Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Beschwerdegegner kann sich der Beschwerde anschließen, und zwar auch noch nach Ablauf der Beschwerdefrist.
Normenkette
FGO §§ 128-129
Tatbestand
Das FG erklärte in einem Verfahren betreffend Aussetzung der Vollziehung die Hauptsache für erledigt und legte die Kosten dem FA zu 3/4 und den Stpfl. zu 1/4 auf. Das FA focht diese Entscheidung mit der Beschwerde zum BFH an, der sich die Stpfl. nach Ablauf der Beschwerdefrist mit dem Antrag anschlossen, die gesamten Kosten des Aussetzungsverfahrens dem FA aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
Die Anschlußbeschwerde ist zulässig. Das FG traf mit dem angefochtenen Beschluß zu Recht eine Kostenentscheidung (§ 143 Abs. 1 FGO), weil das Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung ein selbständiges, vom Klageverfahren unabhängiges Verfahren darstellt (vgl. BFH-Beschluß IV B 23/66 vom 14. April 1967, BFH 88, 195, BStBl III 1967, 321).
Diese Entscheidung konnte, nachdem das FA fristgerecht Beschwerde eingelegt hatte, von den Stpfl. im Wege einer unselbständigen Anschlußbeschwerde angegriffen werden. Zwar ist die unselbständige Anschlußbeschwerde in der FGO nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt; daraus allein kann indes nicht hergeleitet werden, daß sie nach dem Gesetz nicht statthaft ist.
Nach § 155 FG ist auf finanzgerichtliche Verfahren die Zivilprozeßordnung (ZPO) sinngemäß anzuwenden, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Dies führt u. a. zu ergänzenden Anwendung der in § 556 ZPO getroffenen Regelung der unselbständigen Anschlußrevision im finanzgerichtlichen Verfahren. Zwar wäre daran zu denken, daß der Gesetzgeber dadurch eine echte negative Entscheidung treffen wollte, daß er im Gegensatz zu den anderen Verfahrensordnungen in die FGO keine ausdrückliche Bestimmung über die unselbständige Anschlußrevision aufnahm. Die Entstehungsgeschichte der FGO zeigt indes, daß dies nicht der Fall war. Vielmehr beruht das Fehlen einer Vorschrift über die Anschlußrevision auf dem wechselhaften Werdegang des Gesetzes.
Zunächst waren die Zweistufigkeit der Finanzgerichtsbarkeit und die Beibehaltung des Steuerausschusses beabsichtigt, gegen dessen Entscheidung sowohl die Steuerpflichtigen wie auch das FA hätten Klage erheben können. Demgemäß sah § 48 Satz 1 des ursprünglichen Entwurfs der FGO vor, daß derjenige, der berechtigt ist, Klage zu erheben, auch Anschlußklage erheben könne, wenn gegen die Entscheidung von anderer Seite Klage erhoben worden sei. Entsprechend sah § 114 Satz 1 desselben Entwurfs die Anschlußrevision ausdrücklich vor (vgl. Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Drucksache IV/1446).
Im späteren Entwurf der FGO (vgl. Drucksache IV/3523) waren die Dreistufigkeit der Finanzgerichtsbarkeit und der Wegfall des Steuerausschusses beabsichtigt. Dadurch entfiel die Möglichkeit der Anschlußklage - denn das FA kann nicht gegen seine eigenen Bescheide Klage oder Anschlußklage erheben -, stattdessen wurde in § 107 e dieses Entwurfs die Möglichkeit der Anschlußberufung ausdrücklich eröffnet, § 114 a des Entwurfs verwies bezüglich des Revisionsverfahrens auf die Vorschriften über die Berufung - somit auch auf § 107e -, wodurch sich eine ausdrückliche Hervorhebung der Anschlußrevision im Gesetzeswortlaut erübrigte.
Als sich schließlich der Bundestag nach Anrufung des Vermittlungsausschusses doch für den zweistufigen Aufbau der Finanzgerichtsbarkeit entschloß, wurden die Bestimmungen über die Berufung und damit kurzerhand § 107e des zweiten Entwurfs gestrichen (vgl. Drucksache IV/3755). Damit entfiel, da eine Wiedereinführung des ursprünglichen § 114 Satz 1 FGO offensichtlich übersehen wurde, auch die unmittelbar in der FGO zunächst vorgesehene Regelung der Anschlußrevision. Die Zulässigkeit der Anschlußrevision im finanzgerichtlichen Verfahren ergibt sich nach der zum Gesetz gewordenen Fassung der FGO nur aus § 155 FGO in Verbindung mit § 556 ZPO. Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber bewußt auf die Anschlußrevision verzichtet hat, wodurch auch die entsprechende Anwendbarkeit des § 556 ZPO ausgeschlossen wäre, ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien nicht.
Die Statthaftigkeit der Anschlußbeschwerde läßt sich allerdings nicht wie die Anschlußrevision über die Verweisung des § 155 FGO aus der ZPO ableiten, da sie auch dort nicht geregelt ist; zudem bestehen Unterschiede zwischen den Beschwerdeverfahren der FGO und der ZPO (vgl. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 128 Rdnr. 5-7). Soweit jedoch die gesetzliche Regelung des Beschwerdeverfahrens der FGO Lücken enthält, muß geprüft werden, ob und wieweit Grundsätze des Klage und Revisionsverfahrens auf das Beschwerdeverfahren anzuwenden sind. Dies wird in der Regel der Fall sein, wenn sich der in Betracht kommende Verfahrensgrundsatz in das Beschwerdeverfahren einfügen läßt, ohne mit anderen, vom Gesetzgeber ausdrücklich aufgestellten Grundsätzen dieses Verfahrens in Widerspruch zu geraten. Der Senat hält diese Voraussetzung hinsichtlich der Anschlußbeschwerde für gegeben (vgl. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 129, Rdnr. 11; v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Anm. 16 zu § 128 FGO). Aus der Statthaftigkeit der Anschlußrevision kann auf die Statthaftigkeit der Anschlußbeschwerde geschlossen werden. Wird sie erst nach Ablauf der Beschwerdefrist erhoben, so ist sie als unselbständige Anschlußbeschwerde zu behandeln.
Fundstellen
Haufe-Index 412698 |
BStBl III 1967, 784 |
BFHE 1968, 92 |
BFHE 90, 92 |