Leitsatz (amtlich)
Erwirbt jemand die wesentlichen Grundlagen eines Hotelbetriebes (Hotelgrundstück mit vollständigem Inventar), so haftet er auch dann nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO, wenn er das Eigentum an dem Unternehmen im ganzen nicht erworben hat, um den Betrieb selbst fortzuführen, sondern um ihn zu verpachten.
Normenkette
AO § 116 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) als Erwerberin eines Hotelbetriebes gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO für die auf das laufende und das vorangegangene Kalenderjahr entfallenden Gewerbesteuerschulden des früheren Eigentümers eines Hotels haftet.
Anfang 1958 war Inhaber und Eigentümer des Hotels X eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GdbR), deren Gesellschafter u. a. die Firma S war. Nachdem die anderen beiden Gesellschafter aus der Gesellschaft ausgeschieden waren, wurde die Firma S nach Auflösung der Gesellschaft Alleineigentümer des Hotels. Mit Vertrag vom 18. September 1959 veräußerte die Firma S das Hotelgrundstück samt Inventar an die Klägerin, die das Hotel ab 1. Oktober 1959 verpachtete. Wegen rückständiger Gewerbesteuer der GdbR in Höhe von 17 424 DM aus den Jahren 1958 und 1959 nahm die Stadt A die Klägerin durch Haftungsbescheid gemäß § 116 AO in Anspruch. Daraufhin stellte die Klägerin beim Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) den Antrag zu entscheiden, daß sie für die von der GdbR geschuldete Gewerbesteuer nicht hafte. Im Bescheid nach § 212c Abs. 1 AO entschied das FA, die Voraussetzungen für eine Haftung der Klägerin seien gegeben. Hiergegen richtete sich der Einspruch der Klägerin, der keinen Erfolg hatte.
Mit der Klage beantragte die Klägerin die ersatzlose Aufhebung des Bescheides, da sie als Vermögensverwaltungsgesellschaft nur das Hotelgrundstück und nicht den Gewerbebetrieb erworben habe. Sie habe den Hotelbetrieb nicht selbst fortgeführt, sondern sofort verpachtet.
Das FG wies die Klage als unbegründet ab.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, der Erwerber eines Betriebes hafte nur dann nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO, wenn er den Betrieb fortsetze. Sie selbst habe aber nicht die Absicht gehabt, Hotelier zu werden, das Hotelgrundstück habe ihr nur als Vermögensanlage gedient, und zwar durch die Verpachtung des Hotelbetriebes. Sie habe unstreitig weder die Aktiven noch die Passiven des früher betriebenen Hotels erworben. Der Verpächter eines Hotelbetriebes sei nicht der Unternehmer dieses Betriebes. Unternehmer sei vielmehr der Pächter. Wenn man schon von der Fortsetzung eines Betriebes sprechen wolle, so könne nur der folgende Unternehmer der Nachfolger sein, im vorliegenden Fall also der Pächter, denn dieser nutze den "good will" und die Kundschaft, die dem bisherigen Unternehmer gedient hätten. Die bisherige Hotel- und Schankkonzession, die wesentlichste Voraussetzung des früheren Betriebes, sei nicht auf den Eigentümer, also sie selbst übergegangen, sondern unmittelbar vom Pächter übernommen worden. Allein die Möglichkeit, einen früheren Betrieb fortzusetzen, weil man einen wesentlichen Teil des früheren Betriebes erworben habe, reiche für eine Haftung nach § 116 Nr. 1 AO sicherlich nicht aus.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Wird ein Unternehmen oder ein in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen übereignet, so haftet der Erwerber neben dem früheren Unternehmer gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO für die Betriebsteuern, die auf die Zeit seit dem Beginn des letzten vor der Übereignung liegenden Steuerabschnittes oder Kalenderjahres entfallen.
Diese Haftung des Erwerbers eines Unternehmens oder Betriebes setzt voraus, daß es sich um die Übereignung eines "lebenden" Unternehmens oder Betriebes im ganzen handelt. Sie liegt nur vor, wenn die veräußerten Gegenstände beim Veräußerer die wesentlichen Grundlagen des Betriebes gewesen sind und der Erwerber in der Lage ist, mit den auf ihn übergegangenen Gegenständen ohne nennenswerte Investitionen einen gleichen Betrieb fortzuführen (vgl. BFH-Entscheidung vom 20. Juli 1967 V 240/64, BFHE 89, 466, BStBl III 1967, 684). Außerdem ist Voraussetzung, daß auf dem übereigneten Unternehmen oder Betrieb nicht gezahlte Betriebsteuern, wie z. B. Gewerbesteuerschulden, lasten, die im Jahr der Übereignung oder im vorangegangenen Kalenderjahr entstanden sind. Auf die Kenntnis des Erwerbers kommt es dabei nicht an.
