Entscheidungsstichwort (Thema)
(Fahrtkostenabzug bei Fahrten, die im wesentlichen durch den täglichen mehrfachen Ortswechsel geprägt sind)
Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen für Fahrten eines Arbeitnehmers mit dem eigenen Kfz, die im wesentlichen durch den täglichen mehrfachen Ortswechsel geprägt sind, die also eine Art Reisetätigkeit wie z.B.bei einem Handelsvertreter oder Kundendiensttechniker darstellen, unterliegen nicht der Abzugsbeschränkung des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG.
Orientierungssatz
Der Betrieb des Arbeitgebers ist auch dann als Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG anzusehen, wenn der Arbeitnehmer ihn stets nur aufsucht, um z.B. nach Austausch des eigenen Kfz gegen ein Dienstfahrzeug von dort aus auswärtige Einsatzstellen aufzusuchen, oder wenn der Betrieb des Arbeitgebers morgens oder abends nur aufgesucht wird, um die täglichen Aufträge entgegenzunehmen, Bericht zu erstatten und über die am Tage und in der Nacht durchgeführten Aufträge abzurechnen (Ausführungen zum Vorliegen einer großräumigen Arbeitsstätte; Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, Abs. 1 Nr. 4; LStR 1993 Abschn. 38 Abs. 3 Nr. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 1984 als Glas- und Gebäudereiniger für ein Gebäudereinigungsunternehmen nichtselbständig tätig. Er hatte Glasflächen und Telefonzellen zu reinigen. Dazu fuhr er morgens mit dem eigenen PKW zum Betrieb seines Arbeitgebers, um dort die täglich wechselnden Aufträge zur Reinigung der Glasflächen entgegenzunehmen und um dann entweder mit dem Dienstwagen oder dem eigenen PKW die verschiedenen Einsatzorte anzufahren. Am Abend suchte der Kläger wieder den Firmensitz auf, um Bericht zu erstatten und über die erledigten Arbeiten abzurechnen.
An drei Tagen in der Woche trat der Kläger für seinen Arbeitgeber jeweils gegen 24.00 Uhr weitere Fahrten mit dem eigenen PKW von seiner Wohnung aus an, um im Stadtbereich von X sowie auf mehreren Autobahnparkplätzen ca. 125 bis 140 Telefonzellen zu reinigen. Die Anfahrt zur ersten bzw. die Rückfahrt von der letzten Telefonzelle betrug im ersten Halbjahr des Streitjahres rd. 1 km, im zweiten Halbjahr nach einem Umzug des Klägers jeweils ca. 20 km. Gegen 6.00 Uhr morgens kehrte der Kläger nach Hause zurück, um nach dem Frühstück gegen 7.00 Uhr den Betrieb aufzusuchen. Für die vom Kläger mit dem eigenen PKW durchgeführten Fahrten zu den einzelnen Einsatzorten hat der Arbeitgeber dem Kläger gegen Vorlage eines Fahrtenbuches monatlich 400 DM pauschal (also 4 800 DM jährlich) steuerfrei erstattet. Nach den Aufzeichnungen in diesem Fahrtenbuch ist der Kläger im Streitjahr 1984 insgesamt 25 314 km gefahren.
