Leitsatz (amtlich)
War die eingeführte Ware im Zeltpunkt der Abfertigung zum freien Verkehr mit einem erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist erkannten Sachmangel behaftet, so ist es ermessensfehlerhaft, die Berichtigung des Eingangsabgabenbescheids nur deshalb abzulehnen, weil der Steuerpflichtige den Sachmangel der Zollverwaltung nicht sofort mitgeteilt hat.
Normenkette
AO § 94 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin führte am 16. April 1964 100 Kannen eines Lacks aus England ein. Das Zollamt (ZA) fertigte die Ware nach Tarifnr. 32.09-A-II des Deutschen Zolltarifs (DZT) ab und setzte insgesamt … DM Eingangsabgaben fest.
Von der zum freien Verkehr abgefertigten Ware gab die Klägerin 80 Kannen kostenlos zu Versuchszwecken an die Firma X weiter. Die bei dieser Firma durchgeführten Versuche verliefen unbefriedigend. Es stellte sich heraus, daß die Ware für die vorgesehenen Zwecke nicht zu verwenden war. Da dies, wie sich auf Grund einer im Anschluß daran von der Klägerin durchgeführten Laboruntersuchung ergab, auf die mangelhafte Beschaffenheit der Ware zurückzuführen sei, reklamierte die Klägerin am 29. Mai 1964 bei der ausländischen Lieferfirma. Die letztere erkannte die Reklamation an und vergütete der Klägerin den Kaufpreis mit Gutschrift vom 12. Juni 1964.
Mit Schreiben vom 26. Juni, eingegangen beim ZA am 29. Juni, unterrichtete die Klägerin das ZA von diesem Sachverhalt, mit weiteren Eingaben, insbesondere Schreiben vom 8. Oktober 1964, beantragte sie Erstattung der gezahlten Abgaben aus Rechtsgründen.
Das ZA lehnte den Antrag mit Schreiben vom 23. November 1964 ab, weil der Zollbescheid vom 16. April 1964 unanfechtbar geworden sei, keine offenbare Unrichtigkeit – wie Schreib- oder Rechenfehler – aufweise und daher nicht mehr geändert werden könne.
In der Einspruchsentscheidung vom 16. Februar 1965 führte das Hauptzollamt (HZA) unter Hinweis auf die Urteile des Bundesfinanzhofs VII 104/60 U vom 7. Dezember 1960 (Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 72 S. 225 – BFH 72, 225 – BStBl III 1961, 84 und VII 245/63 U vom 29. September 1964, BFH 80, 492, BStBl III 1964, 651) ergänzend aus, dem Antrag der Klägerin könne auch deshalb nicht entsprochen werden, weil diese die Mangelhaftigkeit der Ware nicht „alsbald” nach Bekanntwerden der Zollverwaltung mitgeteilt habe. Da die Klägerin von dem Sachmangel bereits seit 29. Mai 1964 sichere Kenntnis gehabt habe, hätte sie den Sachverhalt im Anschluß daran ohne weiteres Zuwarten der Verwaltung mitteilen können und müssen. Sie habe dies jedoch erst mit Schreiben vom 26. Juni 1964 und daher nicht innerhalb eines für eine alsbaldige Unterrichtung der Zollverwaltung zu fordernden Zeitraums getan.
Die Berufung hatte Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat ausgeführt, die Anforderungen an eine „alsbaldige” Unterrichtung der Verwaltung dürften nicht überspannt werden. Einem großen Betrieb, wie dem der Klägerin, müsse wegen der dort unvermeidbaren Arbeitsteilung und der dadurch zwangsläufig eintretenden Verzögerungen eine etwas längere Zeltspanne zugebilligt werden. Die Unterrichtung der Verwaltung durch das Schreiben vom 26. Juni 1964 sei daher von der Klägerin noch rechtzeitig vorgenommen worden.
In der Revision rügt das HZA unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Bei nachträglich festgestellten Sachmängeln sei die Verwaltung so „schnell wie möglich” zu benachrichtigen, weil sie in der Lage sein müsse, von sich aus die erforderlichen Feststellungen zur Identität und Mangelhaftigkeit der Ware vorzunehmen. Es könne daher für die Mitteilung allenfalls eine Frist von zwei Wochen, wie sie für die Gewährung von Nachsicht in der AO (§ 87 AO) vorgeschrieben sei, zugebilligt werden. Dieser Zeitraum sei im Streitfall nicht eingeholten worden, da der Sachmangel spätestens am 29. Mai 1964, wenn nicht schon nach dem zweiten fehlgeschlagenen Versuch in S (21. Mai 1964) endgültig festgestanden habe. Daß der Lieferant die Reklamation erst später als berechtigt anerkannt und den Kaufpreis am 12. Juni 1964 zurückvergütet habe, sei unerheblich.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Bei der Beurteilung des Streitfalls ist die Vorinstanz ohne Rechtsirrtum und ohne Fehler bei der Tatsachenfeststellung, insbesondere auch ohne Verletzung der Denkgesetze und der Lebenserfahrung, in verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, daß die mangelhafte Beschaffenheit der Ware – der Sachmangel – der Klägerin endgültig, d. h. mit Sicherheit, Ende Mai 1964, bekannt gewesen ist. Denn bei der Art der Ware boten die fehlgeschlagenen Versuche allein noch keinen sicheren Anhaltspunkt dafür, daß die Ursache ihrer Unbrauchbarkeit für den vorgesehenen speziellen Verwendungszweck in einem Sachmangel begründet war. Hierüber gaben vielmehr erst die im Anschluß an die Versuche durchgeführten Laboruntersuchungen sicheren Aufschluß, die Ende Mai abgeschlossen waren.
