Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Sind festverzinsliche Wertpapiere veräußert worden und hat der Veräußerer für die auf seine Besitzzeit entfallenden (nach der Veräußerung fälligen) Zinsen eine Abfindung erhalten, so ist die bei der Auszahlung der Zinsen an den Erwerber einbehaltene Kapitalertragsteuer bei der Veranlagung des Veräußerers selbst insoweit nicht anrechenbar, als die Abfindung für die Zinsen um die hierauf "entfallende" Kapitalertragsteuer gekürzt worden ist.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 1, 2 Ziff. 2, §§ 43, 44/3, § 47/1
Tatbestand
Strittig ist die Anrechnung von Kapitalertragsteuer. Diesem Streit liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer (Bf.) hat im Jahre 1955 vier festverzinsliche Wertpapiere, deren Zinsen dem Kapitalertragsteuersatz von 30 v. H. unterliegen, verkauft. Er erhielt als Kaufpreis einmal den für die Wertpapiere selbst gezahlten Preis und dann den zur Abgeltung der auf seine Besitzzeit entfallenden Zinsen gezahlten Betrag, welcher sich laut Abrechnung der Bank auf (421,04 DM Zinsen - 126,31 DM Kapitalertragsteuer =) 294,73 DM stellte.
In seiner Einkommensteuer-Erklärung für das Jahr 1955 gab der Bf. unter seinen Einkünften aus Kapitalvermögen die 421,04 DM Zinsen an und wollte dementsprechend auf die festzusetzende Einkommensteuer die 126,31 DM Kapitalertragsteuer angerechnet wissen. Das Finanzamt setzte dagegen die Zinsen überhaupt nicht an (vgl. Abschn. 155 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1955) und ließ auch die Kapitalertragsteuer unberücksichtigt.
Die Sprungberufung blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht, dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1958 Nr. 462 S. 372 veröffentlicht worden ist, ist der Auffassung, daß es sich bei dem von der Bank verrechneten Posten von 126,31 DM nur um einen das Entgelt für die Zinsen bestimmenden Unkostenfaktor handle. Für die Anrechnung der Kapitalertragsteuer stelle das Gesetz auf die Einbehaltung der Steuer durch den Schuldner der Kapitalerträge ab. Diese Voraussetzung sei aber erst bei der Zahlung der Zinsen durch deren Schuldner gegeben.
Mit seiner Rechtsbeschwerde (Rb.) wehrt sich der Bf. gegen die Nichtanrechnung der Kapitalertragsteuer. Nach seiner Meinung spiegelt sich in der Abrechnung der Bank die richtige Aufteilung der anzurechnenden Kapitalertragsteuer wider. Werde zum Beispiel, so macht er geltend, ein Wertpapier über nom. 10.000 DM mit einem Halbjahrescoupon über 400 DM - einem Kapitalertragsteuersatz von 30 v. H. unterliegende - Zinsen am 1. April verkauft, so erhalte der Veräußerer für das Wertpapier, wenn der Kurs auf pari stehe, 10.000 DM und als Abgeltung für die Zinsen (200 - 60 =) 140 DM. Der Erwerber zahle, weil er die auf die Zeit vom 1. Januar bis 31. März entfallenden Zinsen am 30. Juni erhalte, diese aber nicht ihm, sondern dem Vorbesitzer zustünden und weil diesen auch die entsprechende Kapitalertragsteuer abgezogen sei, lediglich (10.000 - 200 + 60 =) 9.860 DM. Erhalte der Erwerber die Zinsen mit (400 - 120 =) 280 DM ausbezahlt, dann verblieben ihm weil er an den Vorbesitzer schon 140 DM gezahlt habe, ebenfalls 140 DM, nämlich 200 DM abzüglich 60 DM Kapitalertragsteuer. Genau dieses aber seien auch die Beträge, die der Vorbesitzer anzusetzen habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Wie die Vorinstanzen zutreffend angenommen haben, handelt es sich bei dem dem Bf. als Abgeltung für die auf dessen Besitzzeit entfallenden Zinsen gezahlten Betrag um sogenannte Stückzinsen, die unter die Einkunftsart "Einkünfte aus Kapitalvermögen" fallen. Die Einordnung unter diese Einkunftsart könnte im Hinblick auf die Regelung des § 20 Abs. 2 Ziff. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), nach der die Einkünfte aus der Veräußerung von Dividendenscheinen, Zinsscheinen usw. nur bei alleiniger Veräußerung der Scheine, nicht dagegen auch bei Mitveräußerung der dazugehörigen Wertpapiere selbst zu den Einkünften aus Kapitalvermögen rechnen, zwar zweifelhaft erscheinen, weil der Bf. nicht lediglich die Zinsscheine, sondern auch die Wertpapiere veräußert hat. Die Regelung des § 20 Abs. 2 Ziff. 2 EStG bezieht sich aber, wie heute zutreffend angenommen wird (vgl. Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, Auflage 1955, Anm. 12 zu § 20, S. 926, und Littmann, Das Einkommensteuerrecht, Auflage 1959, Anm. 48 zu § 20, S. 1091), nur auf solche Wertpapiere, bei denen sich die Verzinsung im Kurswert widerspiegelt und bei Verkauf des Wertpapiers auch nur der Kurswert gezahlt wird, nicht dagegen auf solche Wertpapiere, bei denen bei einem Verkauf des Wertpapiers neben dessen Substanz- oder Kurswert noch die auf die Zeit bis zum Verkauf entfallenden Zinsen besonders in Rechnung gestellt und vergütet werden. Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Auffassung abzugehen. Nach dieser hat also, wie es in Abschn. 155 Abs. 1 EStR 1955 richtig dargestellt ist, der Veräußerer die ihm vergüteten (auf seine Besitzzeit entfallenden) Zinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu versteuern, während der Erwerber den von ihm vergüteten Betrag als Werbungskosten von den ihm später ausgezahlten (gesamten) Zinsen absetzen kann, also nur den Restbetrag als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu versteuern hat.
Sind die Zinsen, wie es im vorliegenden Prozeß unstreitig der Fall ist, kapitalertragsteuerpflichtig, so erhebt sich die Frage, wie sich die Kürzung durch die Kapitalertragsteuer auswirkt. Bleibt man bei dem von dem Bf. gebildeten Beispiel, das jedoch insofern zu berichtigen ist, als der Erwerber nicht (10.000 - 200 + 60 =) 9.860 DM, sondern (10.000 + 200 - 60 =) 10.140 DM zu zahlen hat, so würde nach der Auffassung des Bf. der Veräußerer nicht lediglich 140 DM, sondern 200 DM Einkünfte aus Kapitalvermögen und der Erwerber nicht etwa 260 DM, sondern ebenfalls nur 200 DM Einkünfte aus Kapitalvermögen bezogen haben und könnte dieser wie jener je 60 DM Kapitalertragsteuer auf seine festgesetzte Einkommensteuerschuld anrechnen. Nach der Auffassung der Vorinstanzen jedoch hätte der Veräußerer 140 DM bezogen, ohne die 60 DM anrechnen zu können, während der Erwerber 260 DM bezogen hätte und 120 DM anrechnen könnte.
Nach § 44 Abs. 3 Satz 1 EStG hat der Schuldner der kapitalertragsteuerpflichtigen Erträge die Kapitalertragsteuer einzubehalten. Nach § 44 Abs. 3 Satz 2 EStG hat dies in dem Zeitpunkt zu geschehen, in dem die Kapitalerträge dem Gläubiger zufließen. Die gleiche Regelung findet sich in § 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Steuerabzugs vom Kapitalertrag. Erst im Zeitpunkt des Zufließens der Steuerabzugspflichtigen Einkünfte nach § 3 Abs. 5 Ziff. 1 Buchstabe a des Steueranpassungsgesetzes ist der Anspruch des Staates auf die Steuerabzugsbeträge entstanden.
