Leitsatz (amtlich)
Das Vertrauen des Zollbeteiligten in die Richtigkeit der Tarifauffassung einer Zollstelle ist gegenüber einem Berichtigungsbescheid nicht schutzwürdig, wenn der Zollbeteiligte wußte, daß eine andere Zollstelle die im Berichtigungsbescheid vertretene Tarifauffassung vertrat und er weder deren Bescheid angefochten, noch eine vZTA eingeholt hat.
Normenkette
Treu und Glauben
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ in der Zeit vom 8. Oktober 1974 bis zum 14. April 1975 durch ihre Spedition 11 Sendungen gefrorener Schweinenacken mit Knochen aus Rumänien beim Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt – HZA –) zum freien Verkehr abfertigen. Das HZA wies die Ware gemäß der Zollanmeldung der Tarifst. 02.01-A-III-a-6-bb zu und berechnete u. a. 48,26 DM/100 kg Währungsausgleich. Mit Fernschreiben vom 11. November 1974 forderte die Klägerin ihre Spedition auf, gegen den Zollbeleg mm 8. Oktober 1974 Einspruch einzulegen, weil der Währungsausgleich falsch berechnet worden sei; er müsse 64,09 DM/100 kg betragen. Der Einspruch wurde nicht eingelegt Ein Angestellter der Spedition sprach jedoch mit vier Beamten des HZA und erhob gegen den Ansatz des Währungsausgleichs Gegenvorstellungen mit dem Hinweis, daß gleichartige Ware von einem, dem beklagten HZA nicht unterstehenden Zollamt (ZAV) nach einer anderen Tarifstelle mit höherer Belastung abgefertigt worden sei. Die Beamten hielten an ihrer Auffassung fest, daß die Schweinenacken mit Knochen richtig tarifiert worden seien. Nachdem durch eine Betriebsprüfung außer diesem Sachverhalt festgestellt worden war, daß das ZA V gleichartige Ware der Tarifst. 02.01-A-III-a-4 mit einem Währungsausgleichsbetrag von 64,09 DM/100 kg zugewiesen hatte, erließ das HZA am 17. Oktober 1975 einen Steueränderungsbescheid, mit dem es 19 889,39 DM Währungsausgleichsbeträge und 228,25 DM Eurozoll nachforderte. Mit dem dagegen erhobenen Einspruch machte die Klägerin geltend, die Abgabennachforderung verstoße gegen Treu und Glauben. Das HZA wies den Einspruch am 20. Juli 1976 zurück und erklärte, die Klägerin könne sich nicht auf Treu und Glauben berufen, weil sie versäumt habe, sich durch Einholen einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) gegen Nachforderungen zu schützen. Mit der sodann erhobenen Klage begehrte die Klägerin, den Steueränderungsbescheid vom n. Oktober 1975 und die Einspruchsentscheidung vom 20. Juli 1976 aufzuheben.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage durch Urteil vom 10. Mai 1977 mit folgender Begründung statt:
Die Nachforderung der streitigen Eingangsabgaben verstoße gegen Treu und Glauben. Das HZA habe nach seiner Informierung über die andersartige Tarifierung einer anderen Zollstelle durch sein Beharren auf seiner unrichtigen Tarifansicht in der Klägerin den Eindruck hervorgerufen, seine Tarifierung sei richtig, so daß diese darauf vertraut habe, sie dürfe ihre Verkaufspreise auf der Grundlage der niedrigeren Eingangsabgaben kalkulieren.
Zwar erfordere nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) das Steuerrechtsverhältnis als gegenseitiges Treueverhältnis, daß der Einführer einer Ware alles in seiner Macht Stehende tue, um sich vor Nachforderungen zu schützen, nämlich eine vZTA einzuholen. Eine Unterlassung des Einführers in dieser Hinsicht sei aber nach dem BFH-Urteil vom 27. Juli 1965 VII 197/63 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965 S. 571 – HER 1965, 571 –) ausnahmsweise unschädlich, wenn die Verwaltung ihrerseits es an der erforderlichen Sorgfalt habe fehlen lassen. Das sei hier der Fall. Das HZA habe nach dem von der Klägerin veranlaßten Hinweis des Speditionsangestellten auf die höhere Belastung gleicher Ware bei einer anderen Zollstelle pflichtwidrig unterlassen, die einfache Tariffrage zu klären.
Mit der Revision macht das HZA im wesentlichen geltend: Die Klägerin habe nicht auf die Richtigkeit der ursprünglichen Tarifierung vertraut, sondern zumindest erhebliche Zweifel daran gehabt, ob diese Tarifierung oder die des ZA V zutreffend gewesen sei. Wenn ihre Zweifel durch die Unterredung des Speditionsangestellten mit den Beamten beseitigt worden wären, bliebe unerklärlich, weshalb die Klägerin gegen die dann nach ihrer Auffassung unrichtige Tarifierung durch das ZA V nicht Einspruch eingelegt oder einen Billigkeitsantrag gestellt habe. Jedenfalls sei ein Vertrauen der Klägerin in die Richtigkeit der ursprünglichen Tarifierung nicht schutzwürdig gewesen.