In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1984 begehrte der Kläger den Abzug der Aufwendungen für Fahrten mit dem eigenen Kfz zu den einzelnen Einsatzorten nach Dienstreisegrundsätzen (25 314 km x 0,42 DM = 10 631,88 ./. Erstattungen des Arbeitgebers). Für die am Tage ausgeführten Fahrten setzte der Kläger Parkgebühren von je 0,50 DM für je drei Parkuhren an 232 Tagen ohne Einzelnachweis als Werbungskosten ab.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah sämtliche vom Kläger durchgeführten Fahrten als Fahrten zu wechselnden Einsatzstellen an, die nicht mehr als 15 km von der Wohnung des Klägers entfernt gelegen seien. Er berücksichtigte für jeden gefahrenen Kilometer 0,18 DM, so daß nach Abzug der Arbeitgebererstattung kein steuerlich anzuerkennender Betrag mehr verblieb. Die am Tage angefallenen Parkgebühren sah das FA als durch die Kilometerpauschbeträge des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abgegolten an.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage, mit der der Kläger --soweit noch im Revisionsverfahren streitig-- den Abzug der Fahrtkosten und Parkgebühren wie im Lohnsteuer-Jahresausgleichsantrag begehrte, mit folgenden Gründen abgewiesen: Der Kläger könne die tatsächlichen Fahrtkosten nicht nach Dienstreise- bzw. Dienstganggrundsätzen zum Werbungskostenabzug geltend machen. Er habe am Betriebssitz des Arbeitgebers keine feste regelmäßige Arbeitsstätte gehabt. Der Kläger habe den Firmensitz morgens und abends nur aufgesucht,um die täglichen Aufträge entgegenzunehmen, Bericht zu erstatten und über die am Tage und in der Nacht durchgeführten Aufträge abzurechnen. Diese Umstände reichten nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteile vom 5. November 1971 VI R 184/69, BFHE 103, 493, BStBl II 1972, 130, und vom 11. August 1972 VI R 128/70, BFHE 107, 21, BStBl II 1972, 915) nicht aus, den Firmensitz als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen. Der Kläger habe zwar insofern dienstreiseähnliche Fahrten durchgeführt, als er ständig wechselnde Einsatzstellen angefahren habe. Bei solchen Fahrten greife zwar grundsätzlich die Abzugsbeschränkung des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG nicht ein; ein Arbeitnehmer könne daher bei Fahrten mit dem eigenen PKW grundsätzlich entweder die tatsächlichen Fahrtkosten oder die Pauschbeträge nach Abschn.24 Abs.4 Nr.3 i.V.m. Abschn.25 Abs.8 Satz 4 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1984 (0,42 DM je gefahrenem Kilometer) zum Werbungskostenabzug geltend machen. Dies gelte aber dann nicht, wenn die wechselnden Einsatzstellen in einem abgegrenzten, in sich geschlossenen, nicht weit auseinandergezogenen und überschaubaren Gebiet (Großstadtbereich, Ballungsgebiet) oder im üblichen Arbeitsplatzeinzugsbereich der Wohnung gelegen seien. Die vom Kläger aufgesuchten Telefonzellen seien entweder im Stadtbereich von X oder doch in dessen näherer Umgebung und damit im ersten Halbjahr 1984 in einer Entfernung von weniger als 30 km von der Wohnung des Klägers aus gelegen gewesen. Auch wenn man die größeren Entfernungen nach dem Umzug des Klägers Mitte des Streitjahres nehme, so hätten auch diese Entfernungen jeweils unter 50 km gelegen. Solche Entfernungen legten viele Arbeitnehmer mit festen Arbeitsstätten arbeitstäglich zurück, so daß aus Gründen steuerlicher Gleichbehandlung die Aufwendungen des Klägers für die nächtlichen Fahrten wie auch für die Fahrten am Tage nur in Höhe der Kilometerpauschbeträge des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG angesetzt werden könnten. Mit diesen Pauschsätzen seien auch etwaige Parkgebühren abgegolten.
Mit der Revision begehrt der Kläger die Aufhebung der Vorentscheidung und den Ansatz der Kilometerpauschbeträge des Abschn.25 Abs.8 LStR in Höhe von 0,42 DM je gefahrenem Kilometer. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus: Die täglichen und nächtlichen Fahrten seien dienstreiseähnliche Fahrten gewesen. Anders als z.B. bei einem Bauarbeiter, der über einen bestimmten Zeitraum an einem bestimmten Einsatzort tätig sei, habe er jeweils täglich und nächtlich an vielen verschiedenen Arbeitsplätzen tätig werden müssen, wobei bis zu 190 km zurückgelegt worden seien. Unter diesen Umständen komme es auch gar nicht darauf an, ob am Betriebssitz die regelmäßige Arbeitsstätte gewesen sei oder nicht. Im übrigen werde vom FG folgendes übersehen: Wenn man davon ausgehe, daß Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gegeben seien, so sei jedenfalls mit Erreichen der ersten Arbeitsstätte die Fahrt zwischen Wohnung und dieser Arbeitsstätte beendet; alle weiteren Fahrten seien dann Fahrten zwischen verschiedenen Arbeitsstätten, für welche die einschränkende Regelung des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG nicht gelte.
