Leitsatz (amtlich)
Würde der Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft in Anlehnung an die VOL geschätzt, so berechtigt die spätere Feststellung eines Vermögenszuwachses, der im wesentlichen auf Gewinnen beruht, die wegen der niedrigen Zuschläge für Mitarbeit von Familienangehörigen (§ 4 VOL) steuerlich unerfaßt blieben, nicht zur Wiederaufrollung der Veranlagung.
Normenkette
AO §§ 217, 222 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 13; Verordnung über die Aufstellung von Durchschnittsätzen für die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft (VOL) vom 2. Juni 1949, § 4
Tatbestand
Streitig ist bei den Einkommensteuer-Veranlagungen 1956 bis 1958 eines Landwirts, ob das FA die ursprünglichen, auf Richtsatzschätzungen beruhenden Steuerfestsetzungen nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigen durfte, weil sich bei einer späteren Vermögenszuwachsrechnung insgesamt ein höherer Gewinn ergab.
Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) ist nichtbuchführender Landwirt. Die Gewinne wurden zunächst nach der Verordnung über die Aufstellung von Durchschnittsätzen für die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft (VOL) ermittelt. Vom Wirtschaftsjahr 1956/57 an wurden sie wegen Überschreitung der Umsatzgrenze von 40 000 DM (§ 1 Nr. 3 VOL) nach § 217 AO in Anlehnung an die VOL geschätzt. Für die Wirtschaftsjahre 1956/57 und 1957/58 wurde der Grundbetrag mit 1/6, für das Wirtschaftsjahr 1958/59 mit 1/4 des maßgebenden Einheitswerts angenommen. Es ergaben sich die folgenden, rechtskräftig veranlagten Gewinne:
1956/57 1957/58 1958/59
7 872 9 976 15 100 DM
Bei einer Betriebsprüfung, die im Jahre 1960 stattfand, schätzte der Prüfer den Gewinn nach der Methode der Vermögenszuwachsrechnung. Sie ergab die folgenden Beträge:
1956/57 1957/58 1958/59
14 000 20 000 24 000 DM
Für das Wirtschaftsjahr 1957/58 stellte der Prüfer fest, daß bei der ursprünglichen Schätzung nicht berücksichtigt worden sei, daß der Hackfruchtanteil mehr als 20 v. H. betragen habe. Das FA berichtigte die Veranlagungen 1956 bis 1958 unter Hinweis auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Die Sprungberufung, mit der sich der Steuerpflichtige dagegen wandte, daß das FA den Berichtigungsveranlagungen andere Gewinnermittlungsmethoden zugrunde gelegt habe, blieb ohne Erfolg. Das FG führte aus, daß das FA zu den Berichtigungen befugt gewesen sei, da es die ursprünglichen Schätzungen nicht vorgenommen hätte, wenn ihm das Ergebnis der Betriebsprüfung bei den Veranlagungen bekannt gewesen wäre. Der Übergang zu einer anderen Schätzungsmethode sei zulässig (Hinweis auf das Urteil des BFH IV 249/59 U vom 22. September 1960, BFH 71, 716, BStBl III 1960, 516). Das gelte auch für die Schätzung von Landwirten, die nicht buchführungspflichtig seien. Ein durch Vermögensvergleich festgestellter Vermögenszuwachs sei eine neue Tatsache im Sinne § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO (Hinweis auf die BFH-Urteile IV 249/59 U; IV 40/51 U vom 3. Oktober 1951, BFH 55, 494, BStBl III 1951, 202). Dem FA könne nicht entgegengehalten werden, es habe bei den ursprünglichen Veranlagungen bewußt darauf verzichtet, Ermittlungen zur Feststellung der tatsächlich erzielten Gewinne durchzuführen. Solche Ermittlungen könnten dem FA in Ermangelung hierzu geeigneter Unterlagen nicht zugemutet werden. Der Steuerpflichtige berufe sich zu Unrecht darauf, daß der festgestellte Vermögenszuwachs im wesentlichen auf der Mitarbeit seiner drei Kinder beruhe und daß diese aus den Steuererklärungen ersichtlich gewesen sei. Das FA habe davon ausgehen können, daß es die Auswirkungen dieser Mitarbeit auf den Gewinn bereits mit den üblichen Zuschlägen nach der VOL berücksichtigt habe. In einer solchen Schätzung liege kein Verzicht des FA auf eine etwaige individuelle Schätzung nach der Vermögenszuwachsrechnung und damit auf die Erfassung des tatsächlich erzielten Gewinns.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die als Revision zu behandelnde Rechtsbeschwerde des Steuerpflichtigen führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des Berichtigungsbescheids für 1956.
