Normenkette
EStG § 9 Abs. 1, § 12 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Sie sind beide bei demselben Arbeitgeber in derselben Schicht tätig und benutzen regelmäßig gemeinsam ihren PKW zu den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Am 7. Dezember 1977 endete die gemeinsame Schicht um 14. 15 Uhr. Kurz vor Ende der Schicht wurde der Kläger (Ehemann) gebeten, aus betrieblichen Gründen ausnahmsweise bis 18.00 Uhr zu arbeiten. Darauf fuhr die Klägerin (Ehefrau) mit dem PKW allein nach Hause. Als sie den Kläger abends von der Arbeitsstätte abholen wollte, verunglückte sie auf dem Weg dorthin. An dem PKW entstand ein Sachschaden von über 4 000 DM. Die hierauf im Jahre 1977 gezahlten 2 000 DM erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren 1977 nicht als Werbungskosten an. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 173 veröffentlichten Urteil statt. Es führte im wesentlichen aus: Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit dem Urteil vom 11. Juli 1980 VI R 55/79 (BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655) anerkannt, daß Aufwendungen für einen Unfall auf einer Abholfahrt Werbungskosten sein könnten, wenn der abholende Ehegatte zuvor den PKW zu eigenen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benötigt habe. Die Erwägungen in diesem Urteil seien auf den Streitfall entsprechend anwendbar. Die Kläger hätten die gemeinsame Heimfahrt zur gewohnten Stunde nur deshalb nicht antreten können, weil der Kläger daran in atypischer Weise aus unvorhersehbaren betrieblichen Gründen gehindert gewesen sei. Deshalb hätten die sich so ergebende frühere Heimfahrt der Klägerin und die spätere Heimfahrt des Klägers besondere berufliche Gründe.
Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung des § 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Es führt vor allem aus, die Abholfahrt sei nur deshalb erforderlich geworden, weil die Klägerin die Zwischenzeit - Zeit zwischen dem Ende ihrer Arbeitszeit und der des Klägers - privat habe nutzen wollen. Die Abholfahrt sei also erforderlich geworden, weil die Klägerin sowohl die Zwischenzeit als auch den PKW zur Erledigung ihrer privaten Interessen habe nutzen wollen. Diese Vorstellungen überlagerten die Heimfahrt und Rückfahrt der Ehefrau und ließen aus der Rückfahrt zum Arbeitsplatz des Ehemannes eine reine private Abholfahrt werden.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision des FA zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Unfallkosten sind nach § 9 Abs. 1 EStG als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar, wenn sich der Unfall während einer Fahrt ereignet hat, die durch das Dienstverhältnis veranlaßt gewesen ist (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1981 VI R 201/78, BFHE 135, 70, BStBl II 1982, 261, m. w. N.). Dies hat das FG für den Streitfall zu Recht bejaht.
Unfallkosten teilen regelmäßig das rechtliche Schicksal der Fahrtkosten. Ist die Fahrt selbst privat veranlaßt, sind die Unfallkosten im allgemeinen dem privaten Lebensführungsbereich zuzuordnen. Ist die Fahrt dagegen beruflich veranlaßt, sind die Unfallkosten als Werbungskosten auch dann anzuerkennen, wenn der Unfall auf einem bewußten und leichtfertigen Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften beruht (vgl. das zuletzt bezeichnete Urteil in BFHE 135, 70, BStBl II 1982, 261). Der Große Senat des BFH hat im Beschluß vom 28. November 1977 GrS 2-3/77 (BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105) die allgemeinen Abgrenzungsmerkmale zwischen der beruflichen Veranlassung einer Fahrt und ihrer privaten Veranlassung, bei der eventuelle Unfallkosten zu den nach § 12 Nr. 1 EStG nicht abziehbaren Lebenshaltungskosten gehören, zusammenfassend dargelegt. Ob ein Unfall durch das Dienstverhältnis veranlaßt ist, hängt danach weitgehend von den Umständen des Einzelfalles ab. Wegen des für die steuerrechtliche Beurteilung von Fahrtkosten geltenden Veranlassungsprinzips muß ein objektiver Zusammenhang der Fahrt mit dem Beruf des Steuerpflichtigen bestehen. Es muß die Fahrt im Rahmen der beruflichen Zielvorstellungen des Steuerpflichtigen liegen, und der Unfall darf nicht auf eine private, der Lebensführung des Steuerpflichtigen zuzurechnende Veranlassung zurückzuführen sein (BFHE 135, 70, BStBl II 1982, 261). Diesen Zusammenhang konnte das FG im Streitfall bejahen.
