Leitsatz (amtlich)
Berichtigt das FA einen angefochtenen Einkommensteuerbescheid nach § 218 Abs. 4 AO, den es vor Ergehen des Feststellungsbescheides und unter Nichtanerkennung eines erklärten Verlustes aus einer Kommanditbeteiligung erlassen hat, so sind nach Erledigung der Hauptsache die Kosten des Verfahrens dem FA aufzuerlegen.
Normenkette
FGO § 138 Abs. 1, 2 S. 1; AO § 218 Abs. 4
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdegegner (Beschwerdegegner) machten in ihrer Einkommensteuererklärung für 1972 einen Verlust aus ihrer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft in Berlin geltend. Der Beklagte und Beschwerdeführer (FA) berücksichtigte in dem Einkommensteuerbescheid 1972 diesen Verlust nicht, weil ein entsprechender Feststellungsbescheid noch nicht vorliege. Während des Klageverfahrens berichtigte das FA den Einkommensteuerbescheid für 1972 nach § 218 Abs. 4 AO unter Anerkennung des erklärten Verlustes. Die Beteiligten erklärten daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und stellten widerstreitende Kostenanträge.
Das FG erlegte in dem angefochtenen Beschluß die Kosten des Verfahrens gemäß § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO dem FA auf. Es ist der Ansicht, daß die Beschwerdegegner gegen den Einkommensteuerbescheid für 1972 den Einwand der Rechtswidrigkeit wegen Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften mit Erfolg hätten geltend machen können, weil das FA vor der endgültigen Einkommensteuerveranlagung den Feststellungsbescheid hätte abwarten müssen. Wenn aus dem Beschluß des BFH vom 1. August 1973 I B 29/73 (BFHE 110, 177, BStBl II 1973, 854) die gegenteilige Auffassung entnommen werden müßte, würde es dem nicht folgen können. Die frühere Rechtsprechung habe jedenfalls die einheitliche Feststellung als Voraussetzung des Veranlagungsverfahrens angesehen (BFH-Urteil vom 26. Juni 1958 IV 39/58 U, BFHE 67, 237, BStBl III 1958, 364; Urteil des RFH vom 4. Juni 1930 VI A 424/29, RStBl 1931, 101).
Das FA ist in seiner Beschwerde demgegenüber der Meinung, daß die Kosten des Verfahrens den Beschwerdegegnern hätten auferlegt werden müssen. Nach der Rechtsprechung des BFH (Hinweis auf das Urteil vom 4. Dezember 1969 IV 120/64, BFHE 98, 310, BStBl II 1970, 778) könne ein Folgebescheid geändert werden, auch wenn der Grundlagenbescheid später ergehe. Die Auslegung des § 218 Abs. 4 AO lasse die Möglichlichkeit zu. Folglich habe kein Verfahrensfehler seitens des FA vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Das FG hat zutreffend dem FA die Kosten des Verfahrens auferlegt. Soweit ein Rechtsstreit dadurch erledigt wird, daß dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes stattgegeben wird, sind die Kosten des Verfahrens der Behörde aufzuerlegen (§ 138 Abs. 2 Satz 1 FGO). Hiervon abweichend hat aber die Rechtsprechung des BFH Abs. 1 des § 138 FGO angewandt, wenn dem Antrag des Steuerpflichtigen zwar entsprochen wurde, der angefochtene Bescheid aber nur deshalb geändert worden ist, weil der Grundlagenbescheid geändert wurde oder weil nach Klageerhebung ein für den Steuerpflichtigen günstiges Merkmal rückwirkend eingetreten ist (BFH-Beschlüsse vom 13. September 1968 VI B 101/67, BFHE 93, 298, BStBl II 1968, 780; vom 3. Februar 1970 VII K 13/68, BFHE 98, 328, BStBl II 1970, 328, und vom 7. Juli 1972 III B 49/71, BFHE 106, 416, BStBl II 1972, 955). Ausgangspunkt