2. Die Revision ist der Auffassung, daß aber auch dann, also auf der Grundlage dieser Sachlage, die Ablehnung des Berichtigungsbegehrens nach Recht und Billigkeit gerechtfertigt sei, weil die Klägerin die Zollverwaltung von dem Sachmangel nicht rechtzeitig benachrichtigt habe.
Dieser Auffassung kann der Senat nicht beitreten. Der Revisionskläger zieht aus dem für seinen Standpunkt mehrfach zitierten Urteil des erkennenden Senats VII 245/63 U vom 29. September 1964 (BFH 80, 492, BStBl III 1964, 651) Schlußfolgerungen, die der Sachlage im Streitfall nicht gerecht werden. Denn dieses Urteil betrifft einen Fall, in dem der Sachmangel innerhalb der Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den Abgabenbescheid bekannt geworden war. Im Streitfall dagegen ist der Sachmangel als solcher – wie unter Ziff. 1 ausgeführt – Ende Mai 1964 bekannt gewesen, d. h. in einem Zeitpunkt, in dem die Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den Abgabebescheid vom 16. April 1964 abgelaufen war. Ist aber in dem Zeitpunkt, in dem der Sachmangel erstmals erkannt wurde und erkannt werden konnte, die Rechtsbehelfsfrist ohnehin abgelaufen, so kann von dem Steuerpflichtigen, der eine Berichtigung des Abgabenbescheides nach § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO begehrt, nicht als Voraussetzung einer Berichtigung verlangt werden, daß er die Verwaltung von dem Sachmangel so schnell wie möglich unterrichtet; es steht vielmehr einer Berichtigung nicht im Wege, wenn das erst binnen einer angemessenen Frist geschieht. Eine solche angemessene Frist ist auch im Zollgesetz (§ 40 des Zollgesetzes) für den vergleichbaren Fall der Wiederausfuhr nicht in die inländische Wirtschaft eingegangener Waren vorgesehen. Welcher Zeitraum jeweils als angemessen anzusehen ist, kann nicht allgemein gesagt werden, sondern richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Dabei wird insbesondere die Art der Ware und des aufgetretenen Sachmangels zu berücksichtigen sein; im übrigen ist eine äußerste zeitliche Grenze insofern gesetzt, als eine Berichtigung nur bis zum Ablauf der für den Steueranspruch geltenden Verjährungsfrist zulässig ist (vgl. Urteil des BFH V z 175/55 vom 6. Februar 1958, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 94, Rechtsspruch 10). Dabei trägt der Steuerpflichtige freilich das Risiko, daß der Nachweis des Sachmangels beeinträchtigt sein kann. Soweit dem Urteil VII 245/63 U vom 29. September 1964 (a. a. O.) entnommen werden könnte, daß auch bei erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist erkannten Sachmängeln für die Frage, ob die Zollverwaltung „alsbald” unterrichtet worden ist, nach den Grundsätzen der Nachsichtsgewährung (jetzt: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) verfahren werden soll, hält der Senat hieran nicht mehr fest.
Da im Streitfalle die Klägerin die Zollverwaltung mit Schreiben vom 26. Juni 1964 von dem Ende Mai erkannten Sachmangel unterrichtet hat, hat sie eine angemessene Frist eingehalten. Zwar hätte die Klägerin die Stellungnahme des ausländischen Lieferanten auf ihre Reklamation nicht abzuwarten brauchen, da für die Zollverwaltung im Zusammenhang mit der erstrebten Berichtigung nur der Sachmangel als solcher, nicht aber, wer ihn zu vertreten hat, von Interesse ist. Wenn die Klägerin aber in dem Bemühen, der Zollverwaltung einen abgeschlossenen Vorgang an die Hand zu geben, dennoch den Eingang dieser Stellungnahme abgewartet hat, so kann ihr die dadurch eingetretene zeitliche Verzögerung, zumal sie sich in vertretbaren Grenzen hält, nicht zum Nachteil angelastet werden.
Die Entscheidung der Vorinstanz erweist sich nach alledem im Ergebnis als zutreffend, weshalb die Revision zurückzuweisen war.
Fundstellen
Haufe-Index 514751 |
BFHE 1969, 312 |