Das FA tritt der Revision mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Eine Beschränkung des Werbungskostenabzugs für Fahrtkosten kommt im Streitfall nur unter den Voraussetzungen des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG in Betracht. Die Vorinstanz hat das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift teilweise zu Unrecht bejaht.
1. Die Beteiligten und das FG haben allerdings die Fahrten des Klägers zwischen seiner Wohnung und dem Betrieb des Arbeitgebers zutreffend als Fahrten i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG angesehen. Typus der Arbeitsstätte im Sinne dieser Vorschrift ist der Ort, an dem der Arbeitnehmer arbeitstäglich seine Arbeitsleistung zu erbringen hat; dies ist im Regelfall der Betrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers. Nicht erforderlich ist, daß der Arbeitnehmer die gesamte tägliche Arbeitszeit an diesem Ort tätig ist. Denn Intensität und Dauer der arbeitstäglichen Arbeitsleistung an einem Ort sind keine den Arbeitsstättenbegriff allein bestimmenden Merkmale. Daher ist es mit dem Typus "Arbeitsstätte" vereinbar, den Betrieb des Arbeitgebers auch dann als Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG anzusehen, wenn der Arbeitnehmer ihn stets nur aufsucht, um z.B. nach Austausch des eigenen Kfz gegen ein Dienstfahrzeug von dort aus auswärtige Einsatzstellen aufzusuchen, oder wenn --wie im Streitfall-- der Betrieb des Arbeitgebers morgens oder abends nur aufgesucht wird, um die täglichen Aufträge entgegenzunehmen, Bericht zu erstatten und über die am Tage und in der Nacht durchgeführten Aufträge abzurechnen.
2. Die übrigen Fahrten des Klägers sind aber zu Unrecht als Fahrten i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG angesehen worden.
a) Die Fahrten des Klägers vom Betriebssitz zu den einzelnen zu reinigenden Glasflächen, die Fahrten zwischen diesen einzelnen Einsatzorten sowie die Rückfahrten zum Betriebssitz werden schon deshalb nicht vom Typus der Fahrten i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG erfaßt, weil bei diesen Fahrten die Wohnung weder Ausgangs- noch Endpunkt ist. Demgemäß hat der Senat durch Urteil vom 9. Dezember 1988 VI R 199/84 (BFHE 155, 362, BStBl II 1989, 296) entschieden, daß Aufwendungen eines Arbeitnehmers für Fahrten zwischen mehreren regelmäßigen Arbeitsstätten nicht der Abzugsbeschränkung des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG unterliegen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die vorbezeichnete Entscheidung verwiesen. Für die im Streitfall zu beurteilenden Fahrten, bei denen die verschiedenen kurzfristig angefahrenen Einsatzstellen von vornherein nicht einmal als regelmäßige Arbeitsstätte angesehen werden können, kann nichts anderes gelten. Hiervon geht im Ergebnis auch der Richtliniengeber in Abschn.38 Abs.3 Nr.2 LStR 1993 aus, wenn der Abzug tatsächlicher Fahrtkosten für Fahrten zwischen mehreren auswärtigen Tätigkeitsstätten mit dem eigenen Kfz für zutreffend erachtet wird.