der Überlegungen für die Anwendung des § 138 Abs. 1 FGO in diesen Fällen ist der diese Vorschrift beherrschende Rechtsgedanke, daß über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden ist; d. h., daß der mutmaßliche Ausgang des Verfahrens mitzuberücksichtigen ist, wenn keine Erledigung der Hauptsache eingetreten wäre (vgl. insoweit den BFH-Beschluß vom 18. September 1974 II B 11/74, BFHE 113, 352, BStBl II 1975, 41). § 138 Abs. 2 FGO ist daher nur eine Konkretisierung dieses Rechtsgedankens, wenn er unterstellt, daß bei Zurücknahme oder Änderung eines Verwaltungsaktes die erlassende Behörde im gerichtlichen Verfahren voraussichtlich unterlegen wäre. Denn in der Regel ändert oder nimmt eine Behörde einen Verwaltungsakt nur deshalb zurück, weil er rechtswidrig ist. Beruht jedoch die Änderung oder Zurücknahme auf Gründen, die nicht in der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen, so ist unter Berücksichtigung des Sinnes und Zweckes der Kostenvorschriften, daß der Unterlegene des Verfahrens die Kosten zu tragen hat, trotz des scheinbaren Vorliegens der Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO die Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO zu treffen. Das war der Grund, weshalb der BFH in seinem Beschluß VI B 101/67 die Kosten des Verfahrens dem Kläger nach § 138 Abs. 1 FGO auferlegte, da eine von Amts wegen vorzunehmende Änderung des Folgebescheides nur deshalb erfolgte, weil der Grundlagenbescheid geändert worden war und der Erfolg des Klägers insoweit nicht auf der Stattgabe seines Antrages beruhte. In dem Beschluß III B 49/71 wandte der BFH den § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO deshalb nicht an, weil das FA mit der Abänderung eines angefochtenen Aufteilungsbescheides nicht die geltend gemachte Rechtswidrigkeit anerkannt hatte, sondern die Änderung auf dem Wegfall des Aufteilungsantrages beruhte und das FA damit nur der veränderten Sachlage Rechnung tragen wollte. Ähnlich verhielt es sich in dem Beschluß VII K 13/68, in welchem ausgesprochen wurde, daß § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht anwendbar sei, wenn und soweit die Behörde einen Verwaltungsakt aus Gründen ändert, die mit der vom Kläger erhobenen Anfechtungsklage nicht geltend gemacht werden konnten.
Der dieser Rechtsprechung zugrunde liegende Gedanke ist jedoch hier nicht anzuwenden. Entgegen der Ansicht des FG konnte das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid bereits erlassen, auch wenn der Grundlagenbescheid noch nicht ergangen war. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, wonach eine erweiternde Auslegung des § 218 Abs. 2 und 4 AO geboten ist (Entscheidungen vom 6. November 1964 VI 210/63 U, BFHE 81, 147, BStBl III 1965, 52; vom 12. Januar 1968 VI R 206/66, BFHE 91, 406, BStBl II 1968, 396; vom 4. Dezember 1969 IV 120/64, BFHE 98, 310, BStBl II 1970, 778, und vom 29. Oktober 1970 IV 247/64, BFHE 101, 34, BStBl II 1971, 150). Das FA war daher berechtigt, bereits vor Erlaß des Grundlagenbescheids den Einkommensteuerbescheid zu erlassen, wobei hier dahingestellt bleiben kann, ob dies in Form eines vorläufigen oder endgültigen Bescheides geschehen muß. Denn § 218 Abs. 4 AO würde es in jedem Fall rechtfertigen, den Folgebescheid zu ändern. Eine Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften liegt daher entgegen der Annahme des FG nicht vor.
Die vom FG getroffene Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO ist jedoch aus anderen Gründen zutreffend. Es ist davon auszugehen, daß die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides hätte bejaht werden müssen. Der BFH hat zwar in einem Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Einkommensteuerbescheides ausgesprochen, daß Rechtsschutz nur insoweit gewährt werden könne, als ein im Einkommensteuerbescheid enthaltener Vorgriff auf das Ergebnis einer einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung vorläufig wieder beseitigt wird (Beschluß vom 1. August 1973 I B 29/73, BFHE 110, 177, BStBl II 1973, 854). Ein Gewinnanteil könne aber abschließend nur in dem Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung festgestellt werden. Das gelte auch, wenn der Steuerpflichtige sich im Hauptverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid wende. Der Entscheidung des I. Senats des BFH muß entnommen werden, daß die Berücksichtigung eines noch nicht im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung festgestellten Verlustes nicht möglich ist, weil insoweit ein Vorgriff auf das Ergebnis der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung im Einkommensteuerbescheid nicht gegeben sei. Dem erkennenden Senat erscheint diese Rechtsauffassung schon im Hinblick auf den Beschluß vom 27. September 1972 I B 27/72 (BFHE 107, 8, BStBl II 1973, 24) für nicht unbedenklich. Dort hatte der I. Senat des BFH ausgesprochen, daß eine Klage gegen einen Einkommensteuerbescheid auch insoweit zulässig sei, als Einwendungen gegen den zugrunde liegenden Feststellungsbescheid erhoben werden.
Der erkennende Senat kann offenlassen, ob und inwieweit die beiden Entscheidungen miteinander zu vereinbaren sind. Denn das Verfahren nach § 138 FGO soll nicht dazu dienen, Rechtsfragen grundsätzlich zu klären (vgl. BFH-Beschluß vom 10. November 1971 I B 14/70, BFHE 104, 39, BStBl II 1972, 222). Das bedeutet aber nicht, daß das Gericht bei der Entscheidung über die Kosten eines in der Hauptsache erledigten Verfahrens die bisherige Rechtsprechung bei der Prüfung des mutmaßlichen Ausgangs des Prozesses als alleinigen Maßstab hierfür heranziehen muß. Die nach billigem Ermessen - auch bei der Entscheidung nach § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO - zu treffende Kostenentscheidung hat vielmehr bei Beachtung des allgemeinen Gerechtigkeitsempfindens Bedenken gegen eine bestehende Rechtsprechung zu berücksichtigen, ohne daß hierbei die Rechtsfrage abschließend zu klären oder etwa der Große Senat anzurufen wäre (vgl. BFH-Beschluß I B 14/70).
Der erkennende Senat könnte sich nicht der Meinung des I. Senats in seinem Beschluß I B 29/73 anschließen, daß ein noch nicht im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung festgestellter Verlust, wenn dieser bei der Einkommensteuerveranlagung nicht berücksichtigt wird, keine vorgreifliche Regelung darstelle. Jeder Ansatz von in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen in einem Folgebescheid stellt einen Vorgriff auf das einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellungsverfahren dar, solange der Grundlagenbescheid noch nicht ergangen ist, gleichgültig ob es sich um Verluste oder Gewinne handelt. In diesen Fällen hat dann der Steuerpflichtige gar keine andere Möglichkeit, als sich gegen den Folgebescheid zu wenden, wenn er der Meinung ist, daß dieser rechtswidrig sei. Entspricht dann das FA dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Bescheides, so trifft das FA die Kostenlast nach § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO, auch wenn die Berichtigung des angefochtenen Bescheides auf § 218 Abs. 4 AO beruht. Das Ergebnis entspricht dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden, das FA mit einem höheren Kostenrisiko zu belasten, wenn es vor Ergehen eines Grundlagenbescheides die Einkommensteuer abweichend von der Steuererklärung unter Ausklammerung der einheitlich und gesondert festzustellenden Besteuerungsgrundlagen festsetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 72029 |
BStBl II 1977, 119 |
BFHE 1977, 9 |