der BFH zwar ausgeführt, daß die gesetzliche Kostenfolge nach der Rechtsprechung dann unbillig sein könne, wenn eine besonders schwierige, bisher noch nicht höchstrichterlich entschiedene Rechtsfrage erstmals an den BFH herangetragen werde. Es kann dahingestellt bleiben, ob von der Erhebung von Kosten auch dann abgesehen werden kann, wenn eine solche Rechtsfrage erstmals an ein FG und nicht an den BFH herangetragen wird, und ob die von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Rechtsfragen erstmals an ein FG herangetragen worden sind. Voraussetzung dafür, daß von der Erhebung von Kosten abgesehen werden kann, ist nämlich auch in einem solchen Fall, daß die Klageerhebung auf unverschuldeter Unkenntnis der rechtlichen Verhältnisse beruht. Auch in einem solchen Fall kann demgemäß von der Erhebung von Kosten dann nicht abgesehen werden, wenn der Beteiligte die Zweifelhaftigkeit der Rechtslage genau erkannt hat. Wie die Beschwerdeführerin in dem Verfahren vor dem FG eingehend dargelegt hat, hing die Entscheidung über die Klage davon ab, ob der Ausgleichsteuersatz, nach dem das HZA die Ausgleichsteuer berechnet hat, ein Durchschnittssatz war und ob der Ausgleichsteuersatz wegen Verstoßes gegen Art. 95 EWGV nicht angewendet werden durfte. Zur Frage der Anwendbarkeit des Ausgleichsteuersatzes hat der BFH in dem Urteil VII 156/65 vom 11. Juli 1968 (BFH 92, 405, Bundeszollblatt 1968 S. 1026) dargelegt, daß die dem Steuersatz zugrunde liegende Vorschrift nicht schon deshalb nichtig sei, weil der Steuersatz gegen Art. 95 EWGV verstoße. Zum Durchschnittssatz wird in dieser Entscheidung ausgeführt, daß der EGH das Vorhandensein nachprüfbarer Berechnungen über die inländischen Belastungen nicht gefordert habe und daß die Vorbelastungen der Produktionsmittel mit Umsatzsteuer im Ausgleichsteuersatz ausgeglichen werden dürfe. Die Beschwerdeführerin kann sich nicht darauf berufen, daß sie sich in unverschuldeter Unkenntnis über die Zweifelhaftigkeit ihrer Auffassungen zu diesen Rechtsfragen befunden habe. Die umfangreichen und eingehenden Ausführungen zur Begründung der Klage, in der die Beschwerdeführerin selbst darauf hinweist, daß die große Rechtsunsicherheit auf dem Gebiet der Ausgleichsteuer eine baldige Klärung erfordere, zeigen vielmehr, daß sie die Bedenken gegen ihre Auffassungen und die Ungewißheit des Erfolges ihrer Klage genau erkannt hatte. Auch der Hinweis in der Begründung des Antrages auf "Niederschlagung der Kosten", sie - die Beschwerdeführerin - sei bemüht gewesen, das Kostenrisiko durch Führung eines Musterprozesses gering zu halten, bestätigt, daß die Beschwerdeführerin sich der Ungewißheit des Erfolges der Klage bewußt war.
Fundstellen
Haufe-Index 68265 |
BStBl II 1969, 344 |
BFHE 1969, 209 |