Leitsatz (amtlich)

1. Die OFD muß bei der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer vZTA das Tarifrecht anwenden, das im Zeitpunkt der Entscheidung gilt.

2. Tarifierung eines Hydraulikkrans als Kranwagen im Sinne der Tarifnr. 87.03 des GZT.

 

Normenkette

ZG § 23 Abs. 3; GZT Tarifnr. 84.22; GZT Tarifnr. 87.03

 

Tatbestand

In der von der Klägerin über einen Hydraulikkran beantragten verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) vom 29. Mai 1969 wies die Beklagte (Oberfinanzdirektion – OFD –) die Ware der Tarifnr. 87.03 des Zolltarifs (ZT) zu. Zur Begründung führte sie aus: Es handele sich um einen Kraftwagen, bei dem ein Teleskopauslegerkran auf einem für den Kranbetrieb besonders ausgerichteten Trägerfahrgestell montiert sei (sog. Kranwagen). Das Vorderteil des Fahrgestells (Unterwagen) besitze ein Fahrerhaus mit allen für den Betrieb eines Lastkraftwagens üblicher Bauart erforderlichen Bedienungselementen, wie Motor, Getriebe, Lenkung und Bremsen. Darüber hinaus würden vom Fahrerhaus des Unterwagens aus sämtliche Funktionen des Krans (Oberwagen), wie Aus- und Einfahren, Heben, Senken und Schwenken des Teleskopauslegers sowie das Abstützen des Fahrzeugs betätigt und gesteuert. Der Unterwagen bestehe aus einem dreiachsigen, zehnrädrigen Fahrgestell aus Doppel-T-Rahmen-Schweißkonstruktion mit Fahrerkabine und vollständiger Fahrausrüstung. Er enthalte einen Sechszylinder-Dieselmotor sowie ein Sechsgangschaltgetriebe mit drei Übersetzungen und könne eine Geschwindigkeit von 80 km in der Stunde erreichen. Die Ware sei nach Bau- und Arbeitsweise ein Spezialkraftwagen, bei dem die Verwendung der mit dem Kraftwagen fest verbundenen Hebevorrichtung den Hauptzweck des Fahrzeugs darstelle; sie werde von der Tarifnr. 87.03 erfaßt.

Den Einspruch, mit dem die Klägerin die Zuweisung zur Tarifnr. 84.22 begehrte, wies die OFD am 15. Dezember 1970 als unbegründet zurück. Mit der am 18. Januar 1971 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend:

Ihr Antrag auf vZTA habe sich auf Zollabfertigungen aus den Jahren 1967 bis 1969 bezogen. Für die Tarifierung seien daher die damaligen Erläuterungen zum Zolltarif heranzuziehen. Aus ihnen ergebe sich, daß die Ware nicht als Kraftfahrzeug einzustufen gewesen sei. Der Kran bilde mit dem Untergestell eine Einheit. Denn Teile der Unterwagen-Hydraulik, z. B. der Lenkung und der Abstützung, würden von der Kran-Hydraulik gespeist. Der sich aus Platzgründen im Untergestell befindende Motor sei für den Kranbetrieb ausgelegt. Der Kran könne nicht ohne das Untergestell betrieben werden. Dieses könne seinerseits ohne den Kranoberteil nur beschränkt und in einigen Funktionen überhaupt nicht eingesetzt werden. Die auf den Rahmen montierte Kabine sei mit einem Wendesitz ausgestattet, der zur Bedienung des Krans um 180 Grad zur Fahrtrichtung gedreht werde. Das Führerhaus sei also eine Krankabine. Die technischen Einrichtungen würden zeitlich zu 80 bis 90 % für stationäre Kranarbeiten verwendet und nur zu 10 bis 20 % zu Fortbewegungsarbeiten. Deshalb seien das für Kranarbeiten konzipierte Führerhaus und der für Kranarbeiten ausgelegte Motor Teile des Krans, die nur nebenbei der Fortbewegung auf der Straße dienten.

