Leitsatz (amtlich)
Die Anwendung des Progressionsvorbehalts verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes.
Normenkette
DBA AUT Art. 15 Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
Die Verfahren I R 152/74 und I R 153/74 werden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (§ 73 FGO).
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte in den Streitjahren 1970 und 1971 inländische Einkünfte und Einkünfte, die in der Republik Österreich zu versteuern waren. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) setzte die Einkommensteuer des Klägers für das Streitjahr 1970 auf 28 477 DM und für das Streitjahr 1971 auf 46 248 DM fest. Dabei wandte es auf die inländischen Einkünfte den Steuersatz an, der sich aus der Tabelle ergab, wenn die in Österreich zu versteuernden Einkünfte einbezogen wurden (Progressionsvorbehalt).
Gegen die Einkommensteuerbescheide 1970 und 1971 erhob der Kläger Einsprüche, mit denen er geltend machte, daß für seine Einkünfte in Österreich im Streitjahr 1970 eine Einkommensteuerschuld von (umgerechnet) 37 363 DM und im Jahr 1971 eine Einkommensteuerschuld von (umgerechnet) 53 777 DM festgesetzt worden sei. Seine Einkommensteuerschuld betrage daher insgesamt im Streitjahr 1970 65 840 DM und im Streitjahr 1971 100 025 DM. Ein vergleichbarer Steuerpflichtiger mit ausschließlich inländischen Einkünften hätte dagegen im Jahr 1970 64 562 DM und im Jahr 1971 96 711 DM Einkommensteuer zu zahlen gehabt. Diese Schlechterbehandlung eines Steuerpflichtigen mit inländischen und ausländischen Einkünften verstoße gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
Die Einsprüche und die Klagen blieben ohne Erfolg.
Das FG, dessen Entscheidung in der Einkommensteuersache 1971 in EFG 1975, 56, veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der Progressionsvorbehalt des Art. 15 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 4. Oktober 1954 - DBA-Österreich - (BGBl II 1955, 750, BStBl I 1955, 370) widerspreche nicht dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes, sondern diene der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen. Denn er stelle sicher, daß die Höhe der auf die inländischen Einkünfte entfallenden Einkommensteuer gleich bleibe, ohne Rücksicht darauf, ob der Steuerpflichtige seine Einkünfte nur im Inland oder auch im Ausland erziele.
Gegen die Urteile des FG richtet sich die Revision des Klägers, mit der weiterhin eine Verletzung des Art. 3 GG gerügt wird. Der Kläger meint, der Gleichheitssatz werde nicht nur verletzt, wenn man ihn mit einem Steuerpflichtigen mit ausschließlich inländischen Einkünften gleicher Höhe vergleiche, sondern auch, wenn man ihn mit einem Steuerpflichtigen vergleiche, der inländische und ausländische Einkünfte in jeweils gleicher Höhe wie er beziehe, jedoch die ausländischen Einkünfte nicht in Österreich, sondern in einem anderen DBA-Staat, z. B. in der Schweiz. Der Kläger meint ferner, der Progressionsvorbehalt im DBA-Österreich sei lediglich eine "Kann"-Vorschrift, die die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ermächtige, den vollen Steuersatz anzuwenden, wenn sie es für opportun halte, und wenn dies gleichzeitig keinem übergeordneten Rechtssatz, wie z. B. dem Gleichheitssatz widerspreche. Dem deutschen Fiskus sei danach folgendes zuzugestehen: Er besteuert zunächst die inländischen Einkünfte in der Höhe, in der sie ohne Berücksichtigung der ausländischen Einkünfte zu besteuern wären. Sei dann die Summe S 1 aus inländischer und ausländischer Steuer kleiner als die Steuer S 2, die ein vergleichbarer Steuerpflichtiger mit ausschließlich inländischen Einkünften zahlen müsse, erhöht der Fiskus die inländische Steuer soweit, das S 1 = S 2 wird.