Hiernach hat nicht der Bf., sondern dessen Rechtsnachfolger (der Erwerber der Wertpapiere einschließlich der Zinsscheine) kapitalertragsteuerpflichtige Einkünfte bezogen. Erst diesem sind, weil er zur Zeit der Fälligkeit des Zinsscheines und der Auszahlung der Zinsen dessen Gläubiger war, Einkünfte zugeflossen, auf die der Schuldner der Einkünfte Kapitalertragsteuer einzubehalten hatte. Für seine als des Gläubigers Rechnung ist die Kapitalertragsteuer einbehalten. Das wird ganz deutlich, wenn man sich die Folgen vergegenwärtigt, die einträten, wenn alle Beteiligten versehentlich davon ausgegangen wären, daß keine kapitalertragsteuerpflichtigen Erträge vorlägen (im obigen Beispiel also dem Veräußerer die vollen 200 DM vergütet worden wären). Der Anspruch auf Entrichtung der Kapitalertragsteuer träfe den Erwerber der Wertpapiere und Gläubiger der kapitalertragsteuerpflichtigen Erträge als Steuerschuldner und den Schuldner der kapitalertragsteuerpflichtigen Erträge als Haftenden. Nur für Rechnung des Erwerbers der Wertpapiere und Gläubigers der kapitalertragsteuerpflichtigen Erträge wäre Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen gewesen. Nur mit ihm, nicht mit dem früheren Besitzer der Wertpapiere, hat der Schuldner der kapitalertragsteuerpflichtigen Erträge zu tun.
Was der Bf. als Veräußerer von dem Erwerber zur Abgeltung der auf seine Besitzzeit entfallenden Zinsen erhalten hat, gehört zwar, wie oben ausgeführt, zu den Einkünften des Bf. aus Kapitalvermögen. Es fällt hierunter aber nur deswegen, weil es an die Stelle der erst später fällig werdenden Zinsen getreten ist. Diese, nicht die an ihre Stelle getretene Abgeltung sind kapitalertragsteuerpflichtig. Der dem Bf. zur Abgeltung gezahlte Betrag ist nicht um deswillen um 60 DM geringer als die auf die Besitzzeit des Bf. entfallenden Zinsen gewesen, weil der Erwerber oder die den Erwerb vermittelnde Bank zur Einbehaltung von Kapitalertragsteuer verpflichtet wären, sondern allein um deswillen, weil der Erwerber dadurch berücksichtigen wollte, daß bei Auszahlung der Zinsen er einen um die Kapitalertragsteuer verminderten Betrag erhalten würde. Ob dies berechtigt war oder ob es nicht - vom Standpunkt des Veräußerers gesehen - richtiger gewesen wäre, den Abzug der Kapitalertragsteuer ebensowenig zu berücksichtigen, wie es bei einer Veräußerung von Wertpapieren mit Scheinen über nicht der Kapitalertragsteuer, wohl aber der Einkommensteuer unterliegende Stückzinsen der Fall gewesen wäre, kann dahingestellt bleiben, weil dies eine das zivilrechtliche Verhältnis zwischen dem Erwerber und Veräußerer betreffende Frage ist und, wie die Antwort auch immer lauten mag, dadurch nichts an der Feststellung geändert wird, daß dem Veräußerer, hier also dem Bf., keine Kapitalertragsteuer einbehalten worden ist.
Die Vorinstanzen haben danach die Anrechnung von 126,31 DM Kapitalertragsteuer zu Recht versagt. Wie das Finanzgericht zutreffend ausführt, hätten die dem Bf. zugeflossenen (421,04 - 126,31 =) 294,73 DM bei dessen Veranlagung trotz der Nichtanrechnung der Kapitalertragsteuer angesetzt werden müssen. Wenn dies im Hinblick auf die Billigkeitsregelung in Abschn. 155 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 EStR 1955 nicht geschehen ist, so ist das nicht zu beanstanden. Dabei kann die Frage, ob die Billigkeitsregelung dem Gesetz entspricht und nicht überhaupt nur dort berechtigt ist, wo die Kapitalertragsteuer nur der Abgeltung der Einkommensteuer dient und nicht auch angerechnet werden kann, dahingestellt bleiben, weil die im Falle der Verneinung mögliche Verböserung (vgl. § 243 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung) im Rechtsmittelverfahren nach ständiger Rechtsprechung im pflichtmäßigen Ermessen der Rechtsmittelbehörde steht und der erkennende Senat im Hinblick auf die Geringfügigkeit des Betrages auch im Falle der Verneinung keinen Anlaß zur Verböserung sieht. Daß der Bf. sich gegen die Regelung wehrt, ist ohnehin nur von seinem wie dargelegt, unrichtigen Ausgangspunkt aus verständlich, daß nämlich die vollen 421,04 DM anzusetzen und die darauf einbehaltenen 126,31 DM Kapitalertragsteuer auf die festgesetzte Einkommensteuer anzurechnen seien.
Fundstellen
Haufe-Index 409349 |
BStBl III 1959, 242 |
BFHE 1959, 635 |
BFHE 68, 635 |