Leitsatz (amtlich)
1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß der Einspruch gegen einen Einkommensteuerbescheid (Folgebescheid) auch insoweit zulässig ist, als der Steuerpflichtige geltend macht, der Gewinnfeststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) sei nicht wirksam zugestellt.
2. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein nach Löschung der Komplementär-GmbH bestellter Nachtragsliquidator als Empfangsbevollmächtigter i.S. des § 183 Abs.1 Satz 2 AO 1977 gilt.
Orientierungssatz
1. Eine GmbH wird trotz der Löschung im Handelsregister grundsätzlich steuerrechtlich als fortbestehend angesehen, solange nicht sämtliche Rechtsbeziehungen zum FA erloschen sind. Dies kann auch die Bestellung eines Nachtragsliquidators erfordern (vgl. BFH-Rechtsprechung).
2. Ein Bescheid, mit dem für die Gesellschafter einer Personengesellschaft der Gewinn einheitlich und gesondert festgestellt wird, richtet sich seinem Inhalt nach stets gegen die Gesellschafter (Mitunternehmer), weil er die Besteuerungsgrundlagen für deren Einkommensteuerveranlagung feststellt. Für eine zutreffende Adressierung eines solchen Bescheids reicht es aus, daß im Adressenfeld eine Sammelbezeichnung oder Kurzbezeichnung angegeben ist, wenn sich im übrigen aus dem Bescheid die weiteren Angaben über die Gesellschafter entnehmen lassen. Entscheidend ist nur, daß aus dem Gesamtinhalt des Bescheids erkennbar ist, für welche Personen die Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden und wie hoch diese sind (BFH).
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 Nr. 1, § 183 Abs. 1 S. 2, § 351 Abs. 2, § 122 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Nr. 2a; FGO § 69 Abs. 2
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) A ist als Kommanditist an der Firma B-GmbH & Co. KG (KG) beteiligt. Komplementärin dieser Gesellschaft ist die Firma C-GmbH (GmbH), die sich in Liquidation befindet.
Im Anschluß an eine Steuerfahndungsprüfung erließ das für die KG zuständige Finanzamt (Betriebsfinanzamt) für die Jahre 1970 bis 1981 einen berichtigten Feststellungsbescheid, durch den die Verlustanteile des Beschwerdeführers an der KG u.a. für die Streitjahre 1972 bis 1974 wie folgt festgestellt wurden:
....
Das Betriebs-FA gab diesen Feststellungsbescheid ausschließlich einem Herrn D bekannt. Der Bescheid ist wie folgt adressiert:
"Herrn D als Nachtragsliquidator der Firma B-GmbH & Co. KG i.L., ...
für die Firma B-GmbH & Co. KG i.L. ...".
Dem Bescheid ist eine Anlage beigefügt, aus der die auf die Beteiligten entfallenden Ergebnisanteile ersichtlich sind. Am 26.April 1984 erließ das Betriebsfinanzamt einen Ergänzungsbescheid gemäß § 179 Abs.3 der Abgabenordnung (AO 1977). In diesem Bescheid wies es Herrn D --erstmals-- darauf hin, daß der Bescheid vom 7.Juli 1983 an ihn mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten ergangen sei.
Aufgrund des berichtigten Feststellungsbescheids vom 7.Juli 1983 erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das FA) --als Wohnsitz-FA-- gemäß § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 geänderte Steuerbescheide über Einkommensteuer und Ergänzungsabgabe 1972 und 1974 sowie über Einkommensteuer, Ergänzungsabgabe und Stabilitätszuschlag 1973. Gegen diese Bescheide legten der Beschwerdeführer und seine Ehefrau Einsprüche ein, über die das FA noch nicht entschieden hat. Die Beschwerdeführer beantragten ferner die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide. Nachdem das FA diesen Antrag abgelehnt hatte, wiederholten die Beschwerdeführer den Antrag beim Finanzgericht (FG).
