Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Knappschaftsärzte, die neben dieser Tätigkeit eine freie Praxis ausüben, unterliegen mit ihren Einnahmen aus der Knappschaftspraxis nicht der Lohnsteuer.
Normenkette
AO § 152 Abs. 1, 2 Nr. 1; EStG §§ 18-19, 38
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beschwerdeführer (Bf.) als Knappschaftszahnarzt für die Einkommensteuer als selbständig anzusehen ist. Das Finanzamt hat ihn als Arbeitnehmer behandelt und die Knappschaft veranlaßt, Lohnsteuer für die an den Bf. gezahlten Beträge einzubehalten. Der Bf. hat die Erstattung der für 1957 einbehaltenen und an das Finanzamt abgeführten Lohnsteuer beantragt. Das Finanzamt hat diesem Antrag nicht entsprochen. Die hiergegen eingelegte Sprungberufung hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht hat auf Grund des vom Bf. mit der Knappschaft über die Behandlung von Knappschaftspatienten abgeschlossenen Vertrags ein Arbeitsverhältnis angenommen. Der Bf. habe sich in diesem Vertrag nicht zu Leistungen in einzelnen Fällen verpflichtet, sondern seine Arbeitskraft allgemein zur Verfügung gestellt. Die von ihm dabei übernommenen Bindungen seien so stark, daß von einer wirtschaftlichen Selbständigkeit nicht mehr gesprochen werden könne. So sei die Lage seiner Wohnung und seine Praxis genau festgelegt worden; er könne eine Verlegung nur mit Zustimmung der Knappschaft vornehmen. Andernfalls werde seine knappschaftliche Zulassung hinfällig. Die Arbeitnehmerstellung des Bf. ergebe sich aber insbesondere daraus, daß er einen Anspruch auf Ruhegehalt habe, wenn er infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd unfähig werde, seine Pflichten als Knappschaftsarzt zu erfüllen und er deshalb nach mindestens zehnjähriger Tätigkeit in den Ruhestand versetzt werde. Ebenso spreche die im Falle seines Todes seinen Angehörigen eingeräumte Hinterbliebenenversorgung für seine Arbeitnehmereigenschaft. Daß er kein Grundgehalt beziehe, sondern eine Pauschalvergütung für jeden Behandlungsfall erhalte, stehe diesem Ergebnis nicht entgegen; denn durch die örtlichen Bindungen hinsichtlich der Praxis jedes Knappschaftszahnarztes sei für jeden dieser Zahnärzte eine einigermaßen sichere und nach der Lebenserfahrung schätzbare Quelle laufender Einnahmen gewährleistet. Daß der Bf. sämtliche Betriebsmittel selbst stellen und die Preise auf eigene Kosten und auf eigenes Risiko einrichten, unterhalten und betreiben müsse, spreche ebenfalls nicht gegen die Annahme eines Angestelltenverhältnisses. Das Fehlen einer Urlaubsregelung sei gleichfalls kein entscheidender Gesichtspunkt gegen die Arbeitnehmereigenschaft, denn es sei nicht erforderlich, daß einem Angestellten sämtliche sozialen Errungenschaften zustehen müßten. Daß der Bf. die Knappschaftspatienten durch einen Vertreter behandeln lassen dürfe, sei nach § 613 BGB mit einem Arbeitsverhältnis durchaus zu vereinbaren. Der Arztberuf habe zwar von jeher als freier Beruf gegolten. Wenn dies auch bei der Prüfung der Selbständigkeit eines Arztes in zweifelhaften Fällen zu berücksichtigen sei, so könne dieser Gesichtspunkt aber nur als Beweisanzeichen gewertet werden. Im vorliegenden Fall seien die vertraglichen Bindungen des Bf. so erheblich, daß diese Erwägung keine Bedeutung habe. Die vom Bf. vorgebrachten Schwierigkeiten bei der Durchführung der Lohnbesteuerung seien von ihm stark übertrieben worden; diese Erwägungen könnten im übrigen keinen Einfluß haben auf die Beurteilung der streitigen Rechtsfrage, da die Entscheidung ausschließlich nach rechtlichen Gesichtspunkten erfolgen müsse und verfahrensmäßige Schwierigkeiten dabei außer Betracht bleiben müßten.