b) Ebenfalls von vornherein nicht vom Typus der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG erfaßt sind auch die Fahrten zur Reinigung der Telefonzellen in den Nachtstunden. Dies gilt sowohl für die Fahrt von der Wohnung des Klägers zur ersten Telefonzelle, für die Fahrten zwischen den einzelnen Telefonzellen (s. dazu bereits vorstehend a), als auch für die Fahrten von der letzten zu reinigenden Telefonzelle zur Wohnung zurück. Diese Fahrten sind durch den häufigen Ortswechsel geprägt, sie werden im Rahmen einer Art Reisetätigkeit durchgeführt. Ein solcher Fall ist immer dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung täglich an zahlreichen wechselnden Tätigkeitsstätten zu erbringen hat, wie dies z.B. bei einem Reisevertreter oder einem Kundendiensttechniker der Fall ist. Hier fehlt die für die Annahme einer Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG erforderliche gewisse zeitliche Nachhaltigkeit der Tätigkeit an diesen Orten auch dann, wenn die zahlreichen Tätigkeitsstätten im zeitlichen Abstand immer wieder aufgesucht werden.
c) Der Bereich, in dem die Einsatzorte des Klägers gelegen sind, kann auch nicht etwa als großräumige Arbeitsstätte mit der Rechtsfolge angesehen werden, daß die erste Fahrt von der Wohnung zu diesem großräumigen Bereich und die Fahrt vom letzten Einsatzort innerhalb dieses Bereichs zur Wohnung zurück als Fahrten i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG zu beurteilen wären. Ein größeres räumliches Gebiet kann nur dann als Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG qualifiziert werden, wenn es sich entweder um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt (z.B. größeres zusammenhängendes Werksgelände; s. auch BFH-Urteil vom 19. Februar 1982 VI R 61/79, BFHE 138, 175, BStBl II 1983, 466, für ein 11 qkm großes Forstrevier) oder --falls das Gelände nicht dem Arbeitgeber zugerechnet werden kann-- wenn die Einsatzstellen aneinandergrenzen und in unmittelbarer Nähe zueinander liegen. Dies kann beispielsweise bei einem Neubaugebiet, Zeitungszustellungsbezirk oder Kehrbezirk (vgl. BFH-Urteil vom 19. September 1990 X R 110/88, BFHE 162, 82, BStBl II 1991, 208) der Fall sein, wenn die Einsatzstellen nahe zusammenhängen. Ein Stadtbereich, ein Ballungsgebiet oder der Raum um die Wohnung im Radius des üblichen Einzugsbereichs ist hingegen nicht als sog. großräumige Arbeitsstätte anzusehen; Fahrten zwischen der Wohnung und Arbeitsstellen in diesem Bereich haben zu dem Typus der Fahrten i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG keinen Bezug mehr.
Zwar hat der Senat im Urteil vom 2. November 1984 VI R 38/83 (BFHE 142, 389, BStBl II 1985, 139) entschieden, daß das Gebiet des Hamburger Hafens, ein Großstadtbereich oder ein Ballungsgebiet als ein abgegrenztes, in sich geschlossenes, nicht weit auseinandergezogenes und überschaubares Gebiet anzusehen ist und daß Fahrten von der Wohnung eines Arbeitnehmers zu Einsatzstellen innerhalb dieses Gebiets als Fahrten i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG anzusehen sind. Soweit aus dieser Rechtsprechung abgeleitet werden könnte, daß die vorgenannten Gebiete als großräumige Arbeitsstätten und damit als Arbeitsstätten i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG zu qualifizieren sind, wird hieran nicht festgehalten.
d) Das FG wird entsprechend den vorstehenden Ausführungen die erforderlichen Feststellungen zum Umfang der einzelnen Fahrten des Klägers zu treffen haben. Etwaige bei den Fahrten angefallene Parkgebühren wären durch die Kilometerpauschbeträge des Abschn.25 Abs.8 LStR nicht abgegolten.
Fundstellen
Haufe-Index 65382 |
BFH/NV 1994, 35 |
BStBl II 1994, 422 |
BFHE 173, 179 |
BFHE 1994, 179 |
BB 1994, 635 |
BB 1994, 769 |