Unter den in den Erläuterungen I (2) 6 zu Tarifnr. 87.03 des Deutschen Zolltarifs (DZT) erwähnten „Kraftwagen mit auf dem Fahrgestell aufmontiertem Kran” seien normale Lastkraftwagen der üblichen Bauart gemeint. Das zeige auch die Tatsache, daß in den Erläuterungen I (2) 6 b zu Tarifnr. 87.03 des DZT Autokrane erwähnt seien, bei denen nicht „ein LKW-Fahrgestell der üblichen Bauart”, sondern ein auf den Kranbetrieb abgestelltes Spezialkraftwagenfahrgestell als Trägerfahrzeug diene. Da die Bestimmungen der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) für die Tarifierung nicht maßgebend seien, müsse auch die Fahrgeschwindigkeit als typisches zulassungstechnisches Merkmal außer Betracht bleiben. Die Ware sei somit nach ihrem Zweck zu tarifieren, der darin bestehe, als Kran eingesetzt zu werden, nicht etwa dem Straßentransport zu dienen.

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt, die Tarifentscheidung der OFD aufzuheben und die OFD zur Erteilung einer vZTA zu verpflichten, die die Ware der Tarifnr. 84.22 zuweist.

Die OFD hat beantragt, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin hat in ihrem im April 1969 gestellten Antrag auf Erteilung einer vZTA über den Kran unter Nr. 5 erklärt, die Ware sei bereits nach dem 19. Februar 1969 eingeführt worden. Der Antrag bringt entgegen der nunmehrigen Behauptung der Klägerin nicht zum Ausdruck, daß er sich auf frühere Zollabfertigungen beziehe. Darauf kommt es im übrigen nicht an, da die OFD bei der Entscheidung über den Antrag das Tarifrecht anwenden mußte, das im Zeitpunkt der Entscheidung galt. Das bestätigt die Bestimmung des § 23 Abs. 3 ZG, wonach eine bereits erteilte vZTA ohne weiteres außer Kraft tritt, wenn die in ihr angewandten Rechtsvorschriften geändert werden. Eine nach früherem, inzwischen geändertem Tarifrecht erteilte vZTA wäre rechtswidrig (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 20. Juni 1971 VII K 10/69, BFHE 103, 109).

Zur Zeit der Erteilung der vZTA vom 29. Mai 1969 galt der im Art. 9 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) vorgesehene, durch die Verordnung (EWG) Nr. 950/68 – VO (EWG) 950/68 – vom 28. Juni 1968 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. L 172 vom 22. Juli 1968, 1; BZBl 1968, 772) mit Wirkung vom 1. Juli 1968 in Kraft gesetzte Gemeinsame Zolltarif. Der Gemeinsame Zolltarif ist Zolltarif im Sinne des Zollgesetzes (§ 1 Nr. 1 ZTG vom 23. Dezember 1960, BGBl II 1960, 2425, in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 1968, BGBl II 1968, 1223). Er erfaßt mit der Tarifnr. 84.22:

„Maschinen, Apparate und Geräte zum Heben, Beladen, Entladen oder Fördern (z. B. Aufzüge, Fördermaschinen, Winden, Flaschenzüge, Krane, Stetigförderer, Seilschwebebahnen), ausgenommen Maschinen, Apparate und Geräte der Tarifnr. 82.23:

  • A – …
  • B – Maschinen, Apparate und Geräte, selbstfahrend, auf Gleisketten oder Rädern, nicht auf Schienen fahrbar:

    • I – Krane:

      • a – auf Gleisketten,
      • b – andere
    • D – andere
  • C – …
  • D – andere”,

und mit der Tarifnr. 87.03;

„Kraftwagen zu besonderen Zwecken, z. B. Spritzenwagen, Leiterwagen, Straßenkehrwagen, Sprengwagen, Schneeräumwagen, Abschleppwagen, Kranwagen, Scheinwerferwagen, Werkstattwagen, mit Röntgenanlage ausgestattete Wagen u. ä., nicht oder nicht ausschließlich zu Beförderungszwecken gebaute Kraftwagen”.