Das FG hat den Antrag abgelehnt. Seiner Ansicht nach bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde machen die Beschwerdeführer geltend, der Feststellungsbescheid vom 7.Juli 1983 sei dem Beschwerdeführer gegenüber nicht wirksam geworden. Aus dem Steuerbescheid sei nicht ersichtlich, daß er für den Beschwerdeführer bestimmt sei; dieser sei nicht als Adressat aufgeführt. Darüber hinaus sei der Feststellungsbescheid dem Beschwerdeführer nicht wirksam bekanntgegeben worden.
Die Beschwerdeführer beantragen,
die Vollziehung der Bescheide über Einkommensteuer und Ergänzungsabgabe 1972 und 1974 vom 21.November 1983 sowie des Bescheids über Einkommensteuer, Ergänzungsabgabe und Stabilitätszuschlag 1973 vom 25.November 1983 hinsichtlich folgender Teilbeträge auszusetzen: ....
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. Die Aussetzung der Vollziehung soll --bezogen auf den Streitfall-- erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs.2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10.Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; vom 30.Juni 1967 III B 21/66, BFHE 89, 92, BStBl III 1967, 533). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Nach summarischer Prüfung ist der Senat der Ansicht, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide bestehen.
2. Die Beschwerde ist allerdings nicht schon deshalb begründet, weil die Beschwerdeführer lediglich Einwendungen gegen den zugrunde liegenden Gewinnfeststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) erheben. Die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide sind nicht aus diesem Grund unzulässig. Der erkennende Senat kann dabei unerörtert lassen, ob er der Auffassung des I.Senats im Beschluß vom 27.September 1972 I B 27/72 (BFHE 107, 8, BStBl II 1973, 24) folgen könnte, wonach die Klage gegen einen Einkommensteuerbescheid (Folgebescheid) auch insoweit zulässig ist, als Einwendungen gegen Feststellungen in einem einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) erhoben werden (anderer Ansicht: Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Anm.4 zu § 351 AO 1977; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 351 AO 1977 Rz.38; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Vorb.1 Tz.1449, 1457 ff.; Söhn, Steuer und Wirtschaft 1974, 53 ff.). Diese Frage ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Sie stellt sich nur insoweit, als die Folgebescheide Regelungen im Grundlagenbescheid lediglich übernehmen und damit nicht selbst eine selbständige und verbindliche Entscheidung treffen. Dem trägt § 351 Abs.2 AO 1977 Rechnung, wonach Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheids angegriffen werden können. Hinsichtlich der Wirksamkeit des Grundlagenbescheids besteht jedoch keine Bindungswirkung für das Folgebescheidsverfahren. Die Beschwerdeführer machen insoweit geltend, sie seien dadurch in ihren Rechten verletzt, daß das FA die Folgebescheide geändert habe, ohne daß die Voraussetzungen des § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 vorgelegen haben. Sie machen damit einen Mangel der Folgebescheide unmittelbar geltend.
Unerheblich ist im Streitfall, daß ein Steuerbescheid gemäß § 155 Abs.2 AO 1977 auch erteilt werden kann, wenn ein Grundlagenbescheid noch nicht erlassen wurde. Entscheidend ist, daß das FA vom Vorliegen eines wirksamen Grundlagenbescheids und der sich hieraus ergebenden Verpflichtung zur Änderung der ursprünglichen Bescheide ausgegangen ist.
3. Die Beschwerde ist deshalb begründet, weil bei summarischer Betrachtung ernstliche Zweifel an der Wirksamkeit des Feststellungsbescheides bestehen.
Die summarische Prüfung durch den Senat hat ergeben, daß zwar der Adressat dieses Bescheides vom 7.Juli 1983 hinreichend bestimmt war, daß jedoch ernsthafte Zweifel hinsichtlich der wirksamen Bekanntgabe des Gewinnfeststellungsbescheids bestehen.
a) Ein Bescheid, mit dem für die Gesellschafter einer Personengesellschaft der Gewinn einheitlich und gesondert festgestellt wird, richtet sich seinem Inhalt nach stets gegen die Gesellschafter (Mitunternehmer), weil er für die Gesellschafter die Besteuerungsgrundlagen für deren Einkommensteuerveranlagung feststellt (BFH-Urteil vom 12.August 1976 IV R 105/75, BFHE 120, 129, BStBl II 1977, 221). Für eine zutreffende Adressierung eines solchen Bescheids reicht es jedoch aus, daß im Adressenfeld eine Sammel- oder Kurzbezeichnung angegeben ist, wenn sich im übrigen aus dem Bescheid die weiteren Angaben über die Gesellschafter entnehmen lassen. Entscheidend ist nur, daß aus dem Gesamtinhalt des Bescheids erkennbar ist, für welche Personen die Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden und wie hoch diese sind (BFH-Urteil vom 6.Dezember 1983 VIII R 203/81, BFHE 140, 22, BStBl II 1984, 318).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Der Bescheid war an Herrn D als Nachtragsliquidator der KG adressiert. Gleichzeitig war kenntlich gemacht, daß der Bescheid die KG betraf. Unschädlich ist, daß nicht die KG, sondern die GmbH sich in Liquidation befand. Darüber hinaus war dem Steuerbescheid nach dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren eine Liste der Kommanditisten mit den auf sie entfallenden Ergebnisanteilen beigefügt.
b) Da sich der Gewinnfeststellungsbescheid des Betriebsfinanzamts gegen die Gesellschafter der KG richtete, denen die festgestellten Einkünfte zur Besteuerung zuzurechnen waren (§ 180 Abs.1 Nr.2 Buchst.a AO 1977), mußte er diesen Gesellschaftern grundsätzlich einzeln bekanntgegeben werden (§ 122 Abs.1 AO 1977). § 183 Abs.1 Satz 2 AO 1977 ermöglicht es zwar dem FA grundsätzlich, den Feststellungsbescheid dem zur Vertretung einer KG berufenen Geschäftsführer der Komplementär-GmbH (§§ 114, 161 Abs.2, 164 des Handelsgesetzbuches, § 35 Abs.1, § 6 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung) als dem gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten der Gesellschafter zu übersenden. Nach Ansicht des erkennenden Senats bestehen jedoch ernstliche Zweifel, ob auch ein nach Löschung der Komplementär-GmbH bestellter Nachtragsliquidator als Empfangsbevollmächtigter gilt. Zwar wird eine GmbH trotz der Löschung grundsätzlich steuerrechtlich als fortbestehend angesehen, solange nicht sämtliche Rechtsbeziehungen zum FA erloschen sind. Dies kann auch die Bestellung eines Nachtragsliquidators erfordern (vgl. BFH-Urteile vom 18.Oktober 1967 I R 144-145/66, BFHE 90, 336, BStBl II 1968, 95; vom 26.März 1980 I R 111/79, BFHE 130, 477, BStBl II 1980, 587). Der Gesetzgeber ist jedoch bei Schaffung des § 183 Abs.1 Satz 2 AO 1977 davon ausgegangen, daß der zur Vertretung der Gesellschaft oder der Feststellungsbeteiligten Berechtigte das Vertrauen der Beteiligten auch insoweit genießt, als es um die Belange der einzelnen Beteiligten in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter oder Gemeinschafter geht (vgl. BTDrucks VI/1982 S.158). Durch die Löschung der Komplementär-GmbH haben sich jedoch die Struktur der Personengesellschaft und die gesellschaftsrechtlichen Beziehungen der Kommanditisten zur Komplementär-GmbH wesentlich verändert. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß der Nachtragsliquidator im Streitfall über die Empfangnahme des Feststellungsbescheids hinaus keine gesellschaftsrechtlichen Rechte mehr wahrzunehmen hatte.
Der Senat kann im übrigen unerörtert lassen, ob bei summarischer Betrachtung auch die Voraussetzungen des § 183 Abs.2 AO 1977 vorliegen. Dies ist nicht mehr entscheidungserheblich.
4. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide war in dem beantragten Umfang auszusetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 61237 |
BStBl II 1986, 477 |
BFHE 146, 225 |
BFHE 1986, 225 |
BB 1986, 1212-1213 (ST) |
DB 1986, 1906-1907 (ST) |
HFR 1986, 453-453 (ST) |