Der Bf. bestreitet das Vorliegen eines Arbeitnehmerverhältnisses. Nach seinem Vertrag mit der Knappschaft übe er die Praxis als Knappschaftszahnarzt als selbständig Tätiger aus. Er habe die Praxisräume zu stellen, die Miete dafür zu zahlen, die kostspielige Einrichtung zu beschaffen, Personal einzustellen und zu entlohnen und das erforderliche Material im eigenen Namen zu kaufen. Er trage also das volle Risiko der Praxis. Bei der Behandlung der Knappschaftspatienten unterliege er keinen Weisungen. Er beziehe keine feste Vergütung, sondern erhalte seine Bezahlung nach dem Umfang seiner Tätigkeit. Aus der Versorgungsregelung könne gleichfalls nicht auf das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses geschlossen werden. Gegen eine solche Folgerung spreche insbesondere, daß die Höhe der Versorgung mit der Gesamtleistung vor Eintritt des Versorgungsfalles gekoppelt sei. Wesentlich sei dagegen, daß ein Urlaubsanspruch nicht bestehe. Ein solcher fehle jedoch in keinem echten Anstellungsvertrag. Nach dem Gesamtbild der vertraglichen Beziehungen könne nicht angenommen werden, daß er in den Organismus der Knappschaft eingegliedert sei, wie dies Voraussetzung für einen Arbeitsvertrag sei. Schließlich dürfe auch nicht übersehen werden, daß das Lohnsteuerabzugsverfahren die Erhebung der Einkommensteuer vereinfachen solle. Die Vornahme eines Lohnsteuerabzugs führe jedoch bei ihm wegen der zu berücksichtigenden Werbungskosten zu erheblichen Schwierigkeiten und zu einer Vermehrung der Verwaltungsarbeit.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
Ob der Bf. hinsichtlich seiner Tätigkeit als Knappschaftszahnarzt als selbständig oder als unselbständig anzusehen ist, kann nur nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beurteilt werden. Das Finanzgericht hat deshalb zutreffend geprüft, ob der Vertrag des Bf. mit der Knappschaft im ganzen gesehen für seine Selbständigkeit oder seine Unselbständigkeit spricht. Der Senat vermag dem Ergebnis, zu dem das Finanzgericht hierbei gelangt ist, jedoch nicht beizutreten. Daß die Alters- und Hinterbliebenenversorgung des Bf. für seine Nichtselbständigkeit spricht, hat das Finanzgericht zutreffend hervorgehoben. Der Bf. weist demgegenüber aber mit Recht darauf hin, daß die Höhe dieser Versorgungsansprüche unter anderem auch abhängig ist von dem Umfang seiner Leistungen für die Knappschaft vor Eintritt des Versorgungsfalles. Die Versorgungsleistung hat daher mindestens zum Teil den Charakter einer nachträglichen Vergütung für seine frühere Tätigkeit. Ebenso sprechen zwar die Bindungen des Bf. hinsichtlich der Ausübung der Praxis für eine Arbeitnehmerstellung des Bf. ähnliche Bindungen sind aber auch bei freiberuflich tätigen ärzten und Zahnärzten nicht ungewöhnlich. Eindeutig für die Selbständigkeit des Bf. als Knappschaftszahnarzt spricht jedoch, daß er seine Praxis auf seine Kosten einrichten muß, daß er das zu ihrer Führung erforderliche Material selbst beschafft, daß er seine Hilfskräfte selbständig einstellt und entlohnt und daß er erforderlichenfalls für seine Vertretung bei Urlaub und Erkrankung sorgen muß. Er trägt also das volle Risiko der Praxis, auch soweit es sich um seine Tätigkeit als Knappschaftszahnarzt handelt. Von wesentlicher Bedeutung ist nach Auffassung des Senats schließlich, daß er neben seiner Tätigkeit als Knappschaftszahnarzt eine umfangreiche Privatpraxis hat. Wenn auch wesentliche Gesichtspunkte dafür sprechen mögen, daß der Bf. in seiner Eigenschaft als Knappschaftszahnarzt als Arbeitnehmer anzusehen ist, so kommt doch den für die gegenteilige Auffassung angeführten Gründen das größere Gewicht zu, zumal bei einer ärztlichen Tätigkeit ohnehin eine gewisse Vermutung für die Selbständigkeit der Berufsausübung spricht. Soweit der Reichsfinanzhof in dem Urteil VI A 455/30 vom 26. August 1931 (RStBl 1931 S. 912) die für die Selbständigkeit und die Nichtselbständigkeit angeführten Gesichtspunkte anders gewürdigt hat, tritt der Senat dieser Beurteilung nicht bei.
Da - wie der Senat in anderen Fällen festgestellt hat - bei den Knappschaftsärzten und den Knappschaftsfachärzten im wesentlichen die gleichen Verhältnisse vorliegen wie bei dem Bf., sind sowohl die Knappschaftsärzte als auch die Knappschaftszahnärzte und Knappschaftsfachärzte hinsichtlich ihrer Tätigkeit für die Knappschaft in der Regel als selbständig anzusehen.
Die Vorentscheidung und die Verfügung des Finanzamts vom 26. März 1957, die den Bf. als Arbeitnehmer behandelt haben, sind deshalb wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Da der Bf. demnach keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit hat, ist sein Antrag auf Erstattung der für 1957 einbehaltenen und an das Finanzamt abgeführten Lohnsteuer gemäß § 152 Abs. 2 Ziff. 1 der Reichsabgabenordnung begründet.
Fundstellen
Haufe-Index 409423 |
BStBl III 1959, 344 |
BFHE 1960, 215 |
BFHE 69, 215 |