Für die Entscheidung der Frage, von welcher dieser beiden gemeinschaftsrechtlichen Tarifnummern die in Rede stehende Ware erfaßt wird, können deutsche Erläuterungsvorschriften oder gar die Vorschriften der deutschen Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung nicht maßgebend sein (vgl. BFH-Urteil vom 8. Februar 1972 VII K 22/68, BFHE 105, 209). Gemeinschaftsrechtliche Erläuterungen, die die Verbindlichkeit allgemeiner ordnungsgemäß verkündeter Rechtsnormen beanspruchen könnten, sind zu diesen Tarifnummern nicht erlassen worden. Die im Abkommen über das Zolltarifschema für die Einreihung der Waren in die Zolltarife vom 15. Dezember 1950 (BGBl II 1952, 1) vorgesehenen Erläuterungen sind keine allgemeinverbindlichen Rechtsnormen und kommen daher nur als „Erkenntnismittel” für die Auslegung der Positionen des Gemeinsamen Zolltarifs in Betracht (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – EGH – vom 8. Dezember 1970 Rs. 14/70, EGHE 1970, 1001). Im vorliegenden Fall ist eine solche Auslegung jedoch nicht nötig.

Die in der Tarifnr. 84.22 genannten Waren zeichnen sich dadurch aus, daß sie dazu bestimmt sind, gewisse Arbeitsfunktionen zu erfüllen. Auf die Fähigkeit, sich auch selbst fortzubewegen, kommt es für ihre Zugehörigkeit zu dieser Tarifnummer nicht an. Diese Fähigkeit führt nur zu einer besonderen Unterscheidung innerhalb der Tarifnummer und hat damit nur zweitrangige Bedeutung. Bei den in der Tarifnr. 87.03 aufgeführten „Kraftwagen” stellt hingegen die Fähigkeit zur selbständigen Fortbewegung ein erstrangiges Wesensmerkmal dar. Eine Ware, die diese Eigenschaft nicht aufweist, kann daher von vornherein nicht dieser Tarifnummer zugewiesen werden. Es kommt daher im vorliegenden Falle darauf an, welchen Rang bei den Wesensmerkmalen der in Rede stehenden Ware die Fähigkeit zur selbständigen Fortbewegung hat. Der Senat kommt aus folgenden Erwägungen zu dem Ergebnis, daß diese Fähigkeit hier im Vordergrund steht und deshalb die Ware ein Kranwagen im Sinne der Tarifnr. 87.03 ist:

Der Unterteil der Ware hat die Gestalt eines Kraftwagens. Wie der Unterteil von Lastkraftwagen besteht er aus einem Doppel-T-Rahmen, der auf einer lenkbaren Vorderachse und einer doppelten Hinterachse ruht. Die Achsen sind mit Rädern ausgestattet, die für den Straßenverkehr geeignet und üblich sind. Der Doppel-T-Rahmen trägt einen auf die Räder wirkenden Motor und ein in der Fahrtrichtung vom angebrachtes, zur Bedienung des Motors, der Lenkung und der Bremsen bestimmtes Führerhaus. Schließlich gestattet die Konstruktion des Unterteils eine Fortbewegung, die nach Art und Geschwindigkeit mit der eines Lastkraftwagens vergleichbar ist. Die Unanwendbarkeit der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung schließt eine Berücksichtigung dieser Tatsache nicht aus. Der Umstand, daß der Unterteil mit einem Kran fest verbunden ist und auch Einrichtungen für dessen Bedienung enthält, daß außerdem der Motor für den Kranbetrieb ausgelegt ist und daß das Führerhaus mit Hilfe eines in ihm enthaltenen Wendesitzes auch als Krankabine verwendet wird, zeigt nur, daß die Ware nicht zur Beförderung anderer Waren dient, also kein Lastkraftwagen, sondern ein Kraftwagen zu besonderen Zwecken ist. Er weist also gerade darauf hin, daß die Ware in die Tarifnr. 87.03 gehört. Eine andere Beurteilung könnte nur in Betracht kommen, wenn die auch dem Kranbetrieb dienenden Vorrichtungen, insbesondere der Motor und das Führerhaus nicht in einer auf die Fortbewegung, sondern auf den Kranbetrieb abgestellten Weise angeordnet und gestaltet, also räumlich und funktionell in erster Linie auf den Kran zugeschnitten wären. Das aber ist nicht der Fall.

Die Einholung einer Vorabentscheidung des EGH war nicht erforderlich, da dem erkennenden Senat keine Frage der Auslegung der Tarifnummern gestellt war, die für seine Entscheidung in Betracht kamen. Es handelte sich vielmehr nur darum, die hier in Rede stehende Ware auf Grund ihrer Beschaffenheit in die zutreffende Tarifnummer einzuordnen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514656

BFHE 1974, 386

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge