Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Hat ein Arbeitnehmer auf Grund einer Versorgungszusage des Arbeitgebers ein Wahlrecht, ob er entweder eine laufende Rente oder die Auszahlung des der Rentenberechnung zugrunde gelegten Kapitals haben will, so ist der Kapitalbetrag, wenn dessen Auszahlung gewährt wird, nicht als Entschädigung im Sinne von § 24 Ziff. 1 a EStG anzusehen. Eine tarifliche Begünstigung nach § 34 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Ziff. 2 EStG kommt somit nicht in Betracht.
Normenkette
EStG § 24/1/a, § 34 Abs. 1, 2 Ziff. 2
Tatbestand
Der Bf. ist kaufmännischer Direktor einer GmbH. Im Streitjahr 1955 erhielt er von seiner Arbeitgeberin außer einem laufenden Gehalt von rund 200.000 DM eine einmalige Zahlung von 200.000 DM. Streitig ist, ob es sich bei dem letztgenannten Betrag um außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1955 handelt, die mit einem begünstigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG 1955 zu versteuern sind.
Die einmalige Zahlung von 200.000 DM beruhte auf einer Versorgungszusage der Arbeitgeberin, nach der ab 1. Januar 1955 eine einer einmaligen Kapitalleistung von 200.000 DM entsprechende Versorgungsrente gewährt werden sollte, an deren Stelle der Bf. jedoch auch die einmalige Kapitalleistung verlangen konnte. Da der Bf. sein "Wahlrecht zugunsten einer Kapitalabfindung" ausgeübt hatte, kam es zur Auszahlung der streitigen 200.000 DM.
Die Vorinstanzen verneinten die Voraussetzungen für eine tarifliche Steuervergünstigung des Abfindungsbetrags nach § 34 Abs. 1 EStG. Das Finanzgericht führte in der angefochtenen Entscheidung im wesentlichen aus: Es handle sich bei der Kapitalleistung nicht um eine Entschädigung im Sinne des § 24 Ziff. 1 a EStG, weil bei sinnvoller Auslegung der Versorgungszusage in der Kapitalzahlung nicht ein Ersatz für eine laufende Pension gesehen werden könne. Es müsse davon ausgegangen werden, daß lediglich eine Versorgung an sich zugesagt worden sei, während über die Form, in welcher sie zu leisten sei, der Bf. zu entscheiden gehabt hätte. Erst durch die Ausübung der Wahl zwischen den gegebenen Möglichkeiten habe der Bf. seinen Versorgungsanspruch konkretisiert, und zwar im Sinne einer Kapitalabfindung. Diese könne deshalb nicht als Ersatz für die nicht gewählte Rentenleistung angesehen werden. Der Bf. habe nicht durch die Ausübung der Wahl auf einen bereits bestehenden Rentenanspruch verzichtet, sondern von vornherein nur einen Anspruch auf Kapitalleistung erworben.
Mit der Rb. wird die unrichtige Anwendung der §§ 24, 34 EStG 1955 gerügt. Aus der Versorgungsvereinbarung ergebe sich deutlich, daß primär eine laufende Rente zugesagt worden sei. Das sei auch die übliche Art einer Altersversorgung. Wähle der Versorgungsberechtigte an Stelle der Rente eine Kapitalabfindung, so sei diese als ein Ersatz für entgehende künftige Einnahmen im Sinne von § 24 Ziff. 1 a EStG anzusehen, da sie als Abfindung für eine Vielzahl von Einnahmen, die sich auf mehrere Jahre verteilt hätten, gewährt werde. Die dadurch entstehende Tarifprogression abzumildern, sei Sinn und Zweck des § 34 EStG. Bei Zahlung einer laufenden Rente hätte dem Bf. ein höherer versteuerter Nettobetrag zur Verfügung gestanden als bei Zahlung der Abfindung, wenn diese mit dem Normalsteuersatz versteuert werde. Durch die Unterwerfung der Abfindung unter den Normalsteuersatz werde der Zweck der Altersversorgung vereitelt.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Unstreitig handelt es sich bei der im Streitjahr zugeflossenen Einmalzahlung von 200.000 DM um steuerpflichtige Einkünfte des Bf. aus nichtselbständiger Arbeit (ß 2 Abs. 1 LStDV 1955). Eine Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1955 käme nur in Betracht, wenn es sich bei dieser Kapitalzahlung um eine Entschädigung handeln würde, die als Ersatz für entgehende Einnahmen gewährt wurde (ß 24 Ziff. 1 a EStG). Das Finanzgericht hat dies verneint. Ein Rechtsverstoß kann hierin nicht erblickt werden. Voraussetzung für die Anwendung des § 34 EStG ist in den Fällen des § 24 Ziff. 1 a EStG, daß der zu begünstigende Einkunftsteil einwandfrei eine Entschädigung ist (Urteil des Bundesfinanzhofs VI 52/58 U vom 12. Juni 1959, BStBl 1959 III S. 303, Slg. Bd. 69 S. 106). Von einer Entschädigung könnte nur gesprochen werden, wenn ein Ersatz für den Verlust steuerpflichtiger Einnahmen geleistet wurde. Die Ersatzleistung muß durch den Verlust unmittelbar bedingt sein und den Schaden ausgleichen, der bei entschädigungslosem Verlust entstehen würde (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 260/52 U vom 11. Dezember 1952, BStBl 1953 III S. 57, Slg. Bd. 57 S. 144; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 6. Aufl., § 24 Textziff. 3; Blümich-Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 8. Aufl., § 24 Anm. 2). Es muß somit zunächst ein Schaden entstanden sein, der dann durch die Entschädigung abgegolten werden soll (vgl. Lademann-Lenski-Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 24 Anm. 3; Herrmann-Heuer, Kommentar zum Einkommensteuergesetz und Körperschaftsteuergesetz, § 24 EStG Anm. 3; Brockhoff, Deutsche Steuerrundschau 1958 S. 265). All das liegt im Streitfall nicht vor. Dem Bf. ist nicht die alternativ zugesagte Rente entgangen, wenn er sich für die andere Alternative, die Kapitalzahlung, entschieden hat. Durch die Kapitalzahlung wurde auch nach dem Willen der Vertragschließenden keineswegs ein dem Bf. entstandener oder bevorstehender Schaden ersetzt. Ein Schaden, den der Begriff der "Entschädigung" voraussetzt, ist überhaupt nicht entstanden und hatte auch - gleichgültig, in welcher Form der Bf. von seinem Wahlrecht Gebrauch machte - nicht gedroht. Der Bf. hat zwischen zwei Möglichkeiten der Altersversorgung wählen können. Wenn er sich für eine Möglichkeit entschied, so bedeutet das nicht, daß er hierdurch für den Verlust der anderen Möglichkeit entschädigt worden ist. Daß in der Versorgungszusage an erster Stelle eine Rente genannt worden war, besagt nichts und ist dadurch zu erklären, daß eine Versorgung auf Rentenbasis die übliche Form der Versorgung darstellt. Entschädigungen gehen, wie der Bundesfinanzhof im Urteil IV 223/58 S vom 17. Dezember 1959 (BStBl 1960 III S. 72, Slg. Bd. 70 S. 195) ausgeführt hat, in der Regel auf eine Sachlage zurück, die ohne oder gegen den Willen des Steuerpflichtigen entstanden ist, und sie bleiben im allgemeinen hinter dem vollen Ausgleich der entgangenen oder entgehenden Einnahmen zurück. Im Streitfalle hatte es jedoch der Bf. in der Hand, welche Art der Versorgung er wählen wollte. Die Kapitalauszahlung ist auf Grund seines ausdrücklich dahingehend geäußerten Willens erfolgt. Man kann bei vernünftiger Betrachtungsweise den Vorgang nicht so sehen, als ob der Bf. durch die Wahl der Kapitalabfindung sich selbst einen im Verlust des Rentenanspruchs zu erblickenden Schaden zugefügt habe, der durch die Abfindung abgegolten worden sei. Gerade darin, daß im Streitfalle der Bf. die freie Wahl zwischen Kapitalabfindung und Rentenbezug hatte, liegt der entscheidende Unterschied zu dem Urteil IV 259/39 vom 8. September 1939 (RStBl 1939 S. 1233), das der Bf. für seine Auffassung angeführt hat. In dem vom Reichsfinanzhof entschiedenen Fall hatte der Steuerpflichtige ohne sein Zutun infolge der Auflösung des Pensionsreservefonds seiner Arbeitgeberin seine Aussicht auf Altersversorgung verloren und damit einen Schaden erlitten. Zum Ausgleich dafür erhielt er einen Geldbetrag zur Einzahlung bei einem Versicherungsverein. Der Reichsfinanzhof konnte also von einem echten Entschädigungsbedürfnis als Grundlage der Zahlung ausgehen. Im Streitfall beruhte die Zahlung aber nicht auf einem Entschädigungsbedürfnis, sondern darauf, daß der Bf. die Zahlung selbst an Stelle einer anderen Art der Versorgung gewählt hatte. Nach der Ausübung seiner Wahl hatte der Bf. einzig und allein einen Anspruch auf Auszahlung des Versorgungskapitals. Der Anspruch auf Kapitalauszahlung ergab sich unmittelbar und nicht erst subsidiär - als Ersatz für die Rentenzahlung - aus der Versorgungszusage. Der Fall kann daher nicht anders behandelt werden, als wenn von vornherein nur die Auszahlung eines Versorgungskapitals vereinbart worden wäre (in diesem Sinn auch Blümich-Falk, a. a. O., § 34 Anm. 5 unter Hinweis auf Berlitz, Deutsche Steuer-Zeitung 1942 S. 390).
Fundstellen
Haufe-Index 409856 |
BStBl III 1960, 512 |
BFHE 1961, 702 |
BFHE 71, 702 |