Sämtliche Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin erfüllt:
Die Klägerin hat nicht nur ein Hotelgrundstück erworben, wie sie in Verkennung des steuerrechtlich relevanten Sachverhalts vorträgt, sondern einen "lebenden" Hotelbetrieb mit allen wesentlichen Grundlagen, die zu einem derartigen Betriebe gehören. Wie das FG, ohne daß eine Verfahrensrüge erhoben wäre, und somit bindend festgestellt hat, erwarb die Klägerin neben dem Grund und Boden das voll als Hotelbetrieb eingerichtete Hotelgebäude mit allen Einrichtungsgegenständen und Inventarbeständen für den eigentlichen Hotelbetrieb, ebenso das Restaurant und die Bierstube mit zugehörigem Inventar. Die Richtigkeit dieser Feststellung, zu der das FG auf Grund der eigenen Erklärungen der Klägerin vom 12. Dezember 1959 und 21. September 1961, ihrer Eröffnungsbilanz zum 1. Oktober 1959, des Wortlauts des Pachtvertrages vom Oktober 1959 mit dem Pächter und der Klagebegründung vom 10. Oktober 1966 kommen mußte, kann durch die nicht verständliche Behauptung der Klägerin in der Revisionsbegründung, sie habe unstreitig weder die Aktiven noch die Passiven des früher betriebenen Hotels erworben, nicht in Frage gestellt werden. Sollte die Klägerin mit Aktiven und Passiven Forderungen und Schulden des Rechtsvorgängers meinen, so gehören diese offensichtlich nicht zu den wesentlichen Grundlagen eines Hotelbetriebes im Sinne der Rechtsprechung.
Auch der Haupteinwand der Klägerin, sie habe als Erwerberin den Hotelbetrieb nicht fortgeführt, und von vornherein nicht die Absicht gehabt, ein Hotel zu betreiben, schlägt nicht durch. Für die Haftung nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO ist nicht Voraussetzung, daß der Erwerber des übereigneten Betriebes diesen selbst fortführt; es genügt vielmehr, daß er auf Grund der ihm übereigneten Gegenstände in der Lage wäre oder die Möglichkeit hätte, den erworbenen "lebenden" Betrieb selbst fortzuführen. Er kann den Betrieb auch erwerben, um ihn im Wege der Verpachtung zu nutzen. Es kommt im Rahmen des § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht darauf an, zu welchem Zweck derjenige, dem ein "lebender" Betrieb im ganzen übereignet wurde, diesen erworben hat (vgl. hierzu RFH-Urteil vom 25. September 1942 V 17/42, RStBl 1942, 1012). Die Haftung des § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO ist nicht auf die Fortführung des Betriebes durch den Erwerber gegründet; ihr liegt vielmehr die Überlegung des Gesetzgebers zugrunde, daß in dem Unternehmen als solchem eine Sicherung für die sich auf den Betrieb gründenden Steuerschulden gegeben ist, die durch den Übergang des Unternehmens in andere Hände nicht verloren gehen soll (vgl. RFH-Entscheidung vom 26. September 1933 V A 107/33, RStBl 1933, 1157).
Nach dem dargelegten Sinn und Zweck des § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO steht der Haftung der Klägerin für die Gewerbesteuerschulden der GdbR auch nicht entgegen, daß sie den Hotelbetrieb nicht von der GdbR erworben hat, sondern von der Firma S, die nach Ausscheiden der beiden anderen Gesellschafter der GdbR Alleineigentümer des Hotels geworden war. Die Beschränkung der Haftung nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO ist eine rein zeitliche. Ist das Unternehmen oder der Betrieb während der Fristen des § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO dasselbe geblieben, hat hingegen der Eigentümer und Unternehmer gewechselt, so erstreckt sich die Haftung des § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO gleichwohl auf die gesamten Rückstände an Betriebsteuern, die innerhalb der Frist des § 116 Abs. 1 Nr. 1 AO (höchstens also während zweier Jahre) entstanden sind. Denn die Haftung ist nicht an die Person des Eigentümers und Unternehmers geknüpft, sondern sachbezogen an das übereignete Unternehmen (vgl. BFH-Entscheidung vom 14. Mai 1970 V R 117/66, BFHE 99, 425, BStBl II 1970, 676). Die Haftung des Erwerbers beschränkt sich daher nicht auf die Steuerschulden des Veräußerers, sie kann auch die rückständigen Betriebsteuern eines früheren Eigentümers erfassen, der das Unternehmen betrieben hat.
Fundstellen
BStBl II 1974, 434 |
BFHE 1974, 110 |