Der Kläger beantragt, die Einkommensteuerschuld 1970 um 1 278 DM und die Einkommensteuerschuld 1971 um 3 314 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Anwendung des Progressionsvorbehalts (Art. 15 Abs. 3 DBA-Österreich) verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG).
Der Senat hat mehrfach - auch für Art. 15 Abs. 3 DBA-Österreich - entschieden, daß der Progressionsvorbehalt nicht nur eine Ermächtigung für die Bundesrepublik enthält, eine Vorschrift zu schaffen, daß bei der Ermittlung des Steuersatzes für das zur Besteuerung verbleibende Einkommen die von der inländischen Steuer befreiten Einkünfte wieder hinzuzurechnen sind, sondern daß der Progressionsvorbehalt selbst diese Vorschrift darstellt (Urteil des BFH vom 25. Mai 1970 I R 109/68, BFHE 99, 367, BStBl II 1970, 660, mit weiteren Angaben über die Rechtsprechung).
Gleichwohl dürfte der Progressionsvorbehalt nicht angewandt werden, wenn er im Widerspruch zu Art. 3 Abs. 1 GG stünde. Das ist jedoch nicht der Fall. Durch den Progressionsvorbehalt soll sichergestellt werden, daß die Besteuerung nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit, die durch progressive Gestaltung des Steuertarifs bewirkt wird, durch den Abschluß eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unberührt bleibt. Die gesamte Steuerkraft soll erfaßt werden, die Tatsache, daß die Einkünfte aus verschiedenen Staaten stammen, soll sich auf den Steuersatz für die inländischen Einkünfte nicht auswirken (BFH-Urteil I R 109/68). Der Progressionsvorbehalt dient damit eher dem Gleichheitssatz als daß er ihm widerspräche. Er will bei gleicher Leistungsfähigkeit, die ihren Ausdruck in der Höhe des Gesamteinkommens findet, eine Gleichheit des Steuersatzes für die inländischen Einkünfte herbeiführen.
Dies kann freilich zu einer höheren oder niedrigeren Gesamtbelastung der inländischen und ausländischen Einkünfte führen, als wenn es nur inländische Einkünfte wären. Der Grund dafür liegt in der unterschiedlichen Höhe der inländischen und ausländischen Steuersätze. Das Begehren des Klägers läuft darauf hinaus, den höheren ausländischen Steuersatz durch Herabsetzung des Steuersatzes für die inländischen Einkünfte, wie er sich nach Anwendung des Progressionsvorbehalts ergibt, zu korrigieren. Der Kläger vergleicht sich in der Revision mit einem Steuerpflichtigen, der neben inländischen Einkünften auch aus einem anderen DBA-Staat als Österreich - z. B. aus der Schweiz - Einkünfte erzielt; damit fordert er letztlich eine inländische Besteuerung nach Maßgabe der Steuersätze des DBA-Staates, der die niedrigsten Steuersätze der Welt hat.
Soweit reicht der Gleichheitssatz nicht. Es liegt im Wesen der Vermeidung der Doppelbesteuerung durch die Aufteilungsmethode, wie sie dem DBA-Österreich zugrunde liegt, daß die Zuteilung eines Steuerguts an den ausländischen Staat dieses Steuergut von der inländischen Steuer befreit, ohne Rücksicht darauf, wie hoch die ausländische Steuer ist und ob der ausländische Staat überhaupt von seinem Besteuerungsrecht Gebrauch macht (BFH-Urteil vom 13. September 1972 I R 130/70, BFHE 107, 158, BStBl II 1973, 57). Dem entspricht es, daß die Höhe der ausländischen Steuer auch keinen Einfluß hat auf die Höhe des inländischen Steuersatzes für die zur Besteuerung verbleibenden Einkünfte. Der Gesetzgeber handelt daher nicht willkürlich, wenn er die Höhe dieses Steuersatzes nach der Leistungsfähigkeit, d. h. nach Maßgabe des Gesamteinkommens, bestimmt und dabei keine Rücksicht auf die Höhe der ausländischen Steuer nimmt.
Fundstellen
Haufe-Index 413358 |
BStBl II 1976, 662 |
BFHE 1977, 470 |