Das HZA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, und trägt vor, es treffe nicht zu, daß zu dem Grundsatz von Treu und Glauben im Zollrecht noch das Postulat der Schutzwürdigkeit hinzutreten müsse. Mit dem Verstoß gegen Treu und Glauben sei gleichzeitig die Schutzwürdigkeit des Verletzten impliziert.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet.
Die Grundsätze von Treu und Glauben gebieten, daß im Rechtsverkehr jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teils angemessen Rücksicht nimmt und sich mit seinem eigenen früheren Verhalten, auf das der andere vertraut hat, nicht in Widerspruch setzt. In besonderen Ausnahmefällen hat demnach der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Schutz seines Vertrauens darauf, daß die Verwaltung sich durch die Geltendmachung eines Anspruchs nicht in Widerspruch setzt zu einem eigenen vorangegangenen nachhaltigen Verhalten oder einer ausdrücklichen Willenserklärung (vgl. BFH-Urteile vom 1. Juli 1975 VII R 25/73, BFHE 117, 120, vom 4. November 1975 VII B 28/72, BFHE 117, 317, und vom 5. April 1977 VII R 12/74, BFHE 122, 197). Wenn der Steuerpflichtige gewußt hat, daß das Verhalten der Verwaltung dem Gesetz widersprach, ist sein Vertrauen auf das Verhalten der Verwaltung nicht schutzwürdig (vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1977 VII R 5/74, BFHE 124, 105, BStBl II 1978, 274).
Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin zunächst keinen Anlaß, darauf zu vertrauen, daß das HZA bei der ersten Abfertigung vom 8. Oktober 1974 zu Recht die Ware der Tarifst. 02.01-A-III-a-6-bb zugewiesen und den Währungsausgleich nur zum Satze von 48,26 DM/100 kg erhoben hatte. Denn sie mußte zumindest Zweifel an der Richtigkeit dieser Tarifierung hegen und daher mit der Möglichkeit rechnen, daß das HZA seine Tarifauffassung ändern und Währungsausgleichsbeträge nachfordern würde. Sie wußte nämlich, daß eine andere Zollstelle – das ZA V – gleichartige Ware anders tarifiert und einen höheren Währungsausgleichsatz angewandt hatte. Der von ihr durch das Fernschreiben vom 11. November 1974 veranlaßte Hinweis des Speditionsangestellten auf die Tarifauffassung des ZA V gegenüber Beamten des HZA hat allerdings nicht dazu geführt, daß das HZA durch diese Beamten seine Tarifauffassung änderte. Nach den Feststellungen des FG hatte das HZA damit in der Klägerin den Eindruck hervorgerufen, seine Tarifierung sei richtig, mit der Folge, daß die Klägerin darauf vertraut hat, ihre Verkaufspreise auf der Grundlage der niedrigeren Eingangsabgaben kalkulieren zu können. Dieses nach der Unterredung zwischen dem Speditionsangestellten und den Beamten des HZA entstandene Vertrauen der Klägerin in die Richtigkeit der Tarifauffassung des HZA ist indessen gegenüber der vom HZA mit dem Erlaß des Steueränderungsbescheides vom 17. Oktober 1975 bekundeten Änderung seiner Tarifauffassung nicht schutzwürdig, denn bei einer verschiedenen Tarifierung gleichartiger Waren durch mehrere Zollstellen muß der Zollbeteiligte damit rechnen, daß bei einer näheren Prüfung der Tarifierung sich die für ihn ungünstigste Tarifauffassung durchsetzt. Der Gesetzgeber hat ihm ab Mittel, sich vor weiteren Einfuhren Klarheit über die richtige Tarifierung zu verschaffen und die Verwaltung zu binden, das Institut der vZTA zur Verfugung gestellt Von ihm muß er Gebrauch machen, wenn er insofern keine Risiken eingehen will.
Da im vorliegenden Fall die mit dem angefochtenen Bescheid geltend gemachte Nachforderung der Eingangsabgaben nicht gegen Treu und Glauben verstößt, weil das Vertrauen der Klägerin auf die vom HZA bei den Abfertigungen vorgenommene Tarifierung nicht schutzwürdig ist, kommt es nicht mehr auf die Frage an, ob die Klägerin eine Berufung auf Treu und Glauben versagt wäre, weil sie nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hatte, sich durch Einholung einer vZTA vor solchen Abgabennachforderungen zu schützen, oder ob – wie das FG meint – der Klägerin die Unterlassung der Einholung einer vZTA ausnahmsweise deshalb nachgesehen werden kann, weil das HZA pflichtwidrig unterlassen habe, auf die von der Klägerin veranlaßte Gegenvorstellung hin die Tariffrage unverzüglich zu klären.
Fundstellen
Haufe-Index 510596 |
BFHE 1980, 351 |