Wird ein Ehegatte von dem anderen Ehegatten, der nicht selbst Arbeitnehmer ist, täglich mit dem eigenen PKW zur Arbeitsstätte gebracht und wieder abgeholt, so sind in der Regel nur die erste Hinfahrt und die letzte Rückfahrt durch den Beruf des arbeitenden Ehegatten veranlaßt (BFH-Urteil vom 17. Oktober 1973 VI R 211/70, BFHE 111, 299, BStBl II 1974, 318). Fahren die Ehegatten morgens zusammen zur Arbeitsstätte des Ehemannes und benutzt die Ehefrau den PKW anschließend, um zu ihrer Arbeitsstätte weiterzufahren, so ist die abendliche Abholfahrt der Ehefrau zu der Arbeitsstätte des Ehemannes nach der Rechtsprechung des Senats indessen beruflich veranlaßt, wenn die Abholfahrt ausschließlich das Ziel hat, dem anderen Ehegatten die Rückfahrt zur Wohnung nach Beendigung der Arbeit mit dem PKW zu ermöglichen und wenn nicht private Umstände oder Vorstellungen des die Fahrt unternehmenden Angehörigen die berufliche Zielvorstellung der Fahrt überlagern oder aufheben (BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655). Denn der Gesetzgeber geht in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG davon aus, daß die Rückfahrt eines Arbeitnehmers von der Arbeitsstätte zur Wohnung nach Dienstschluß durch das Dienstverhältnis veranlaßt ist. Nichts anderes gilt für eine Abholfahrt, deren alleiniger Zweck es ist, den Ort aufzusuchen, der den Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers bildet, damit dieser nach Dienstschluß die Rückfahrt mit dem eigenen PKW zur Wohnung antreten kann, wenn der abholende Ehegatte den PKW zuvor nicht nur aus privaten Gründen benötigt hatte.
Im Streitfall war die Unfallfahrt nach den unangefochtenen tatsächlichen Feststellungen des FG eine Fahrt, die ausschließlich dem Ziel diente, den Kläger nach Dienstschluß von der Arbeitsstätte zur Rückfahrt zur Wohnung abzuholen. Sie lag damit - wie in dem Urteilsfall in BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655 - im Rahmen der Vorstellung des Klägers, nach Beendigung seiner beruflichen Tätigkeit die Rückfahrt zur Wohnung mit dem eigenen PKW anzutreten. Es sind keine Anhaltspunkte dafür dargetan, daß die Klägerin einen anderen Zweck mit der Fahrt verbunden hätte. Private Gründe waren also weder für die Fahrt als solche noch für den Unfall erkennbar.
Dem FA kann nicht in der Auffassung gefolgt werden, die Abholfahrt sei deshalb privat veranlaßt gewesen, weil die Klägerin zwischen dem Ende ihrer Arbeitszeit und dem Ende der Arbeitszeit des Klägers privaten Interessen nachgegangen sei. Die Abholfahrt war vielmehr ausschließlich darauf zurückzuführen, daß die Klägerin nach ihrem Dienstende ihre eigene beruflich veranlaßte Heimfahrt durchführte und daß der Arbeitgeber den Kläger aus beruflichen Gründen gebeten hatte, länger als üblich zu arbeiten und folglich nicht zusammen mit seiner Ehefrau nach Hause zu fahren. Wenn die Klägerin in der Zwischenzeit nach Hause gefahren ist, so war diese Fahrt schon deshalb nicht privat veranlaßt, weil der Gesetzgeber - wie ausgeführt - auch die Rückfahrt eines Arbeitnehmers von seiner Arbeitsstätte zur Wohnung als beruflich veranlaßt ansieht. Die anschließende Abholfahrt zurück zur Arbeitsstätte war im Hinblick auf die Tätigkeit des Ehemannes ebenfalls beruflich veranlaßt; sie war ihr durch die auf Wunsch des Arbeitgebers geleisteten Überstunden des Ehemannes praktisch aufgezwungen worden. Kosten eines Unfalls, der sich während einer solchen (Abhol-)Fahrt ereignet, sind deshalb als Werbungskosten abziehbar (ebenso Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort: "Kraftfahrzeugunfall", S. 712; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 9 Anm. 8 b).
Fundstellen
Haufe-Index 75106 |
BStBl II 1984, 800 |
BFHE 1985, 529 |