Nach ständiger Rechtsprechung kann eine auf einer Schätzung beruhende Veranlagung auf Grund einer anderen Schätzung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigt werden, wenn neue Tatsachen im Sinn dieser Vorschrift festgestellt sind (vgl. BFH-Urteil IV 249/59 U und die dort angeführte Rechtsprechungsübersicht). In diesem Urteil führte der erkennende Senat aus, daß auch ein später festgestellter, gegenüber den geschätzten Gewinnen unverhältnismäßig hoher Vermögenszuwachs in der Regel eine solche neue Tatsache darstellt. Dieser Grundsatz kann jedoch dann nicht gelten, wenn sich der Vermögenszuwachs seinerseits im wesentlichen aus Tatsachen ergab, die dem FA bekannt waren. Das war bei der Bewertung der Arbeitsleistung von Familienangehörigen im Rahmen einer Schätzung in Anlehnung an die VOL der Fall. Es war allgemein bekannt, daß der wirkliche Wert der Arbeitsleistung des Betriebsinhabers, seiner mitarbeitenden Ehefrau und der Kinder ein Mehrfaches der Beträge ausmachte, die die VOL (§ 2 Abs. 2 Nr. 1, § 4) als Zuschläge bei der Gewinnermittlung vorsah. Soweit die Steuerbehörden bei der Schätzung der Gewinne nichtbuchführender Landwirte die in der VOL vorgeschriebenen Zuschläge nicht beträchtlich erhöhten - wie im Streitfall -, verzichteten sie bewußt auf die Erfassung von in der Regel auch tatsächlich entstandenen Gewinnen. Diese Gewinne mußten notwendigerweise ihren Ausdruck finden entweder in einem erhöhten Vermögenszuwachs oder in erhöhten Entnahmen. Der Umstand, daß auf solche Weise ein Vermögenszuwachs eintrat, kann daher für sich allein nicht mehr als neue Tatsache im Sinn des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO gewertet werden. Da andere Tatsachen, die als neu anzusehen wären, nicht ersichtlich sind, muß der ursprüngliche Steuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 1956 wieder hergestellt werden.
Für die Veranlagungszeiträume 1957 und 1958 liegt möglicherweise eine neue Tatsache in dem erst durch die Betriebsprüfung bekanntgewordenen Umstand, daß der Hackfruchtanteil mehr als 20 v. H. betrug. Diese neue Tatsache hätte gegebenenfalls bei einer in Anlehnung an die VOL vorzunehmenden Schätzung zu dem Ansatz eines höheren Grundbetrages geführt. Eine Wiederaufrollung des Steuerfalles und damit der Übergang zu einer anderen Schätzungsmethode, beispielsweise zu einer Vermögenszuwachsrechnung, ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann zulässig, wenn es sich um eine Tatsache "von einigem Gewicht" handelte (vgl. BFH-Urteile I 95, 110/60 S vom 5. Juni 1962, BFH 76, 282, BStBl III 1963, 100; VI 324/61 U vom 12. Juli 1963, BFH 77, 315, BStBl III 1963, 435; IV 296/60 vom 4. Oktober 1962, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 222 Rechtsspruch 130, HFR 1963, 123). Ob dies der Fall ist, beurteilt sich vor allem nach Maßgabe des Steuerbetrages, der sich bei Zugrundelegung der ursprünglich angewandten Schätzungsmethode ergeben haben würde, falls der höhere Hackfruchtanteil bekannt gewesen wäre. Da die Vorinstanz hierzu und zu der Bedeutung des Hackfruchtanteils bei der Bemessung des Grundbetrags keine Feststellungen traf, ist die Sache insoweit nicht entscheidungsreif. Die Sache wird, soweit sie die Veranlagungszeiträume 1957 und 1958 betrifft, zur erneuten Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 68220 |
BStBl II 1968, 823 |
BFHE 1968, 463 |